Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung der Disziplinarmaßnahme. nicht angeschuldigte belastende Umstände. Beamtendisziplinarrecht. Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Gerichtsvollzieherin. Beiseiteschaffen von Akten. Verwahrungsbruch. verminderte Schuldfähigkeit. erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit. depressive Erkrankung. Bindung des Verwaltungsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils. Berücksichtigung eines nicht angeschuldigten Pflichtenverstoßes bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme. nicht aufklärbarer Entlastungsvortrag. Grundsatz „in dubio pro reo”. persönlichkeitsfremde Augenblickstat. Überwindung einer schwierigen Lebensphase. Rückfallprophylaxe. psychotherapeutische Behandlung. Sachaufklärungspflicht. Überzeugungsgrundsatz. Zurückverweisung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein schuldhafter Verstoß gegen Dienstpflichten, der dem Beamten nicht in der Disziplinarklageschrift als Tatvorwurf zur Last gelegt wird, kann jedenfalls dann als erschwerender Umstand bei der Maßnahmebemessung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG/LDG Bbg berücksichtigt werden, wenn sein Gewicht erheblich hinter dem angeschuldigten Dienstvergehen zurückbleibt.
2. Der Beamte hat eine negative Lebensphase während des Tatzeitraums überwunden, wenn die Gesamtbetrachtung der Lebensverhältnisse ergibt, dass er nicht mehr „aus der Bahn geworfen” ist. Dies kann bei der Maßnahmebemessung mildernd berücksichtigt werden, weil die Überwindung der negativen Lebensphase im Regelfall den Schluss zulässt, der Beamte werde gleichartige, auf die damaligen Lebensverhältnisse zurückzuführende Dienstpflichtverletzungen voraussichtlich nicht mehr begehen.
Normenkette
LDG Bbg § 13 Abs. 1 Sätze 2-4, § 53 Abs. 1 S. 2, § 58 Abs. 1 S. 1, § 59 Abs. 1, § 61 Abs. 2 Sätze 1, 2 Nr. 1, § 70; BDG § 13 Abs. 1 Sätze 2-4, § 52 Abs. 1 S. 2, § 57 Abs. 1 S. 1, § 58 Abs. 1, § 60 Abs. 2 Sätze 1, 2 Nr. 1; StGB §§ 20-21; VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, § 108 Abs. 1 S. 1, § 132 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 133 Abs. 6
Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 25.03.2014; Aktenzeichen 81 D 3.11) |
VG Potsdam (Entscheidung vom 19.04.2011; Aktenzeichen 17 K 1401/08.OL) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. März 2014 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit nach § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Beklagte hat dargelegt, dass das Berufungsurteil auf Verfahrensmängeln im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruht. Dagegen hat die Beklagte nicht dargelegt, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen ist. §§ 132 und 133 VwGO sind nach § 70 des Landesdisziplinargesetzes Brandenburg – LDG Bbg – vom 18. Dezember 2001 (GVBl I S. 254) anwendbar.
Die Beklagte war von 1996 bis 2003 als Gerichtsvollzieherin im Dienst des Klägers tätig. In den Jahren 2002 und 2003 war sie längere Zeit krankheitsbedingt dienstunfähig. Von Oktober 2003 bis zur vorläufigen Dienstenthebung 2008 war sie im mittleren Justizdienst eines Amtsgerichts eingesetzt.
Die Beklagte war während ihrer Tätigkeit als Gerichtsvollzieherin zunehmend nicht mehr in der Lage, das ihr zugewiesene hohe Arbeitspensum zu bewältigen, das teilweise das Eineinhalbfache des regulären Pensums betrug. Ihre Amtsführung war Gegenstand zahlreicher dienstlicher Beanstandungen, Dienstaufsichtsbeschwerden und Sachstandsanfragen sowie eigener Überlastungsanzeigen der Beklagten. Wegen einer Krebserkrankung war sie seit Juni 2002 dienstunfähig. Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten musste sie die 1997 geborene gemeinsame Tochter alleine betreuen. Die Beklagte litt an einer depressiven Erkrankung, aufgrund derer sie außerstande war, die sozialen, häuslichen und beruflichen Tätigkeiten in dem üblichen Umfang wahrzunehmen.
