Fehlzeiten reduzieren in drei Schritten

Viele Unternehmen und Organisationen klagen über zu hohe Krankenstände, die sich seit nunmehr drei Jahren auf Rekordniveau befinden. Die Suche nach geeigneten Lösungen zur Senkung krankheitsbedingter Fehlzeiten erweist sich in der Praxis als sehr komplexe Aufgabe, gleichzeitig erfordert der Umgang mit Gesundheitsdaten einen sensiblen Umgang. Gesundheit und Krankheit sind grundsätzlich private Angelegenheiten, weshalb der Arbeitgeber auch keine Informationen über die Ursache der Krankmeldung erhalten darf.
Krankenstand auf Rekordhoch
Wirft man einen Blick auf die allgemeinen Empfehlungen im Internet oder fragt man Chat GPT, wie der Krankenstand im Unternehmen reduziert werden kann, werden häufig sehr allgemeine Maßnahmen genannt, wie etwa die Empfehlung, "ein umfassendes Programm zur Förderung von Bewegung, Ernährung und psychischer Gesundheit" einzuführen. Tatsächlich liegen die Teilnahmequoten an solchen Programmen in der Regel unter 20 Prozent. Untersuchungen zur Teilnahme zeigen zudem, dass Beschäftigte mit einem ausgeprägten Gesundheitsbewusstsein die Angebote häufiger nutzen als Beschäftigte mit einem weniger ausgeprägten Gesundheitsbewusstsein. Darüber hinaus ist die Teilnahmequote von Frauen höher als die von Männern.
Doch wie lässt sich nun der Krankenstand angesichts dieser Problematik reduzieren? Um zu geeigneten Maßnahmen zu gelangen, ist ein schrittweises Vorgehen erforderlich. Am Anfang steht eine umfassende Analyse zur Ermittlung des Status quo des Unternehmens. Neben der Ermittlung des Gesundheitszustands der Belegschaft über eine differenzierte Fehlzeitenanalyse gilt es hier insbesondere auch, besondere Belastungen und Gefährdungen zu erkennen. Darauf aufbauend, können im zweiten Schritt Erkenntnisse abgeleitet werden, die eine Maßnahmenplanung ermöglichen. Im dritten Schritt werden die Maßnahmen, die insbesondere auf das Fehlzeitenverhalten einwirken können, umgesetzt. Dabei wird differenziert nach den verschiedenen Clustern "Führung und Unternehmenskultur", Betriebliches Eingliederungsmanagement", "Arbeitsbedingungen und -verhältnisse" und "Individualmaßnahmen für besonders gefährdete Beschäftigte".
Erster Schritt: Datenanalyse und Bestimmung des Status quo
Unternehmen sind rechtlich verpflichtet, krankheitsbedingte Fehlzeiten zu erfassen, das ergibt sich insbesondere aus § 167 Abs. 2 SGB IX Prävention, besser bekannt als Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM). Um die anspruchsberechtigten Beschäftigten ermitteln zu können, ist eine Erfassung der Fehltage bis zur Überschreitung von sechs Wochen innerhalb eines Jahres, das heißt mehr als 42 Kalendertage beziehungsweise mehr als 30 Arbeitstage bei einer Fünftagewoche, erforderlich. Darüber hinaus haben Unternehmen ein Interesse an der Beobachtung der Fehlzeitenentwicklung, da diese Informationen über auffällige Abteilungen/Bereiche sowie über die grundsätzliche Entwicklung der Fehlzeiten liefert.
Zum Standardberichtswesen gehören daher der Gesamtkrankenstand, die Differenzierung nach Abteilungen/Bereichen sowie nach bezahlt (also mit Lohnfortzahlung) und unbezahlt (ohne Lohnfortzahlung), aber auch die Anzahl der BEM-Anspruchsberechtigten.
Fehlzeiten differenziert analysieren
Aus diesen Informationen lassen sich jedoch nur bedingt Erkenntnisse für die Gestaltung von Maßnahmen ableiten. Daher bedarf es einer differenzierten Fehlzeitenanalyse, in der weitere Aspekte untersucht werden können. In Anlehnung an die 80/20-Pareto-Verteilung kann geprüft werden, ob 20 Prozent der Mitarbeitenden mit den höchsten Arbeitsunfähigkeitstagen für rund 80 Prozent der gesamten Fehlzeiten verantwortlich sind. Wäre dem so, müsste der Fokus auf diesen 20 Prozent liegen.
