Entscheidungsstichwort (Thema)
Telefonanrufe zu Werbezwecken bei Verbrauchern ohne vorherige Einwilligung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein am Gesetzeswortlaut orientierter Klageantrag, der eine Unterlassung von Werbeanrufen bei Verbrauchern ohne deren vorherige Einwilligung zum Gegenstand hat, kann hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sein.
2. Es liegt ein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO vor, wenn das Gericht den vorgetragenen Sachverhalt in Bezug auf eine Irreführung nicht feststellen kann und einen anderen, nicht geltend gemachten Sachverhalt, der eine Irreführung über andere Tatsachen beinhaltet, der Verurteilung zugrunde legt.
3. Die Regelung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG steht mit dem Unionsrecht in Einklang.
4. Die Aktivlegitimation eines Mitbewerbers für die Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG ist nicht durch Unionsrecht (RL 2002/58/EG oder die DS-GVO) ausgeschlossen.
Normenkette
DS-GVO Art. 5 ff.; EGRL 58/2002 Art. 13 Abs. 6 S. 1, Art. 15, 15a; UWG § 4 Nr. 4, § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 8 Abs. 3 Nr. 1
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 27.08.2018; Aktenzeichen 4 HK O 12077/17) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 27.08.2018, Az. 4 HKO 12077/17, abgeändert wie folgt:
"1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, Ordnungshaft zu vollziehen an dem Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, Verbraucher durch eigene Vertriebsbeauftragte oder Mitarbeiter zu Werbezwecken anrufen zu lassen, wenn der jeweils angerufene Verbraucher nicht zuvor ausdrücklich hierzu eingewilligt hat, insbesondere wie geschehen am 16.02.2017 durch Anruf bei Herrn S. N.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 821,20 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.09.2017 zu bezahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen über den Umfang der Handlungen gemäß vorstehender Ziffer zu 1., insbesondere durch Bekanntgabe von Namen und Adressen der jeweils angerufenen Verbraucher sowie des jeweiligen Zeitpunkts der Handlungen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen denjenigen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die vorstehend zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen."
II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz haben die Klägerin 53 Prozent und die Beklagte 47 Prozent zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich Ziffer I. 1. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,- EUR und hinsichtlich Ziffer I. 3. durch Sicherheitsleistung in Höhe 5.000,- EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Hinsichtlich Ziffern I. 2. und III. können die Parteien die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte wettbewerbsrechtliche Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Abmahnkostenerstattung und Schadensersatzfeststellung aufgrund angeblicher unerlaubter Telefonanrufe und damit einhergehender Irreführung von Kunden der Klägerin geltend.
Bei den Parteien handelt es sich jeweils um Energieversorgungsunternehmen.
Die Klägerin behauptet, am 16.02.2017 habe gegen 16.45 Uhr eine Mitarbeiterin oder Vertriebsbeauftragte der Beklagten bei dem Zeugen S.N., einem Kunden der Klägerin, angerufen, ohne dass hierfür eine ausdrückliche Einwilligung des Zeugen bestanden habe und wahrheitswidrig behauptet, man wolle aufgrund eines angeblich von diesem in der Vergangenheit vorgenommenen Stromtarifwechsels nun "die Formalitäten klären" und "seine Daten abgleichen", damit er "das Geld zurückbekomme".
Die Klägerin mahnte die Beklagte wegen dieses Sachverhalts mit anwaltlichem Schreiben vom 06.03.2017 ab. Die Beklagte wies die Abmahnung mit anwaltlichen Schreiben vom 13.03.2017 (Anlage K 7) und vom 14.03.2017 (Anlage K 8) zurück.
Auf Antrag der Klägerin erließ das Landgericht München I daraufhin mit Beschluss vom 17.03.2017 gegen die Beklagte die in Anlagenkonvolut K 9 wiedergegebene einstweilige Verfügung, deren Tenor dem hiesigen Unterlassungsantrag des Klägers (I.) entspricht und die mit Endurteil vom 24.04.2017 (Az.: 4 HKO 4011/17) bestätigt wurde (Anlage K 10). Die Berufung hiergegen hat der Senat mit Endurteil vom 14.09.2017 (Az.: 6 U 1864/17) zurückgewiesen.
Am 13.04.2017 erhielt die Zeugin A. S., ebenfalls eine Kundin der...