Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerberaterhaftung bei rechtsgestaltender Beratung; Beweislastverteilung
Leitsatz (amtlich)
Zur haftungsausfüllenden Kausalität bei rechtsgestaltender Steuerberatung.
Leitsatz (redaktionell)
1. Wer einen Steuerberater wegen fehlerhafter oder unzureichender Beratung auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, hat die behauptete Pflichtverletzung zu beweisen. Etwaige Schwierigkeiten, mit denen der Beweis eines in einem Unterlassen bestehenden Verhaltens verbunden sein kann, sind dadurch auszugleichen, daß der Steuerberater zunächst im einzelnen darzulegen hat, in welcher Weise er seine Beratungspflichten erfüllt haben will; begnügt er sich statt dessen mit einem bloßen Bestreiten, so gilt das Vorbringen des Mandanten als zugestanden.
2. Dem grundsätzlich beweispflichtigen Mandanten kann die Beweisführung nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises erleichtert sein. Ein Anscheinsbeweis für ein beratungsgemäßes Verhalten kommt aber nur dann in Betracht, wenn ein bestimmter Rat geschuldet war und es in der gegebenen Situation unvernünftig gewesen wäre, diesen Rat nicht zu befolgen. Die Regeln des Anscheinsbeweises sind dagegen unanwendbar, wenn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten verschiedene Entscheidungen ernsthaft in Betracht kommen und die Aufgabe des Beraters lediglich darin besteht, dem Mandanten durch die erforderlichen fachlichen Informationen eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen.
Normenkette
BGB § 675; StBerG § 33; ZPO § 138 Abs. 3, § 287
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 09.10.1997; Aktenzeichen 13 U 93/95) |
LG Düsseldorf (Urteil vom 22.02.1995; Aktenzeichen 16 O 530/93) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. Oktober 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte betreute die Eltern der Kläger, deren Erben diese sind, seit 1981 in ihren steuerlichen Angelegenheiten. Im Jahre 1967 hatte der Vater der Kläger auf der Grundlage der Bestimmungen des § 6 b EStG einen aus dem Verkauf eines Hotelgrundstücks erzielten Veräußerungsgewinn von rund 1,633 Mio. DM auf ein neu angeschafftes Hausgrundstück übertragen. Hierbei handelte es sich um ein Wohn- und Geschäftshaus mit zwölf Wohnungen und vier Ladenlokalen. Der Vater der Kläger betrieb darin von 1967 bis 1981 ein Reinigungsunternehmen. Außerdem übte die Mutter der Kläger dort im Namen ihres Ehemannes einen Kunstgewerbehandel aus. Nach ihrem Tod im Mai 1987 wurde ein Ausverkauf durchgeführt. Im Juli 1987 wurde das Ladenlokal für den Betrieb einer Modeboutique vermietet. Nach dem Tod des Vaters im Jahre 1989 erließ das Finanzamt aufgrund einer Betriebsprüfung einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1987, in dem der Ausverkauf als Betriebsaufgabe mit der Folge behandelt wurde, daß die Differenz zwischen dem Verkehrswert des Grundstücks und dem um den Veräußerungsgewinn aus dem Jahre 1967 verminderten Buchwert als Aufgabegewinn zu versteuern war. Insgesamt wurden Einkommen- und Kirchensteuern von 908.393 DM festgesetzt. Der Einspruch, den die Kläger gegen den Bescheid einlegten, blieb erfolglos; über die beim Finanzgericht erhobene Klage ist noch nicht entschieden.