Im März 2003 ließ die Beklagte ihren gesamten dienstlichen Aktenbestand (ca. 12 000 Akten) beiseiteschaffen. Deswegen wurde sie im November 2007 wegen Verwahrungsbruchs rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Das Landgericht legte der Verurteilung das Vorbringen der Beklagten zum Tathergang zugrunde. Danach sei sie am Tattag in verzweifelter Stimmung gewesen und habe sich mit Selbstmordabsichten getragen. In dieser Situation habe ihr ein Bekannter, der unvorhergesehen in ihrem Büro vorbeigekommen sei, spontan vorgeschlagen, die im Keller gelagerten Akten wegzuschaffen. Der Bekannte habe dies mit ihrer Zustimmung sofort in die Tat umgesetzt. Den Namen des Bekannten nannte die Beklagte nicht. Auch gab sie an, nicht zu wissen, wohin dieser die Akten gebracht habe. Das Landgericht berücksichtigte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens strafmildernd, dass die Steuerungsfähigkeit der Beklagten zum Tatzeitpunkt aufgrund der schweren depressiven Erkrankung erheblich vermindert gewesen sei.
Auf die Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte aus dem Beamtenverhältnis entfernt; das Oberverwaltungsgericht hat ihre Berufung zurückgewiesen. In den Gründen des Berufungsurteils heißt es im Wesentlichen, durch das Beiseiteschaffen des Aktenbestandes habe die Beklagte ihre Dienstpflichten in gravierender Weise vorsätzlich verletzt. Trotz des Handelns im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit könne sie nicht Beamtin bleiben, weil Erschwerungsgründe von erheblichem Gewicht vorlägen. Die Beklagte habe in den ungefähr 80 offenen Verfahren die Rechtsverfolgung für die Vollstreckungsgläubiger erheblich erschwert. Durch ihr Vorgehen habe sie Dienstaufsichtsbeschwerden und Sachstandsanfragen in Bezug auf diese Verfahren verschleiern wollen. Sie habe eine Beseitigung der Akten nach den Vorgaben des Datenschutzrechts unmöglich gemacht. Schließlich habe sich die Beklagte bis September 2003 geweigert, an der Rekonstruktion der Akten mitzuwirken. Die Beklagte habe stets in voller Kenntnis der Bedeutung ihrer Dienstpflichten und der Folgen der Nichtbeachtung gehandelt.
Der Milderungsgrund der persönlichkeitsfremden Augenblickstat greife nicht ein. Es sei bereits unglaubhaft, dass der Abtransport des Aktenbestandes auf einem spontanen Entschluss beruht habe. Hierfür sei ein vorgefasster Plan erforderlich gewesen. Insbesondere die Weigerung, zur Rekonstruktion der Akten beizutragen, belege, dass das Vorgehen der Beklagten auch nicht persönlichkeitsfremd gewesen sei. Die schwierige Lebensphase zum Tatzeitpunkt könne nicht mildernd berücksichtigt werden, weil sie nicht vollständig überwunden sei. Bei Wiederaufnahme der Tätigkeit als Gerichtsvollzieherin könne ein depressiver Rückfall nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann (stRspr; vgl. Beschluss vom 24. Januar 2011 – BVerwG 2 B 2.11 – NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4).
Die von der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfragen, auf deren Prüfung der Senat nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO beschränkt ist, erfüllen diese Voraussetzungen nicht:
a) Die Frage nach dem Umfang der Bindung der Verwaltungsgerichte an die tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 LDG Bbg, der wörtlich mit § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG übereinstimmt, sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Verwaltungsgericht bindend. Diese Bindungswirkung soll verhindern, dass zu ein- und demselben Sachverhalt unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung den Strafgerichten zu übertragen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass tatsächliche Feststellungen, die ein Gericht auf der Grundlage eines Strafprozesses mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Sicherungen trifft, eine erhöhte Gewähr der Richtigkeit bieten. Daher haben die Verwaltungsgerichte die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ihrer Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen, soweit die Bindungswirkung reicht. Sie sind insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Feststellungen zu treffen. Die Bindungswirkung entfällt nur, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind (stRspr; vgl. nur Urteil vom 28. Februar 2013 – BVerwG 2 C 3.12 – BVerwGE 146, 98 = Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 19 jeweils Rn. 13).
