Quiet Quitting: Tatsache oder Quatsch?

Der Begriff "Quiet Quitting" geht auf einen Tiktok-Post aus dem Jahr 2022 zurück. Quiet Quitting wird darin – und in der nachfolgenden (Medien-)Debatte – als ein gewichtiges Problem der modernen Arbeitswelt beschrieben, demzufolge ein Großteil der Belegschaft ein sehr distanziertes Verhältnis zur beruflichen Arbeit aufweisen soll: Die Betroffenen erledigen nur noch die Aufgaben, zu denen sie vertraglich verpflichtet sind. Darüber hinaus können Arbeitgeber nicht viel erwarten. Die Betroffenen gehen immer pünktlich nach Hause, sind nicht bereit, Überstunden zu leisten und zeigen auch sonst kein übermäßiges Engagement.
Quiet Quitting in der Wirtschaftspsychologie
Besonders weit verbreitet soll Quiet Quitting in der Gruppe der jungen Menschen sein. Dies passt zu gängigen Stereotypen über die Generation Y und Z, denen allgemein ein negatives Arbeitsethos unterstellt wird. Ein Blick in die wirtschaftspsychologische Forschung zeigt, dass mehrere Konzepte sich mit ganz ähnlichen Aspekten beschäftigen. Dies gilt vor allem für das affektive Commitment, also für die emotionale Verbundenheit der Beschäftigten mit ihrem Arbeitgeber.
In einer Studie gingen wir vier Leitfragen nach: Wie stark ist Quiet Quitting verbreitet? Hat es in den vergangenen Jahren zugenommen? Wer ist davon betroffen? Wie hängt Quiet Quitting mit anderen HR-relevanten Konzepten zusammen?
Quiet Quitting und Commitment
Die Studie basiert auf einem Online-Fragebogen. Zunächst bearbeiteten die Befragten sechs Items, mit denen Quiet Quitting gemessen wird. Hierzu steht eine fünfstufige Einschätzungsskala zur Verfügung. Anschließend wurden diejenigen, die mindestens fünf Jahre bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber beschäftigt waren, darum gebeten, sich in die Zeit vor fünf Jahren zurückzudenken und die sechs Items aus der damaligen Perspektive heraus erneut zu bearbeiten. Es folgten Fragen, die sich auf mögliche Einflussvariablen beziehen. Dies betrifft zum einen die Wahrnehmung der aktuellen Arbeitssituation, zum anderen wurden verschiedene Arbeitsmotive erfasst. Anschließend wurden Fragen zur Erfassung der Arbeitszufriedenheit sowie des Commitments gestellt.
Auf der Ebene des Commitments wurde zwischen einem allgemeinen Commitment und einem affektiven Commitment differenziert. Das affektive Commitment bezieht sich explizit auf die emotionale Verbundenheit mit dem Arbeitgeber.
Anschließend bezogen sich einige Fragen auf mögliche Folgen von Quiet Quitting, etwa die Bereitschaft, Überstunden zu leisten, Organizational Citizenship Behavior und die Absicht, den Arbeitgeber zu wechseln. Unter Organizational Citizenship Behavior wird ein positives Verhalten der Beschäftigten verstanden, das auch ohne Belohnung durch den Arbeitgeber gezeigt wird. Wer beispielsweise in seiner Freizeit etwas liest, das später im Arbeitsalltag genutzt wird, oder wer Kolleginnen und Kollegen unentgeltlich hilft, der zeigt Organizational Citizenship Behavior.
An der Studie beteiligten sich 592 Berufstätige im Alter zwischen 18 und 65 Jahren. In der Stichprobe überwiegen Personen mit höherer Bildung. Der Anteil der Frauen lag bei 33 Prozent und bei 66 Personen handelte es sich um Führungskräfte.
Quiet Quitting ist kein Massenphänomen
- Wie stark ist Quiet Quitting verbreitet? In unserer Studie ergibt sich für die fünfstufige Quiet-Quitting-Skala ein Mittelwert von 2,46 (Standardabweichung: 0,71). Der Mittelwert liegt damit unterhalb der mittleren Stufe (= Stufe 3) der fünfstufigen Skala. Nur 12,8 Prozent der Befragten liegen in der oberen Hälfte der Skala. Eine sehr starke Ausprägung von Quiet Quitting, mit Werten oberhalb der Stufe 4, weisen gerade einmal 1,2 Prozent der Stichprobe auf. Quiet Quitting ist somit weit davon entfernt, ein Massenphänomen zu sein.
- Hat Quiet Quitting zugenommen? In der Studie sind keine Belege für eine Zunahme zu finden. Der Vergleich zwischen den beiden Messzeitpunkten (vor fünf Jahren und heute) ergibt keine signifikanten Unterschiede. Allerdings ist dabei zu bedenken, dass ein richtiger Längsschnitt, bei dem man die Befragten vor fünf Jahren befragt hätte, gegebenenfalls zu anderen Befunden geführt hätte.