Eine weitere Überlegung ist die Berechnung des Bradford-Faktors, mit dem häufige Kurzzeiterkrankungen identifiziert werden können. Dahinter steht die Annahme, dass häufige Kurzabsenzen störender sind als längere Abwesenheiten. Zudem wird vermutet, dass Mitarbeitende mit häufigen Kurzerkrankungen eher motivationsbedingte Fehlzeiten aufweisen, weshalb mit diesen "auffälligen Mitarbeitenden" Gespräche geführt werden sollten. Eine weitere Analyse betrifft die Altersstruktur, die Aufschluss über die Verteilung der Altersgruppen gibt. Interessant ist hier die Verteilung der drei Gruppen "unter 30 Jahre", "30 bis 50 Jahre" und "über 50 Jahre". Eine andere häufig verwendete Unterteilung betrachtet die Gruppen "unter 20", "20-29", "30-39", "40-49", "50-59" und "60+". Koppelt man die Fehlzeitenstatistik mit der Altersstruktur, zeigen sich Auffälligkeiten in den jeweiligen Altersgruppen. Betrachtet man die Gesundheitsberichte der Krankenkassen, so zeigt sich überwiegend ein Anstieg der Fehlzeiten ab 40 Jahren bis zum Renteneintritt. Sollte dies auch in einem Unternehmen der Fall sein, ließe sich hier eine Zielgruppe für Maßnahmen identifizieren.
Neben der differenzierten Analyse des Krankenstands empfiehlt es sich, bereits durchgeführte Mitarbeiterbefragungen auf Auffälligkeiten hinsichtlich negativer Bewertungen zu untersuchen. Diese lassen Rückschlüsse auf Problemlagen zu, die sich auch auf den Krankenstand auswirken können.
Eine weitere Quelle für die Entstehung von Fehlzeiten sind die Arbeitsbedingungen, die durch die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz erfasst und bewertet werden. Ein Blick in diese Beurteilungen gibt weitere Ansatzpunkte im Hinblick auf körperliche und psychische Belastungen.
Zweiter Schritt: Erkenntnisgewinn und Maßnahmenfindung
Mithilfe von Schritt eins können Auffälligkeiten im Betrieb hinsichtlich des Krankenstands identifiziert werden. Diese ermöglichen eine Clusterbildung in Bezug auf Personengruppen mit vergleichbarer Problemlage hinsichtlich der Anzahl und Verteilung der Fehlzeiten. Hinzu kommt die Zuordnung zu Arbeitsbereichen, in denen sich aufgrund der Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung Belastungen abzeichnen, die zu einem Gesundheitsrisiko für die Beschäftigten werden können.
Zur Verdeutlichung ein Beispiel aus der Praxis: In einem Unternehmen mit einem durchschnittlichen Krankenstand von 7,4 Prozent zeigt sich ein besonders hoher Krankenstand von 10,3 Prozent in einem speziellen Arbeitsbereich der Produktion mit Schichtarbeit inklusive Nachtschichten. Die nähere Analyse zeigt weiter hohe körperliche Anforderungen, zudem ungünstige ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und ein Durchschnittsalter in diesem Bereich von 48,3 Jahren (zum Vergleich: der Bundesdurchschnitt liegt bei circa 44,7 Jahren). Ansatzpunkt für erste Maßnahmen hier könnte ein Gesundheitszirkel (Workshop) mit den Beschäftigten dieses Arbeitsbereichs sein, der sich mit den Problemen der Arbeitstätigkeit und -gestaltung auseinandersetzt und Lösungsansätze sowohl für den Arbeitsbereich als auch die Beschäftigten selbst erarbeitet.
Dritter Schritt: Umsetzung der Maßnahmen
Ausgehend von diesem Praxisbeispiel gilt es nun, die erforderlichen Maßnahmen gezielt zu planen und umzusetzen. Zur Auswahl der richtigen Ansätze hilft, deren Eignung zur Reduzierung von Fehlzeiten systematisch zu bewerten. Die Studienlage zeigt, dass insbesondere die Bereiche Führung, die Entwicklung der Unternehmenskultur, die Arbeitsgestaltung und spezifische Maßnahmen für einzelne Beschäftigte – oder auch für Mitarbeitende mit ähnlichen gesundheitlichen Herausforderungen – als besonders effektiv gelten. Besondere Bedeutung kommt hier der transformationalen Führung zu, bei der Führungskräfte ihre Mitarbeitenden inspirieren, motivieren und individuell fördern. Dabei schaffen sie ein gemeinsames Verständnis von Zielen und Werten und regen dazu an, über rein kurzfristige Interessen hinauszudenken, was nicht nur das Engagement stärkt, sondern auch die Bereitschaft erhöht, Veränderungen aktiv mitzutragen. Wie mehrere Studien belegen, hat dieser Führungsstil positive Auswirkung auf die Mitarbeitergesundheit, beispielsweise zeigen sich weniger depressive Symptome und Burnout-Indikatoren und auch das arbeitsbezogene Stresserleben sinkt.
Fehlzeiten senken mit transformationaler Führung
Weitere Studien belegen den Einfluss transformationaler Führung auf die Erhöhung des subjektiven Wohlbefindens und einen positiven Zusammenhang zu unterschiedlichen Gesundheitsvariablen. Destruktive Führung dagegen zeigt negative Effekte. Insgesamt macht das deutlich, dass Führungskräfte einen hohen Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeitenden haben und demnach auch auf das Fehlzeitenverhalten – positiv wie negativ.
Hinweis: Die Quellenangaben und weitere Informationen zu den im Text erwähnten Studien finden Sie online.
Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 3/2025. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag - inklusive eines Handlungsplans zur Fehlzeitenreduzierung - und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.
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