Die Begrenzungen der gesetzlich angeordneten Bindungswirkung ergeben sich aus deren tragendem Grund: Die erhöhte Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des Strafprozesses kann nur für diejenigen tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils angenommen werden, die sich auf die Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Strafnorm beziehen. Die Feststellungen müssen entscheidungserheblich für die Beantwortung der Frage sein, ob der objektive und subjektive Straftatbestand erfüllt ist. Im Falle einer Verurteilung müssen sie diese tragen. Dagegen binden Feststellungen nicht, auf die es für die Verurteilung nicht ankommt (Urteile vom 8. April 1986 – BVerwG 1 D 145.85 – BVerwGE 83, 180 und vom 29. Mai 2008 – BVerwG 2 C 59.07 – juris Rn. 29 insoweit in Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 nicht abgedruckt; Beschluss vom 1. März 2012 – BVerwG 2 B 120.11 – juris Rn. 13).
Das Oberverwaltungsgericht hat diese inhaltliche Begrenzung der gesetzlich angeordneten Bindungswirkung beachtet. Es hat die Feststellungen des Strafurteils zu den ungefähr 80 beiseite geschafften Akten über nicht erledigte Verfahren, auf die es den erschwerenden Umstand des Handelns aus Eigennutz bzw. in Verschleierungsabsicht gestützt hat, ausdrücklich als „nicht bindend” bezeichnet. Vielmehr hat es diese Feststellungen mit der Begründung verwertet, die Beklagte habe sie nicht in Frage gestellt.
b) Die Frage, ob ein erschwerender Umstand, der dem Beamten in der Disziplinarklageschrift nicht als Pflichtenverstoß zur Last gelegt wird, bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme berücksichtigt werden darf, kann, soweit hier entscheidungserheblich, aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden.
Nach § 53 Abs. 1 Satz 2 LDG Bbg, der wörtlich mit § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG übereinstimmt, muss die Disziplinarklageschrift unter anderem die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Klageschrift muss die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich darlegen. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe müssen nachvollziehbar beschrieben werden. Nur eine derartige Konkretisierung der disziplinarischen Vorwürfe ermöglicht dem Beamten eine sachgerechte Verteidigung. Daran anknüpfend bestimmt § 61 Abs. 2 Satz 1 LDG Bbg (§ 60 Abs. 2 Satz 1 BDG), dass bei einer Disziplinarklage nur Handlungen zum Gegenstand einer Urteilsfindung gemacht werden dürfen, die dem Beamten in der Klage oder in der Nachtragsdisziplinarklage zur Last gelegt werden (stRspr; vgl. Urteil vom 25. Januar 2007 – BVerwG 2 A 3.05 – Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 27 f.).
Aus diesen Regelungen folgt, dass Streitgegenstand des Disziplinarklageverfahrens der Anspruch des Dienstherrn ist, gegen den angeschuldigten Beamten die erforderliche Disziplinarmaßnahme für die in der Disziplinarklageschrift zur Last gelegten Handlungen zu bestimmen. Dieser Disziplinaranspruch besteht, wenn der Beamte die angeschuldigten Handlungen nach der Überzeugung des Gerichts ganz oder teilweise vorsätzlich oder fahrlässig begangen hat, die nachgewiesenen Handlungen als Dienstvergehen zu würdigen sind, und dem Ausspruch der Disziplinarmaßnahme kein rechtliches Hindernis entgegensteht (Urteil vom 28. Juli 2011 – BVerwG 2 C 16.10 – BVerwGE 140, 185 = Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 18 jeweils Rn. 17).
