Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung von Korrekturnormen bei Veranlagungen unter Verwendung eines Risikomanagementsystems
Leitsatz (redaktionell)
- Das Merkmal der Kenntnis im Sinne des § 173 Abs. 1 AO kann nicht auf solche Tatsachen und Beweismittel beschränkt werden, die Bestandteil eines im Rahmen des Risikomanagementsystems (§ 88 Abs. 5 AO) als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalts sind.
- Der Anwendungsbereich des § 173a AO ist nicht nur für vollautomatisiert (§ 155 Abs. 4 S. 4 AO), sondern auch für teilautomatisiert erlassene Steuerbescheide eröffnet.
- Fehlerhafte Übertragungen von Besteuerungsgrundlagen in die Steuererklärungsformulare stellen keinen Schreibfehler im Sinne des § 173a AO dar.
- In den Fällen des teilautomatisierten Erlasses von Steuerbescheiden, in denen die Bearbeiter des Finanzamts unter Anwendung des Risikomanagementsystems nur die als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte überprüfen, kann die Finanzbehörde vom Steuerpflichtigen bei der Steuererklärungserstellung verursachte Schreib- und Rechenfehler sowie sonstige offenbare Unrichtigkeiten nach § 129 AO nur berichtigen, soweit sie sich die Unrichtigkeit zu Eigen macht. Dies ist ausgeschlossen, soweit der Besteuerungssachverhalt, dem die Unrichtigkeit anhaftet, nicht ausgesteuert und überprüft wird.
- Ein Zu-Eigen-Machen von Unrichtigkeiten des Steuerpflichtigen im Sinne des § 129 AO dürfte erst recht für den Fall des vollständig automationsgestützten Erlasses von Steuerbescheiden ausscheiden.
Normenkette
AO § 88 Abs. 5, §§ 129, 155 Abs. 4, § 164 Abs. 1, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 173a
Streitjahr(e)
2016
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte die im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer 2016 nicht als Einnahmen erfassten Umsatzsteuererstattungen trotz eingetretener Bestandskraft im Wege der Änderung der Festsetzung berücksichtigen darf.
Die Kläger sind Ehegatten und wurden im Streitjahr 2016 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin betrieb eine Praxis für Fußpflege und Nageldesign (nachfolgend: „Praxis”). Der Kläger erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Im Jahr 2013 erwarb der Kläger das Grundstück X, bebaute es mit einem Gebäude und vermietete ab Oktober 2015 Räumlichkeiten im Erdgeschoss umsatzsteuerpflichtig an die Klägerin für den Betrieb ihrer Praxis. Dabei optierte der Kläger nach § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zur Umsatzsteuer. Die aus der Herstellung der Räumlichkeiten resultierenden Vorsteuern machte der Kläger in seinen Umsatzsteuererklärungen für 2014 und 2015 geltend.
Mit seinen am…Dezember 2015 eingereichten Umsatzsteuer-Jahreserklärungen für 2014 und 2015 begehrte der Kläger die Berücksichtigung von Vorsteuerbeträgen in Höhe von 20.369,32 € für 2014 und in Höhe von 4.088,24 € für 2015.
Im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2014 bat die Sachbearbeiterin des Beklagten, …, den Kläger mit Schreiben vom…Januar 2016 um Einreichung von Nachweisen für die geltend gemachten Vorsteuerbeträge. Die Veranlagung zur Einkommensteuer 2014 erfolgte sodann zunächst ohne Berücksichtigung der Vorsteuerbeträge als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Die Zustimmungserklärungen zu den abgegebenen Umsatzsteuererklärungen wurden im Hinblick auf eine durchzuführende Umsatzsteuer-Sonderprüfung zunächst zurückgestellt.
Im Rahmen einer für die Kalenderjahre 2014 und 2015 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung minderte die Außenprüferin die abziehbaren Vorsteuerbeträge auf 18.827,22 € für 2014 und auf 4.034,43 € für 2015.
Mit Bescheiden über Umsatzsteuer für 2014 und 2015, jeweils vom 12. August 2016, setzte der Beklagte der Außenprüferin folgend einen Vorsteuerüberhang für 2014 in Höhe von 18.827,22 € nebst Zinsen in Höhe von 376,00 € und für 2015 einen Vorsteuerüberhang in Höhe von 3.820,11 € fest. Beide Bescheide wurden gegenüber der Prozessbevollmächtigten der Kläger bekanntgegeben und enthielten den Vermerk, dass das Guthaben auf ein Konto der Klägerin mit der IBAN … bei der … erstattet wird.
Gegen beide Bescheide legte der Kläger Einsprüche mit der Begründung ein, dass auch die 7 %-igen Vorsteuerbeträge für 2014 in Höhe von 149,31 € nebst Zinsen in Höhe von 3,00 € sowie für 2015 7 %-ige Vorsteuerbeträge in Höhe von 14,53 € zu berücksichtigen seien.
Der Beklagte gab dem Einspruchsbegehren statt und änderte entsprechend mit Bescheiden vom 11. Oktober 2016 die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2014 und 2015. Beide Bescheide erhielten den Hinweis, dass das jeweilige Guthaben auf das oben genannte Konto bei der … erstattet würde. Ferner führte der Beklagte in den Erläuterungen aus, dass der jeweilige Bescheid „den Bescheid vom 12. August 2016” ändere.
Im Rahmen eines Änderungsantrags nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) begehrten die Kläger sodann die Änderung des Einkommensteuerbescheids 2014 mit der Maßgabe, dass die im Jahr 2014 gezahlten Vorsteuerbeträge in Höhe von 18.976,53 € (18.827,22 € und 149,31 €) als Werbungskosten berück...