Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialpolitik. Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit. Selbständige. Zulässige Ausnahme bei der Festsetzung des Rentenalters. Möglichkeit für männliche Selbständige, einen Anspruch auf vorgezogene Altersrente geltend zu machen. Beschränkung auf die Diskriminierungen, die notwendig und objektiv mit dem unterschiedlichen Rentenalter verbunden sind. Berechnungsweise. Kürzung wegen vorgezogenen Rentenbezugs
Normenkette
EuGH-VerfO Art. 104; Richtlinie 79/7/EWG
Beteiligte
Institut national d'assurances sociales pour travailleurs indépendants (Inasti) |
Tenor
Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit in Verbindung mit Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat, der in einer nationalen Regelung ein unterschiedliches Rentenalter für männliche und weibliche Selbständige beibehalten hat, nicht daran hindert, unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben sind, den Betrag der Altersrente je nach dem Geschlecht des Selbständigen unterschiedlich zu berechnen und nur bei männlichen Selbständigen, die allein das Recht haben, während der fünf Jahre vor dem normalen Rentenalter eine vorgezogene Altersrente zu beantragen, die Rente um 5 % pro vorgezogenem Jahr zu kürzen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG von der Cour de cassation (Belgien) in dem bei dieser anhängigen Rechtsstreit
Robert Bourgard
gegen
Institut national d'assurances sociales pour travailleurs indépendants (INASTI)
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas (Berichterstatter) sowie der Richter R. Schintgen und der Richterin N. Colneric,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
nach Unterrichtung des vorlegenden Gerichts über die Absicht des Gerichtshofes, gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
nachdem den in Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist,
nach Anhörung der Generalanwältin
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
1
Die Cour de cassation hat mit Urteil vom 29. April 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Mai 2002, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2
Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Bourgard und dem Institut national d'assurances sociales pour travailleurs indépendants (Inasti) wegen der Berechnung der Rente, die das INASTI Herrn Bourgard bewilligt hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
3
Die Richtlinie 79/7 findet gemäß ihrem Artikel 2 auf die Erwerbsbevölkerung – einschließlich der Selbständigen – Anwendung.
4
Nach ihrem Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a findet sie auf die gesetzlichen Systeme, die u. a. Schutz gegen das Risiko des Alters bieten, Anwendung.
5
Ihr Artikel 4 Absatz 1 verbietet jegliche unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Berechnung der Beiträge und der Leistungen.
6
Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie, der Ausnahmen von diesem Grundsatz vorsieht, bestimmt jedoch:
„(1) Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, Folgendes von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen:
a)
die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen;
…”
Nationale Rechtsvorschriften
7
Die Königliche Verordnung Nr. 72 vom 10. November 1967 über die Alters- und Hinterbliebenenrenten für Selbständige in der durch die Königliche Verordnung Nr. 416 vom 16. Juli 1986 geänderten Fassung (Moniteur belge vom 30. Juli 1986) setzt als normales Rentenalter für Männer das 65. und für Frauen das 60. Lebensjahr fest.
8
Nach Artikel 3 Absatz 1 dieser Verordnung kann die Altersrente für Männer jedoch nach Wahl und auf Antrag des Betroffenen innerhalb der fünf Jahre vor normalem Rentenalter beginnen. In diesem Fall wird sie um 5 % pro vorgezogenem Jahr gekürzt.
9
Aus der Akte geht hervor, dass weibliche Selbständige nach der Königlichen Verordnung Nr. 72 vor ihrer Änderung durch die Königliche Verordnung Nr. 416 mit dem 55. Lebensjahr in Rente gehen konnten, wobei diese Rente um 5 % pro vorgezogenem ...