Soweit keine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils besteht, klären die Verwaltungsgerichte nach § 86 Abs. 1 VwGO, § 59 Abs. 1 LDG Bbg (§ 58 Abs. 1 BDG) auf, ob der Beamte die ihm in der Disziplinarklageschrift als Dienstvergehen vorgeworfenen Handlungen begangen hat. Es hat diejenigen Maßnahmen zur Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen, und würdigt die Beweise. Eine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen und disziplinarrechtlichen Wertungen des Dienstherrn besteht nicht (stRspr; vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 20).
Der Bedeutungsgehalt des § 61 Abs. 2 Satz 1 LDG Bbg (§ 60 Abs. 2 Satz 1 BDG) besteht darin, im Zusammenwirken mit § 53 Abs. 1 Satz 2 LDG Bbg (§ 52 Abs. 1 Satz 2 BDG) den Streitgegenstand des Disziplinarklageverfahrens und damit den geltend gemachten Disziplinaranspruch des Dienstherrn in tatsächlicher Hinsicht zu konkretisieren. Die Verwaltungsgerichte können eine Disziplinarmaßnahme nur wegen derjenigen Handlungen verhängen, die der Dienstherr in der Disziplinarklageschrift anführt. Nur auf diese Handlungen kann eine disziplinarrechtliche Verurteilung gestützt werden. Gelingt dem Dienstherrn ihr Nachweis nicht, ist die Disziplinarklage abzuweisen (§ 61 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 LDG Bbg, § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BDG). Halten die Verwaltungsgerichte ein Dienstvergehen für erwiesen, erkennen sie nach § 61 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 LDG Bbg (§ 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BDG) auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme.
Dagegen lassen sich § 61 Abs. 2 Satz 1 LDG Bbg (§ 60 Abs. 2 Satz 1 BDG) in Verbindung mit § 53 Abs. 1 Satz 2 LDG Bbg (§ 52 Abs. 1 Satz 2 BDG) im Falle des Nachweises der angeschuldigten Handlungen keine Vorgaben dafür entnehmen, welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist. Deren Bemessung richtet sich ausschließlich nach den Vorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG Bbg (BDG). Diese Regelungen geben den Verwaltungsgerichten auf, die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Tatsachen zu bestimmen, die im Einzelfall für die Schwere des Dienstvergehens, das Persönlichkeitsbild des Beamten und den Umfang der Beeinträchtigung des in ihn gesetzten Vertrauens bedeutsam sind. In diesem Rahmen hat sich die Würdigung auf alle erschwerenden und mildernden Umstände zu erstrecken (vgl. zum Verhältnis der gesetzlichen Kriterien: Urteil vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26 f.).
Das gesetzliche Gebot der Gesamtwürdigung trägt dem Zweck der disziplinarrechtlichen Sanktionierung Rechnung. Diese besteht darin, die Integrität des Berufsbeamtentums und die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung aufrechtzuerhalten. Daher ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, ob ein Beamter, der in vorwerfbarer Weise gegen Dienstpflichten verstoßen hat, nach seiner Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist und falls dies zu bejahen ist, durch welche Disziplinarmaßnahme auf ihn eingewirkt werden muss, um weitere Verstöße zu verhindern (stRspr; vgl. Urteile vom 3. Mai 2007 – BVerwG 2 C 9.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 16; vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 23 und vom 25. Juli 2013 – BVerwG 2 C 63.11 – BVerwGE 147, 229 Rn. 21).
Daraus folgt zwingend, dass das sonstige, insbesondere das dienstliche Verhalten des Beamten vor und nach der Begehung der angeschuldigten Handlungen in die Gesamtwürdigung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG Bbg (BDG) einbezogen werden muss.
Auch bei der Maßnahmebemessung sind die Verwaltungsgerichte nicht an tatsächliche Feststellungen und disziplinarrechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden. Sie haben die bemessungsrelevanten Gesichtspunkte selbst aufzuklären und zu würdigen. Ein Verstoß gegen das Gebot erschöpfender Sachaufklärung führt zwangsläufig dazu, dass die Bemessungsentscheidung, d.h. die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme, unvollständig und damit rechtswidrig ist (stRspr; vgl. Urteile vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 17 und vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 21).