Die Kläger verlangen vom Beklagten Schadensersatz. Sie werfen ihm vor, sein damaliger Mitarbeiter S. habe ihren Vater nicht oder nicht ausreichend über die steuerlichen Folgen einer Betriebsaufgabe und über Gestaltungsmöglichkeiten, durch die sie hätten vermieden werden können, aufgeklärt. Sie haben einen Betrag von 184.561,89 DM, den sie nach ihrer Behauptung zur Finanzierung der festgesetzten Steuerschuld aufgewandt haben, eingeklagt und Feststellung beantragt, daß der Beklagte ihnen sämtlichen Schaden zu ersetzen habe, der ihnen aus der „Aufdeckung der stillen Reserven (§ 6 b EStG 1967) per Mai 1987” entstanden sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat sie „dem Grunde nach (für) gerechtfertigt” erklärt. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Die Revision rügt allerdings zu Unrecht, das Berufungsgericht habe unzulässigerweise nicht nur den bezifferten Zahlungsanspruch, sondern auch den Feststellungsanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Der Urteilsausspruch legt zwar ein solches Verständnis nahe. Die Entscheidungsgründe lassen jedoch in Verbindung mit dem schriftsätzlichen Vorbringen der Kläger erkennen, daß das Berufungsgericht den Feststellungsanspruch nicht nur dem Grunde nach, sondern insgesamt für begründet erklären wollte (vgl. zu einer solchen Auslegung BGHZ 7, 331, 333 f; BGH, Urt. v. 14. Februar 1995 – VI ZR 272/93, NJW 1995, 1611, insoweit in BGHZ 129, 6 n. abgedr.). Der bezifferte Zahlungsanspruch betrifft, wie sich aus der von den Klägern mitgeteilten Berechnung des Klagebetrages ergibt, nur den konkret dargelegten Zinsschaden, der ihnen nach ihrer Behauptung durch die Begleichung der festgesetzten Steuerschuld entstanden sein soll. Der eigentliche Steuerschaden kann danach nur vom Feststellungsanspruch erfaßt sein. In den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ist aber gerade dargelegt, daß den Klägern ein Anspruch auf Ersatz dieses Schadens zustehe. Zwar wird sodann die Zurückverweisung an das Landgericht damit begründet, daß noch ermittelt werden müsse, welche Kosten durch die vom Berufungsgericht aus Steuerersparnisgründen für geboten gehaltene Übertragung des Grundbesitzes auf eine noch zu gründende Gesellschaft entstanden wären. Aber eine solche Feststellung des Schadensumfangs war schon zur Berechnung des davon abhängigen Zinsschadens erforderlich. Daß auch die Entscheidung über den Feststellungsanspruch von der Höhe des entstandenen Steuerschadens abhängig gemacht werden sollte, ist nach dem Gesamtinhalt der Entscheidungsgründe nicht anzunehmen.
II.
In der Sache selbst hat die Revision jedoch Erfolg.
1. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist freilich die Annahme des Berufungsgerichts, daß der Vater der Kläger jedenfalls nicht in ausreichendem Maße über Möglichkeiten, eine Aufdeckung und Versteuerung des vom Buchwert nicht gedeckten tatsächlichen Werts des bisherigen Betriebsgrundstücks zu vermeiden, aufgeklärt worden sei. Dabei ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß derjenige, der einen Steuerberater wegen fehlerhafter oder unzureichender Beratung auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, die behauptete Pflichtverletzung zu beweisen hat. Etwaige Schwierigkeiten, mit denen der Beweis eines in einem Unterlassen bestehenden Verhaltens verbunden sein kann, sind dadurch auszugleichen, daß der Steuerberater zunächst im einzelnen darzulegen hat, in welcher Weise er seine Beratungspflichten erfüllt haben will; begnügt er sich statt dessen mit einem bloßen Bestreiten, so gilt das Vorbringen des Mandanten als zugestanden (BGH, Urt. v. 11. Mai 1995 – IX ZR 130/94, WM 1995, 1500, 1501; v. 4. Juni 1996 – IX ZR 246/95, WM 1996, 1841, 1842). Allerdings hätte das Berufungsgericht – darin hat die Revision recht – auf eine unzureichende Erfüllung der Beratungspflichten nicht daraus schließen dürfen, daß die Aussage des in beiden Vorinstanzen vernommenen Zeugen S. unergiebig gewesen sei; dieser war seinerzeit Angestellter des Beklagten und als solcher für die Betreuung der Eltern der Kläger zuständig. Auch wenn nicht der Beklagte persönlich, sondern jener Zeuge die behaupteten Beratungsgespräche geführt hat, wird dieser dadurch nicht zur Partei des Rechtsstreits. Dafür, ob der Beklagte seiner Darlegungslast genügt hat, ist allein sein Sachvortrag maßgeblich.
