Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründung eines Wohnsitzes bei Benutzung einer sog. Stand-by-Wohnung im zeitlichen Wechsel mit anderen Personen
Leitsatz (redaktionell)
- Eine Person, die eine Wohnung im ständigen Wechsel mit anderen Personen nutzt, begründet dort regelmäßig keinen Wohnsitz i.S.d. § 8 AO.
- Ein Innehaben der Wohnung liegt nur vor, wenn der Nutzer jederzeit die Möglichkeit hat auf die Wohnung zuzugreifen, auch wenn dies, wie etwa bei einer Gemeinschaftsunterkunft bzw. einer Wohngemeinschaft räumlich begrenzt ist.
Normenkette
EStG § 41c Abs. 4 S. 2; AO § 8
Streitjahr(e)
2003, 2004, 2005, 2006
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Pilot, der seinen Familienwohnsitz in X
( europäisches Nicht-EU-Land ) hat, in Deutschland gemäß § 8 der Abgabenordnung (AO) einen weiteren Wohnsitz und damit gemäß § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die unbeschränkte Steuerpflicht dadurch begründet, dass er in der Nähe des Flughafens M ( Bundesrepublik Deutschland ) im Wechsel mit anderen Piloten eine sogenannte standby-Wohnung benutzt. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Kläger ist X…er Staatsbürger. Seinen Hauptwohnsitz hat er in …/X. Er ist seit dem Monat … 2004 verheiratet und hat … Kinder (geboren am …).
Ursprünglich war der Kläger bei der … Fluggesellschaft als Pilot beschäftigt. …
Am ...2002 erhielt er von der … Fluggesellschaft F eine unbefristete Anstellung als Copilot mit Einsatzflughafen M. Aufgrund innerbetrieblicher Regelungen der F war er verpflichtet, in der Nähe des Flughafens M eine Unterkunft zu unterhalten, von der er seinen Flugdienst innerhalb eines Zeitraums von 60 Minuten nach einer entsprechenden Benachrichtigung antreten konnte. Um dieser Verpflichtung zu genügen, traf er mit anderen Piloten eine Vereinbarung, eine Wohnung zur wechselseitigen Nutzung anzumieten.
Entsprechend dieser Vereinbarung schloss Herr A, ebenfalls X…er Staatsbürger mit Wohnsitz in X, als Hauptmieter mit den Eheleuten K am ...2002 einen Mietvertrag über die Eigentumswohnung mit der Nr. … auf dem Grundstück … in R, bestehend aus vier Zimmern, Flur, einer Küche, zwei Bädern, einem Keller, dazugehörigem Garten und einem Abstellplatz. Des Weiteren übernahm er in einer als Kaufvertrag bezeichneten Vereinbarung von dem früheren Mieter der Wohnung die vorhandene Einbauküche zu einem Preis von … € sowie die angebrachte Tapete zu einem Preis von … €.
Die zu der Wohnung gehörenden Räume verteilen sich auf das Erdgeschoss sowie das Kellergeschoss. Beide Geschosse sind mit einer innerhalb der Wohnung befindlichen Wendeltreppe miteinander verbunden. Im Erdgeschoss befinden sich eine Diele, ein Schlafzimmer, ein Bad sowie ein größerer Raum, der – ohne bauliche Abtrennung – zum einen als Küche und zum anderen als Wohn- und Esszimmer genutzt werden kann. Im Kellergeschoss befinden sich zwei weitere Schlafzimmer, ein Bad und ein Flur. Im Vergleich zu den Räumen im Erdgeschoss haben die Räume im Untergeschoss jeweils eine kleinere Grundfläche. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Planzeichnungen in der die Eigentumswohnung betreffenden Einheitswertakte sowie auf die von dem Kläger vorgelegte Wohnungsskizze (Anlage 2 zum Klageschriftsatz) Bezug genommen.
Der Kläger stellte beim Finanzamt für Großunternehmen in … für die Streitjahre 2003 bis 2006 jeweils einen Antrag auf die Erteilung einer Bescheinigung für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer. Auf den betreffenden Antrag stellte das genannte Finanzamt für die Fluggesellschaft F gemäß § 39d i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 5 EStG eine Bescheinigung aus, wonach bei der Berechnung der Lohnsteuer ein bestimmter Betrag vom Arbeitslohn als steuerfrei abzuziehen war.
Im Jahr 2007 führte die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts … gemäß § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO eine steuerliche Außenprüfung bei dem Kläger durch. Dabei gelangte die Prüferin zu der Auffassung, durch die Nutzung der standby-Wohnung habe der Kläger gemäß § 8 AO einen Wohnsitz im Inland begründet mit der Folge, dass er in Deutschland nicht nur den Inlandsanteil seines Arbeitslohns, sondern seine gesamten Einkünfte zu versteuern habe (Bericht vom 26.02.2008). Das beklagte Finanzamt folgte der Auffassung der Prüferin und erließ am 06.03.2008 gegenüber dem Kläger einen
Lohnsteuernachforderungsbescheid. Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, Einspruch ein. Zur Begründung machte er in erster Linie geltend, entgegen der Annahme des Finanzamts seien die Merkmale eines Wohnsitzes im Inland nicht gegeben. Des Weiteren machte er (hilfsweise) geltend, bei den Besteuerungsgrundlagen müssten noch verschiedene Abzugsbeträge berücksichtigt werden. Aufgrund dessen erließ das Finanzamt am 18.09.2008 sowie am 12.03.2009 Änderungsbescheide, in denen es die zuvor festgesetzten Lohnsteuernachforderungsbeträge herabsetzte. Die Berechnung in ...