Diese Anforderungen an die Bemessung der Disziplinarmaßnahme durch die Verwaltungsgerichte schließen deren Bindung an den Inhalt der Disziplinarklageschrift in Bezug auf die bemessungsrelevanten Gesichtspunkte aus. Dies gilt für erschwerende und mildernde Umstände gleichermaßen. Anderenfalls könnte das gesetzliche Gebot, die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu bestimmen, nicht erfüllt werden. Vielmehr hätte es der Dienstherr in der Hand, durch den Inhalt der Disziplinarklageschrift festzulegen, welche bemessungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt oder außer Acht gelassen werden. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob dies auch für Erschwerungsgründe gilt, die ihrerseits einen Pflichtenverstoß von einer Schwere darstellen, die nicht wesentlich hinter derjenigen der angeschuldigten Handlungen zurückbleibt.
Nach alledem hat das Oberverwaltungsgericht bei der Maßnahmebemessung zu Lasten der Beklagten die in der Disziplinarklageschrift nicht angeführten Umstände berücksichtigen dürfen, dass die Beklagte bis September 2003 weder die für die Rekonstruktion der Akten erforderlichen Computerdisketten herausgegeben noch den Zugang zu ihrem Dienstcomputer ermöglicht hat, obwohl diese Tatsachen nicht in der Disziplinarklageschrift aufgeführt sind.
c) Die Frage, welche inhaltlichen Anforderungen die Verwaltungsgerichte an den nicht weiter aufklärbaren Entlastungsvortrag des Beamten stellen darf, kann aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu dem Grundsatz „in dubio pro reo” beantwortet werden.
Es ist geklärt, dass dieser grundgesetzlich verankerte Rechtsgrundsatz für bemessungsrelevante Gesichtspunkte Anwendung findet. Demnach darf ein erschwerender Umstand grundsätzlich nur dann in die Maßnahmebemessung einfließen, wenn an den Tatsachen nach gerichtlicher Überzeugung kein vernünftiger Zweifel besteht. Dagegen muss ein mildernder Umstand schon dann berücksichtigt werden, wenn hierfür nach der Tatsachenlage hinreichende Anhaltspunkte bestehen. Die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo” ist auch ausgeschlossen, wenn die Verwaltungsgerichte aufgrund ihrer Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangen, die Tatsachen, aus denen der mildernde Umstand hergeleitet wird, lägen nicht vor bzw. es bestünden keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für ihr Vorliegen (stRspr; vgl. Urteile vom 30. September 1992 – BVerwG 1 D 32.91 – BVerwGE 93, 294 ≪297≫; vom 28. Juli 2011 a.a.O. Rn. 30 und vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 22).
Danach hat das Oberverwaltungsgericht den Grundsatz „in dubio pro reo” folgerichtig nicht auf die tatsächliche Frage angewandt, ob die Beklagte den Aktenbestand spontan oder aufgrund eines vorgefassten Planes beseitigen ließ. Es hat die der Beklagten günstigere Sachverhaltsvariante des spontanen Handelns nicht nach dem Grundsatz „in dubio pro reo” mildernd berücksichtigen können, weil es zu der Überzeugung gelangt ist, der entsprechende Vortrag der Beklagten sei unglaubhaft.
Das Oberverwaltungsgericht hat seine Überzeugung, die Beklagte habe die Akten nach Lage der Dinge nur nach einem vorgefassten Plan wegschaffen können, nachvollziehbar begründet. Die tatsächlichen Schlussfolgerungen, auf die ein Gericht seine Beweiswürdigung stützt, müssen nicht zwingend sein. Es genügt, dass sie möglich sind, und das Gericht darlegt, wie es seine Überzeugung gebildet hat. Davon ausgehend lässt die Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts zu den Umständen des Beiseiteschaffens der Akten einen Verstoß gegen einen revisiblen Grundsatz der Beweiswürdigung nicht erkennen (vgl. hierzu unter 2.b)).