Indessen ergibt sich bereits aus dem eigenen Vorbringen des Beklagten, daß der Vater der Kläger nicht ausreichend über die zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten und deren Vor- und Nachteile belehrt worden ist. S. hat danach von sich aus lediglich zwei solche Möglichkeiten – Fortführung des Gewerbebetriebs der Mutter durch die Klägerin zu 1 und „Selbstnutzung” des Gebäudes zu Wohnzwecken – erwähnt, die aber, wie er selbst nach dem Vortrag des Beklagten bereits damals erkannte und auch deutlich machte, entweder aus tatsächlichen Gründen nicht zu verwirklichen oder mit erheblichen rechtlichen Risiken belastet waren. Die weitere Möglichkeit der Einbringung des Gewerbebetriebs in eine Kapitalgesellschaft soll der an den damaligen Besprechungen beteiligte Kläger zu 2 ins Gespräch gebracht haben. Der Beklagte hat dazu nur vorgetragen, S. habe diese Variante für wirtschaftlich nicht sinnvoll gehalten, weil durch eine solche Maßnahme die „Entstrickung” des Grundstücks nur in die Zukunft verschoben und die Steuerlast wegen des Wertzuwachses vergrößert werde. Dieses Vorbringen läßt indessen nicht erkennen, daß S. den damals offenbar für den Vater handelnden Kläger zu 2 über alle Vor- und Nachteile eines derartigen Weges aufgeklärt hat, so daß dieser sie eigenverantwortlich abwägen und auf dieser Grundlage seine Entscheidung treffen konnte. Eine solche umfassende Beratung war erforderlich. Daß der Kläger zu 2 selbst Jurist ist und damals bei der Finanzverwaltung tätig war ändert daran nichts (vgl. BGH, Urt. v. 17. November 1994 – IX ZR 208/93, WM 1995, 212, 213 f m.w.N.).
Damit erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte, der sich das Verhalten seines Angestellten gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muß, habe seine Beratungspflicht nicht ausreichend erfüllt, letztlich als richtig.
2. Es fehlt jedoch, wie die Revision zutreffend beanstandet, an einer verfahrensfehlerfreien Feststellung, daß der in der Steuerbelastung liegende Schaden bei pflichtgemäßer Beratung nicht eingetreten wäre. Das Berufungsgericht hat dazu nur ausgeführt, bei zutreffender Belehrung hätte der Vater der Kläger sich im Zweifel „für eine jener Gestaltungsmöglichkeiten” – gemeint sind offenbar die vom Sachverständigen genannten – entschieden, mit denen die Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven vermieden worden wäre; den dahingehenden Anscheinsbeweis habe der Beklagte nicht entkräftet. Das reicht in einem Fall wie dem vorliegenden zur Feststellung des Ursachenzusammenhangs zwischen Pflichtwidrigkeit und entstandenem Schaden nicht aus. Dem insoweit grundsätzlich beweispflichtigen Mandanten kann zwar die Beweisführung nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises erleichtert sein. Ein Anscheinsbeweis für ein beratungsgemäßes Verhalten kommt aber nur dann in Betracht, wenn ein bestimmter Rat geschuldet war und es in der gegebenen Situation unvernünftig gewesen wäre, diesen Rat nicht zu befolgen (BGHZ 123, 311, 314 f; BGH, Urt. v. 9. November 1995 – IX ZR 161/94, WM 1996, 71, 73). Die Regeln des Anscheinsbeweises sind dagegen unanwendbar, wenn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten verschiedene Entscheidungen ernsthaft in Betracht kommen und die Aufgabe des Beraters lediglich darin besteht, dem Mandanten durch die erforderlichen fachlichen Informationen eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen.
