Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Anpassung eines Ehevertrags aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: IX R 4/23)
Leitsatz (redaktionell)
Die Rückgängigmachung eines Vertrages aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB führt nur dann zu einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, wenn der Rechtsgrund für den Wegfall der Geschäftsgrundlage im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt war. Um einen bereits verwirklichten Sachverhalt nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit steuerlicher Rückwirkung wieder entfallen zu lassen, muss ein nicht am Vertragsschluss beteiligter Dritter, der die Vertragsgrundlagen nicht ohne Weiteres kennen kann, auch tatsächlich erkennen, dass die dem Abschluss des Rechtsgeschäfts zugrundeliegenden Umstände bereits im Rechtsgeschäft angelegt waren. Es ist daher nicht ausreichend, dass bloße Umstände, die eine Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB darstellen, ohne weitere erkennbare Anknüpfungspunkte zur Rückgängigmachung des Rechtsgeschäfts geführt haben. Die von den Vertragsparteien gemeinsam zur Vertragsgrundlage gemachten Umstände dürfen daher nicht nur einmal zwischen diesen Parteien angesprochen worden sein. Eine solche Vertragsgrundlage muss für sich allein erkennbar sein. Sie muss sich also zumindest aus sonstigen, im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Rechtsgeschäfts stehenden Quellen ergeben. Hierfür können beispielsweise im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Rechtsgeschäfts erstellte Dokumente herangezogen werden oder auch Aussagen eines nicht am Vertragsschluss beteiligten Dritten.
Normenkette
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; BGB §§ 313, 364 Abs. 1; EStG § 17
Tatbestand
Streitig ist, ob eine aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfolgte Vertragsanpassung ein rückwirkendes Ereignis darstellt, das einen entstandenen Veräußerungsgewinns gem. § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit entfallen lässt.
Die Kläger sind seit dem Jahr 1997 – und auch weiterhin – verheiratet und wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Nach einer erbschaftsteuerrechtlichen Beratung durch einen Notar entschieden die Kläger im Streitjahr 2019, abweichend vom gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft eine Gütertrennung zu vereinbaren. Es war angedacht, den dadurch entstehenden Zugewinnausgleichsanspruch durch Übertragung von Anteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu erfüllen. Da die Kläger sichergehen wollten, dass dies keine Steuer auslöst, ließen sie sich von ihrem Steuerberater – dem Prozessbevollmächtigten – diesbezüglich beraten. In einem gemeinsamen Gespräch mit den Klägern erteilte der Steuerberater die Auskunft, dass die Übertragung der Anteile keine Einkommensteuer auslöse. Die Ergebnisse dieser Besprechung fasste der Steuerberater in einem an die Kläger gerichteten Schreiben vom…2019 zusammen.
Im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an dieses Beratungsgespräch schlossen die Kläger am…2019 (14 Tage nach dem Schreiben des Steuerberaters) einen notariellen Ehevertrag nebst Zugewinnausgleichsvereinbarung (nachfolgend “Ehevertrag”) ab. Hierin vereinbarten sie die Gütertrennung (§ 1 des Ehevertrages) und setzten einvernehmlich einen Zugewinnausgleichsanspruch der Klägerin gegenüber dem Kläger in Höhe von…Mio. EUR fest (§ 4 des Ehevertrages). Der Kläger erklärte, dass er Gesellschafter der…GmbH (GmbH) sei und dass er die Geschäftsanteile Nr. 1 bis 12.500 im Nennbetrag von jeweils…EUR halte. Die Kläger erklärten übereinstimmend, dass der Verkehrswert der Geschäftsanteile insgesamt…Mio. EUR (also…EUR je Geschäftsanteil) betrage (§ 5 Ziff. 1 des Ehevertrages). Zur Erfüllung des Zugewinnausgleichsanspruchs aus § 4 des Ehevertrages übertrug der Kläger die Geschäftsanteile Nr. 8.301 bis Nr. 12.500 im Nennbetrag von insgesamt…EUR an die Klägerin und trat die benannten Geschäftsanteile an die Klägerin ab. Die Klägerin nahm die Übertragung und Abtretung an. Die Kläger erklärten, dass damit der Zugewinnausgleichsanspruch der Klägerin in Höhe von…Mio. EUR abgedeckt sei. Den weitergehenden Betrag von…EUR habe die Klägerin am Tag des Vertragsschlusses in bar vom Kläger ausgezahlt bekommen (§ 5 Ziff. 3 des Ehevertrages). Der Notar wies die Kläger darauf hin, dass er eine steuerrechtliche Beratung nicht durchgeführt, deren Einholung jedoch empfohlen und auf eine mögliche Grunderwerbsteuer- und Schenkungsteuerpflicht hingewiesen habe (§ 6 Ziff. 4 des Ehevertrages). Die Kläger vereinbarten, dass sie die Kosten der Vereinbarung und ihrer Durchführung gemeinsam tragen (§ 6 Ziff. 7 des Ehevertrages). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Ehevertrag vom…2019 Bezug genommen.
Im Rahmen eines Einspruchsverfahrens gegen den Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer 2019 vom…2019, in dem der Beklagte den Vorgang nach § 17 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 5 EStG der Besteuerung unterwarf und entsprechend...