d) Die Voraussetzungen des Milderungsgrundes der persönlichkeitsfremden Augenblickstat sind, soweit hier entscheidungserheblich, durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
Danach setzt dieser Milderungsgrund voraus, dass die Dienstpflichtverletzung eine Kurzschlusshandlung darstellt, die durch eine spezifische Versuchungssituation hervorgerufen worden ist, und sich eine Wiederholung in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten ausschließen lässt. Dies wiederum hängt davon ab, ob sich der Beamte zuvor dienstlich wie außerdienstlich tadelsfrei verhalten hat, wobei Verfehlungen auf einem völlig anderen Gebiet außer Betracht bleiben. Es kommt darauf an, ob das Fehlverhalten nach dem Gesamtbild der Persönlichkeit des Beamten eine einmalige Entgleisung darstellt (stRspr; Urteile vom 27. Januar 1988 – BVerwG 1 D 50.87 – juris Rn. 21 und vom 4. Juli 2000 – BVerwG 1 D 33.99 – juris Rn. 19).
Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass für die Beurteilung, ob es sich bei dem Pflichtenverstoß um ein einmaliges persönlichkeitsfremdes Fehlverhalten handelt, auch das Verhalten des Beamten nach der Tatbegehung von Bedeutung ist.
e) Schließlich ist die Bedeutung des mildernden Umstands der negativen Lebensphase in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
Danach können außergewöhnliche Verhältnisse, die den Beamten während des Tatzeitraums oder im Tatzeitpunkt aus der Bahn geworfen haben, mildernd berücksichtigt werden. Dies liegt vor allem dann nahe, wenn sich der Pflichtenverstoß als Folge dieser Verhältnisse darstellt. Allerdings muss der Beamte diese Lebensphase in der Folgezeit überwunden haben. Dies ist anzunehmen, wenn sich seine Lebensverhältnisse wieder soweit stabilisiert haben, dass nicht mehr davon die Rede sein kann, er sei weiterhin aus der Bahn geworfen. Eine derartige Stabilisierung indiziert, dass weitere Pflichtenverstöße gleicher Art nicht zu besorgen sind (stRspr; vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 40 f.; Beschluss vom 20. Dezember 2013 – BVerwG 2 B 35.13 – NVwZ-RR 2014, 314 Rn. 29).
Die Gründe des Berufungsurteils lassen erkennen, dass das Oberverwaltungsgericht von diesen Rechtsgrundsätzen nicht abweichen wollte. Die rechtsfehlerhafte Anwendung auf den festgestellten Sachverhalt (vgl. hierzu unter 2.b)) ist nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen.
2. Dagegen haben zwei Verfahrensrügen der Beklagten Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht. Auch hat das Oberverwaltungsgericht die der gerichtlichen Überzeugungsbildung gesetzten Grenzen überschritten.
a) Die Beklagte macht zu Recht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe versäumt festzustellen, ob die Beklagte vor und nach der Tat, insbesondere bei der unterbliebenen Mitwirkung an der Rekonstruktion der Akten, erheblich vermindert schuldfähig im Sinne von §§ 20, 21 StGB gewesen sei.
Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 59 Abs. 1 LDG Bbg (§ 58 Abs. 1 BDG) obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, die Aufklärung des Sachverhalts auch in Bezug auf die bemessungsrelevanten Umstände (§ 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG Bbg = BDG) zu versuchen, soweit dies für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme erforderlich und nach Lage der Dinge zumutbar erscheint. Das Gericht darf eine Aufklärungsmaßnahme, die sich ihm nach den Umständen des Falles hat aufdrängen müssen, nicht deshalb unterlassen, weil kein Beweisantrag gestellt worden ist (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 4. September 2008 – BVerwG 2 B 61.07 – Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 4 = NVwZ 2009, 597 jeweils Rn. 7 und vom 6. September 2012 – BVerwG 2 B 31.12 – juris Rn. 11).
Im Anschluss an das Landgericht hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, die Beklagte habe sich während des Beiseiteschaffens der Akten aufgrund einer schweren Depression in einem Zustand erheblich herabgesetzter Steuerungsfähigkeit befunden. Sie sei nicht mehr in der Lage gewesen, ihre sozialen, häuslichen und beruflichen Aktivitäten in dem erforderlichen Maß aufrechtzuerhalten. Ihr Verhalten sei auf diese affektive Störung zurückzuführen gewesen. Darüber hinaus hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, die Depression sei auch 2011 noch nicht vollständig überwunden gewesen.