Der vom Berufungsgericht hinzugezogene Sachverständige hat zwar die ihm gestellte Frage, ob durch die Einbringung des Betriebs in eine zu diesem Zweck zu gründende Gesellschaft die Entstehung und Versteuerung eines Aufgabegewinns hätte vermieden werden können, im Grundsatz bejaht. Er hat aber auch auf die bei der Entscheidung für eine solche Gestaltung zu bedenkenden Nachteile hingewiesen. Diese bestehen bei der Einbringung in eine GmbH vor allem darin, daß eine Kapitalgesellschaft gewerbesteuerpflichtig ist und vermögensteuerpflichtig war. Ferner geht durch die Einbringung des Grundvermögens in eine solche Gesellschaft der Vorteil, den Aufgabegewinn zu einem ermäßigten Steuersatz versteuern zu können, verloren; das führt im Fall einer etwaigen späteren Veräußerung zu einer Besteuerung nach dem normalen Steuersatz, und zwar unter Zugrundelegung einer bis dahin möglicherweise eingetretenen weiteren Wertsteigerung. Schließlich wären nach den Ausführungen des Sachverständigen die bei Gründung einer GmbH und Übertragung des Grundstücks auf die Gesellschaft entstandenen Gründungskosten sowie die Grunderwerbsteuer zu berücksichtigen gewesen. Ähnliche Nachteile hat der Sachverständige für die Einbringung in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft aufgezeigt. Er hat aus seiner Erfahrung berichtet, daß aus diesen Gründen manche Mandanten die sofortige Versteuerung des Aufgabegewinns vorziehen. In der Fachliteratur ist die Auffassung vertreten worden, daß sich jedenfalls eine GmbH in der Regel nicht als „Auffanggesellschaft” anbiete (Ehlers DStZ 1987, 557, 561).
Darüber hinaus war unter den hier gegebenen Umständen ein Versuch, die Betriebszugehörigkeit des Grundstücks durch Einbringung in eine Gesellschaft zu „verewigen”, mit nicht unerheblichen rechtlichen Risiken behaftet. Die Fortführung der Buchwerte setzte nach § 20 UmwStG voraus, daß der Betrieb als solcher eingebracht wurde. Erforderlich ist dazu die Übertragung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen auf die Gesellschaft; die Einbringung einzelner Wirtschaftsgüter genügt nicht (Dehmer, Umwandlungsgesetz/Umwandlungssteuergesetz 2. Aufl. § 20 UmwStG Rn. 6 f; vgl. auch BFH BStBl. II 1982, 707, 709 f und 1992, 380 f). Ob von den wesentlichen Grundlagen eines „Betriebs” noch gesprochen werden kann, wenn, wie es hier der Fall gewesen wäre, gar nicht beabsichtigt ist, den bisherigen Betrieb durch die neu zu gründende Gesellschaft fortzuführen, ist zumindest nicht unzweifelhaft. Wenn auch eine neu gegründete Gesellschaft später den bisherigen Betrieb aufgeben und sich beispielsweise auf die Grundstücksvermietung beschränken konnte – auch dies hätte bei ihr zu gewerblichen Einkünften geführt –, so bleibt es doch dabei, daß die Anwendung des § 20 UmwStG zunächst einmal die Einbringung des ursprünglichen „Betriebs” erforderte.
Der Beklagte hat ferner behauptet, die Mutter der Kläger habe mit ihrem Kunstgewerbehandel schon seit Jahren ausschließlich Verluste erwirtschaftet (GA 263). Trifft das zu, wovon mangels abweichender Feststellungen für die Revisionsinstanz auszugehen ist, so bestand die Gefahr, daß die Finanzverwaltung anläßlich der Gründung einer eigenen Gesellschaft für die verlustbringende Tätigkeit besonders sorgfältig prüfte, ob die Gesellschaftsgründung einen wirtschaftlichen Sinn hatte oder nicht vielmehr ausschließlich der Steuerersparnis diente.
Berücksichtigt man all diese Umstände, so kann keine Rede davon sein, daß die Gründung einer Gesellschaft in der damaligen Situation die einzige vernünftige Entscheidung gewesen wäre. Die Regeln des Anscheinsbeweises sind deshalb zur Beantwortung der Frage, wie sich der Vater der Kläger bei umfassender Beratung verhalten hätte, nicht anwendbar.
III.
Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Es bedarf in der Frage der Ursächlichkeit der unzulänglichen Beratung für den eingetretenen Steuerschaden einer umfassenden tatrichterlichen Würdigung. Damit diese – gegebenenfalls nach einer ergänzenden Beweiserhebung – vorgenommen werden kann, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Paulusch, Kreft, Stodolkowitz, Zugehör, Ganter
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 10.12.1998 durch Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 609798 |
BB 1999, 287 |
DB 1999, 424 |
DStRE 1999, 935 |
HFR 1999, 745 |
NJW-RR 1999, 641 |
EWiR 1999, 199 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 645 |
WuB 1999, 1139 |
MDR 1999, 446 |
VersR 1999, 498 |
BRAK-Mitt. 1999, 74 |
WPK-Mitt. 1999, 199 |