Leitsatz (amtlich)
Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen im Sinne des § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO kann gegeben sein, wenn der Sachverständige seinen Gutachtenauftrag überschreitet und zudem das sonstige Verhalten des Sachverständigen eine parteiliche Tendenz zugunsten oder zulasten einer Partei erkennen lässt. Maßgeblich sind stets die Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
Überschreitet der Sachverständige in einem Patentverletzungsstreit seinen Gutachtenauftrag, weil er ohne jeden Anhalt Ausführungen zum Rechtsbestand des Klagepatents macht und verwendet er darüber hinaus gegenüber einer Partei bzw. deren Prozessbevollmächtigten in seinem schriftlichen Gutachten an mehreren Stellen Formulierungen, die für sich genommen und/oder in der Gesamtschau überflüssig, unangemessen, unsachlich und abwertend sind, kann dies die Befürchtung wecken, der Sachverständige trete der Partei nicht unparteilich und neutral gegenüber.
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 4a O 5/18) |
Tenor
Die Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. D wird für begründet erklärt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen unmittelbarer Verletzung des deutschen Teils des Europäischen Patents EP XXXX XXX (nachfolgend Klagepatent) in Anspruch. Das Klagepatent steht in Kraft. Mit Urteil vom 19.01.2021 hat das Bundespatentgericht den im hiesigen Verfahren geltend gemachten Klagepatentanspruch 1 eingeschränkt aufrechterhalten. Über die hiergegen eingelegte Berufung ist seitens des Bundesgerichtshofs bislang nicht entschieden.
Der Senat ernannte mit Beschluss vom 18.01.2021 (Bl. 746 f. GA) Herrn Prof. Dr.-Ing. D zum Sachverständigen gemäß Beweisbeschluss vom 18.06.2020 (Bl. 597 ff. GA), wobei der Beweisbeschluss mit Beschluss des Senats vom 16.12.2021 (Bl. 929 ff. GA) auf die vom Bundespatentgericht aufrechterhaltene Fassung des Klagepatentanspruchs 1 angepasst wurde.
Das schriftliche Sachverständigengutachten von Herrn Prof. Dr.-Ing. D (Bl. 732 ff. GA) wurde den Parteien zur Stellungnahme binnen vier Wochen am 19.05.2022 zugestellt. Auf die Fristverlängerungsanträge der Parteien hin wurde die Frist zur Stellungnahme für beide Parteien bis zum 29.07.2022 verlängert.
Die Stellungnahme der Klägerin vom 22.07.2022 (Bl. 772 ff. GA) enthält neben der Auseinandersetzung mit dem Gutachten einen gegen den Sachverständigen gerichteten Befangenheitsantrag. Diesen begründet die Klägerin im Wesentlichen wie folgt: Der Sachverständige verwende in seinem Gutachten bei der Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Klägerin und der Prozessbevollmächtigten der Klägerin Formulierungen, die böswillig, unterstellend sowie abwertend und abfällig seien. Zudem überschreite der Sachverständige seinen Gutachtenauftrag, indem er eine Würdigung des Ergebnisses seines Gutachtens durch den Senat vorwegnehme. Ferner habe es der Sachverständige offenbar bewusst versäumt, sich mit der gebotenen Sachlichkeit mit den von beiden Seiten erbrachten Privatgutachten auch nur ansatzweise auseinander zu setzen. Stattdessen kritisiere er den Rechtsbestand des Klagepatents über mehrere Absätze hinweg, ohne dass er hierzu überhaupt befragt worden sei. Hiermit bringe er eine negative Einstellung gegenüber dem Klagepatent und letztlich auch gegenüber der Klägerin zum Ausdruck. Das Sachverständigengutachten weise darüber hinaus erhebliche inhaltliche Mängel auf und könne nicht dazu dienen, die Beweisfrage des Beweisbeschlusses befriedigend zu beantworten.
Die Klägerin beantragt,
den Sachverständigen Prof. - Dr.-Ing. D wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 406 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO abzulehnen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
den Antrag der Klägerin abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, der Ablehnungsantrag sei unbegründet. Dass die Klägerin selbst erst zwei Monate nach Vorlage des Gutachtens den Eindruck bekommen habe, der Sachverständige sei angeblich befangen, spreche für sich. Weder die Befassung mit und kritische Bewertung der Schutzfähigkeit der vermeintlichen Erfindung noch die deutliche und mit klaren Worten ausgedrückte Zurückweisung des klägerischen Sachvortrages seien geeignet, eine ernsthafte Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Selbst wenn sich der Sachverständige durch seine Ausführungen zum Rechtsbestand zu einer Frage geäußert habe, die außerhalb des Gutachtenauftrages liege, lasse dies noch nicht den Schluss zu, dass der Sachverständige einseitig zu Lasten der Klägerin vorgehe. Das Klagepatent sei vom Bundespatentgericht nur eingeschränkt aufrechterhalten worden. Sie, die Beklagte, gehe davon aus, dass das Klagepatent in der Berufung vollständig vernichtet werde. Dass der Sachverständige diese Einschätzung der fehlenden Schutzfähigkeit des Klagepatents teile, lasse keine unsachliche und einseitige Vorgehensweise erkennen. Der Sachverständige habe die technischen Argumente der Klägerin und der von ihr beauftragten Privatgutachten sehr klar bewertet. In zulässiger Weise habe er unmissverständlich zum Ausdruck gebrach...