Aufgrund dieser Feststellungen hat sich dem Oberverwaltungsgericht die Aufklärung aufdrängen müssen, ob insbesondere die fehlende Mitwirkung der Beklagten bei der Rekonstruktion der Akten bis September 2003 ebenfalls auf die depressive Erkrankung und die dadurch herbeigeführten Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB zurückzuführen war. Jedenfalls kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, der Gesundheitszustand der Beklagten habe sich durch das Beiseiteschaffen des Aktenbestandes entscheidend gebessert.
Das Oberverwaltungsgericht hat diese Aufklärung nicht mit der Begründung unterlassen können, die Beklagte habe während des gesamten Geschehens über die erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügt. Die vom Landgericht auf sachverständiger Tatsachengrundlage attestierte erheblich verminderte Schuldfähigkeit beruhte nicht auf einem Mangel der Einsichtsfähigkeit, sondern der Steuerungsfähigkeit, d.h. dem Unvermögen, nach der vorhandenen Einsicht zu handeln. Der mildernde Umstand der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit kann im Rahmen der Maßnahmebemessung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG Bbg (BDG) nicht durch das Vorhandensein der Einsichtsfähigkeit „kompensiert” werden.
b) Auch rügt die Beklagte im Ergebnis zu Recht, dass das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, der mildernde Umstand der negativen Lebensphase greife nicht ein, weil die Beklagte diese Phase noch nicht vollständig überwunden habe. Diese Würdigung beruht auf einem Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz, weil das Oberverwaltungsgericht den festgestellten Sachverhalt nicht vollständig in den Blick genommen und nicht durch Tatsachen gedeckte Schlussfolgerungen gezogen hat.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Daraus folgt die Verpflichtung, der Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Das Gericht darf nicht einzelne entscheidungserhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse bei der Würdigung des Sachverhalts außer Acht lassen, insbesondere nicht Umstände übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts (stRspr; vgl. Beschluss vom 18. November 2008 – BVerwG 2 B 63.08 – Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 = NVwZ 2009, 399 jeweils Rn. 27).
Darüber hinaus verstößt die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts gegen den Überzeugungsgrundsatz, wenn das Gericht einen allgemeinen Erfahrungssatz, ein Gebot der Logik (Denkgesetz) oder der rationalen Beurteilung nicht beachtet (stRspr; vgl. Urteil vom 2. Februar 1984 – BVerwG 6 C 134.81 – BVerwGE 68, 338 ≪339 f.≫ = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145 S. 36 f.; Beschluss vom 21. Juni 2007 – BVerwG 2 B 28.07 – Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 3 Rn. 7). Die Beweiswürdigung darf sich nicht so weit von der festgestellten Tatsachengrundlage entfernen, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen als reine Vermutung erweisen (stRspr; vgl. BGH, Urteile vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12 – NStZ 2013, 420 und vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13 – NStZ 2014, 475).
Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts beruhte die negative Lebensphase der Beklagten zum Tatzeitpunkt auf mehreren zusammenwirkenden Faktoren: Die Beklagte litt nicht nur an einer schweren Depression mit Ausfallerscheinungen im Alltag; sie war auch an Krebs erkrankt. Ihre berufliche Überforderung beruhte auch auf der damaligen erheblichen strukturellen Überlastung des Gerichtsvollzieherdienstes des Klägers. Hinzu kam, dass die Beklagte nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten mit der Betreuung der gemeinsamen Tochter überfordert war und aufgrund eines Hauskaufs finanzielle Probleme hatte. Im Anschluss an das Landgericht hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, die Beklagte habe sich zur Zeit des Beiseiteschaffens der Akten in einem Zustand massiver Verzweiflung befunden.
