Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein kerngleicher Verstoß bei neuerlicher Verletzungshandlung mit ungeprüfter Erlassvorraussetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zuordnung von neuerlichen als kerngleich verletzend beanstandeten Handlungen zum Kernbereich eines Verbots scheidet aus, wenn Voraussetzungen, unter denen die neuerlichen Handlungen zu verbieten wären, nicht Gegenstand der gerichtlichen Prüfung bei Erlass des Verbots gewesen sind oder nicht gewesen sein können (Anschluss an BGH, Beschluss vom 6.2.2013 - I ZB 79/11, Rn. 14, 18).
2. Ist ein Verbot gemäß § 5 UWG auf das Verständnis der allgemeinen Verkehrskreise gestützt und richten sich die als kerngleich beanstandeten Handlungen ausschließlich an einen Teil der allgemeinen Verkehrskreise (hier fremdsprachige Verkehrskreise in Deutschland), bei dem nicht ohne weiteres dieselbe Relevanz der irreführenden Angaben für die geschäftliche Entscheidung unterstellt werden kann, scheidet ein kerngleicher Verstoß aus.
Normenkette
UWG § 5; ZPO § 809
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 30.09.2022; Aktenzeichen 3-08 O 035/22) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Landgerichts - 3-08 O 35/22 - vom 30.09.2022 abgeändert.
Die Ordnungsmittelanträge der Antragstellerin werden zurückgewiesen.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Vollstreckungsverfahrens zu tragen.
Gründe
I. Das Landgericht hat der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel unter Bezugnahme auf die jeweiligen deutschsprachigen Angebotsseiten verboten, auf "Amazon.de" für ihre Matratzen mit Bestnoten der Stiftung Warentest zu werben, obwohl es besser getestete Matratzen gibt, oder mit Tests der Stiftung Warentest zu werben, obwohl bereits neuere Tests vorliegen und die Matratze der Antragsgegnerin dort schlechter bewertet ist.
Nach Erlass und Zustellung der einstweiligen Verfügung ließ die Antragsgegnerin die beanstandeten Angaben auf den deutschsprachigen Angebotsseiten beseitigen. Auf englisch-, niederländisch-, polnisch- und tschechisch-sprachigen Übersetzungen der Angebotsseiten, die auf der deutschen Verkaufsplattform von Amazon automatisiert anhand der deutschen Inhalte generiert werden, blieben Angebote mit den beanstandeten Angaben in der jeweiligen Fremdsprache erhalten.
Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss ein Ordnungsgeld von 10.000,- EUR verhängt und die Auffassung vertreten, bei den Übersetzungen handele es sich um kerngleiche Verstöße, die sich auch an fremdsprachige Benutzer innerhalb Deutschlands richten würden. Der Antragsgegnerin sei vorzuwerfen, dass sie - nachdem sie die deutschsprachigen Inhalte geändert habe - nicht auch die fremdsprachigen Seiten überprüft habe. Hätte sie dies unverzüglich getan, hätte sie korrekte Übersetzungen bei Amazon schon früher erreichen können. Die Antragsgegnerin habe auch schuldhaft gehandelt, weil ihr bewusst gewesen sei, dass die fremdsprachigen Angebotsseiten existieren würden.
Mit ihren gegen den Ordnungsmittelbeschluss gerichteten sofortigen Beschwerden begehren die Antragstellerin angesichts der zahlreichen fremdsprachigen Angebotsseiten mit den verbotenen Angaben eine Heraufsetzung des Ordnungsgeldes auf 50.000,- EUR und die Antragsgegnerin die Zurückweisung der Ordnungsmittelanträge der Antragstellerin.
II. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet, die der Antragstellerin unbegründet.
Die Verhängung eines Ordnungsgeldes kommt nicht in Betracht, weil die Antragsgegnerin nicht durch eine identische Handlung und auch nicht durch eine kerngleiche Abwandlung gegen die in der einstweiligen Verfügung ausgesprochenen Verbote verstoßen hat.
Die der Antragstellerin aufgrund der in der Vergangenheit liegenden Verletzungshandlungen durch die deutschsprachigen Angebotsseiten und der sich daraus ergebenden Wiederholungsgefahr zustehenden Unterlassungsansprüche sind nicht auf ein der Verletzungshandlung in jeder Hinsicht entsprechendes Verhalten - hier in Form von deutschsprachigen Angebotsseiten - beschränkt, sondern erstrecken sich auch auf kerngleiche Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der ursprünglichen Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt. Die Zuordnung zum Kernbereich des Verbots scheidet jedoch aus, wenn Voraussetzungen, unter denen die neuerlich als kerngleich verletzend beanstandeten Handlungen zu verbieten wären, nicht Gegenstand der gerichtlichen Prüfung bei Erlass des Verbots gewesen sind oder nicht gewesen sein können (vgl. BGH, Beschl. v. 06.02.2013, I ZB 79/11, Rn. 14, 18). So liegt es hier.
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass grundsätzlich auch fremdsprachige Fassungen der als irreführend verbotenen Werbung mit Testurteilen erfasst sein können. Das setzt aber die Prüfung voraus, ob sich die fremdsprachigen Seiten ausschließlich an Abnehmer im Ausland richten und deshalb nach deutsche...