Auch das Oberverwaltungsgericht geht davon aus, dass diese ganz außergewöhnliche Lebenssituation bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme mildernd zu berücksichtigen ist, wenn sie die Beklagte überwunden hat, d.h. wenn sie wieder „in geordneten Bahnen” lebt. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, die Arbeitsbelastung der Gerichtsvollzieher sei generell zurückgegangen. Die Beklagte habe ihre Krebserkrankung überwunden. Die Betreuungsprobleme bestünden nicht mehr. Die wirtschaftliche Lage der Beklagten sei weiterhin angespannt. Ihre psychische Verfassung sei nicht stabil; ein Rückfall in den Zustand verminderter Steuerungsfähigkeit lasse sich nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen. Die Beklagte sei zur „Rückfallprophylaxe” weiterhin in psychotherapeutischer Behandlung. Daher sei nicht gewährleistet, dass sie den Aufgaben einer Gerichtsvollzieherin gewachsen sei.
Diese Feststellungen decken nicht die vom Oberverwaltungsgericht gezogene Schlussfolgerung, die Beklagte habe die negative Lebensphase nicht überwunden. Vielmehr hat sich ihre Lebenssituation entscheidend verbessert. Der bloße Umstand, dass sich die Beklagte weiterhin zur „Rückfallprophylaxe” in psychotherapeutischer Behandlung befindet, reicht als Tatsachengrundlage eindeutig nicht aus, um den Schluss zu tragen, die Beklagte sei trotz der festgestellten erheblichen Verbesserungen ihrer Lebensverhältnisse nach wie vor „aus der Bahn geworfen”. Vielmehr liegt der Schluss nahe, die Beklagte habe ihre massiven Probleme, die sie zum Tatzeitpunkt hatte, inzwischen in den Griff bekommen. Wie unter 1.e) dargelegt, rechtfertigt die Überwindung der negativen Lebensphase im Regelfall die Prognose, mit darauf zurückzuführenden Pflichtenverstößen sei ernsthaft nicht mehr zu rechnen. Der Prognosemaßstab des Ausschlusses mit hoher Wahrscheinlichkeit darf nicht angelegt werden.
Darüber hinaus hat das Oberverwaltungsgericht bei seiner Würdigung, aufgrund der depressiven Erkrankung seien auch künftig Dienstpflichtverletzungen zu befürchten, die tatsächliche Feststellung außer Acht gelassen, dass die Beklagte von 2003 bis 2008 – offenbar ohne Beanstandungen – im mittleren Justizdienst eingesetzt war. Das Oberverwaltungsgericht durfte seine Prognose des künftigen dienstlichen Verhaltens der Beklagten nicht auf die Zeit ihres früheren Einsatzes im Gerichtsvollzieherdienst beschränken. Vielmehr hätte es deren Verwendung im mittleren Justizdienst in Betracht ziehen müssen.
Im Übrigen setzt die Feststellung, die Beklagte habe ihre depressive Erkrankung noch nicht vollständig überwunden, eine entsprechende medizinische Sachkunde voraus, die das Gericht, wenn es diese für sich in Anspruch nimmt und auf sachverständige Hilfestellung verzichtet, nachvollziehbar zu belegen hat.
Die weiteren Verfahrensrügen der Beklagten greifen nicht durch. Insoweit sieht der Senat von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO, § 70 LDG Bbg).
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass Umstände, die die Schwere des Dienstvergehens, d.h. dessen Unrechtsgehalt kennzeichnen, der Beklagten im Rahmen der Maßnahmebemessung nicht nochmals angelastet werden dürfen (Beschluss vom 14. Mai 2012 – BVerwG 2 B 146.11 – NVwZ-RR 2012, 658 Rn. 10). So kann beispielsweise nicht doppelt erschwerend berücksichtigt werden, dass die Beklagte durch das Beiseiteschaffen der Akten deren Beseitigung nach den datenschutzrechtlichen Vorgaben verhindert und die Rechtsverfolgung von Vollstreckungsgläubigern verhindert hat.
Unterschriften
Domgörgen, Dr. Heitz, Dr. Hartung
Fundstellen
DÖV 2015, 163 |
JZ 2014, 693 |