- Wer zeigt Quiet Quitting? Ein Vergleich zwischen Frauen und Männern ergibt keinen signifikanten Unterschied in der Ausprägung von Quiet Quitting. Allerdings zeigten sich Alterseffekte. Demnach sinkt Quiet Quitting mit zunehmendem Alter leicht ab. Die Größe des Effekts lag jedoch nur bei 1,8 Prozent. Obwohl es nicht sinnvoll ist, Menschen in Generationen einzuteilen, wurde zusätzlich ein Vergleich zwischen Vertretern der drei Generationen X, Y und Z vorgenommen. Dabei zeigt sich, dass Beschäftigte aus der Generation X (45 Jahre und älter) einen geringfügig niedrigeren Wert aufwiesen als Beschäftigte aus der Generation Y (25 bis 44 Jahre) und Z (18 bis 24 Jahre). Die Generationen Y und Z unterschieden sich nicht signifikant voneinander. Führungskräfte zeigen im Vergleich zu Personen ohne Führungsverantwortung signifikant geringere Werte in Quiet Quitting (Mittelwerte: 2,15 bzw. 2,61). Die Effektstärke liegt bei neun Prozent. Zudem ergab sich ein signifikant negativer Zusammenhang zwischen Bildung und Quiet Quitting. Mit zunehmender Bildung fällt Quiet Quitting ein klein wenig geringer aus (Effektstärke = 0,8 Prozent).
- Wie hängt Quiet Quitting mit anderen HR-relevanten Konzepten zusammen? In unserer Studie wurden zahlreiche Variablen auf ihren Zusammenhang zu Quiet Quitting untersucht. Es zeigte sich, dass Quiet Quitting durch ungünstige Arbeitsbedingungen, aber auch durch Faktoren, die in den betroffenen Personen selbst liegen (Arbeitsmotive), beeinflusst wird. Quiet Quitting fällt insbesondere dann höher aus, wenn Beschäftigte sich unterfordert fühlen, andere Werte vertreten als der Arbeitgeber oder eine geringe Leistungsmotivation haben. All dies liefert Hinweise für die Gestaltung von Personalauswahlverfahren. Erwartungsgemäß geht Quiet Quitting mit einer geringen Arbeitszufriedenheit und einem geringen Commitment einher. Dies gilt insbesondere für das affektive Commitment. Zudem wirkt sich Quiet Quitting negativ auf die Bereitschaft aus, Überstunden zu leisten und zusätzliches Arbeitsengagement zu zeigen. Mehr noch, mit Quiet Quitting steigt die Absicht, den Arbeitgeber zu wechseln. Doch an dieser Stelle kann Entwarnung gegeben werden. Der Zusammenhang zur Kündigungsabsicht beträgt gerade sechs Prozent.
Quiet Quitting wird überbewertet
Es ist sinnvoll, sich in der Praxis mit dem Thema Quiet Quitting zu beschäftigen. Allerdings erscheint die Lage weitaus weniger dramatisch, als die Debatten es vermuten lassen. Es ist wichtig, im Zuge von Mitarbeiterbefragungen eine realistische Vorstellung von der Größenordnung des potenziellen Problems im eigenen Unternehmen zu bekommen. Nicht jeder Fall von Quiet Quitting stellt ein Problem dar. Wenn einige Prozent der Beschäftigten aus der Verwaltung oder der Produktion Dienst nach Vorschrift machen, dürfte dies dem Unternehmen kaum schaden. Das Problem wird jedoch umso größer, je wichtiger die Positionen der Betroffenen sind und je zahlreicher sie sind. Dies gilt insbesondere für Führungskräfte, bei denen Quiet Quitting allerdings seltener anzutreffen ist. Darüber hinaus ist es wichtig, sich anzuschauen, wie stark Quiet Quitting ausgeprägt ist. Nicht jeder, der einen Wert oberhalb der Mitte der Skala aufweist, stellt automatisch auch ein Risiko für den Unternehmenserfolg dar. Von der Vorstellung, dass insbesondere Menschen aus der Generation Z Träger von Quiet Quitting wären, sollte man sich verabschieden – wie übrigens von allen Generationenstereotypen.
Wer vorbeugen möchte, sollte professionelle Auswahlverfahren durchführen und keine falschen Erwartungen wecken. Es ist darauf zu achten, dass wichtige Positionen mit Menschen besetzt werden, die nicht nur fähig sind, sondern auch eine hohe Leistungsorientierung mitbringen, zu den Werten des Unternehmens stehen und später nicht unterfordert sind. Darüber hinaus gilt, dass all das, was Beschäftigte zufrieden macht, also professionelles Führungsverhalten, leistungsgerechte Belohnungssysteme, gute Arbeitsatmosphäre et cetera, auch die Wahrscheinlichkeit für Quiet Quitting reduziert.
Rabea M. Schulte ist HR Consultant bei Banse und war bis Sommer 2024 als studentische Hilfskraft im Bereich Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück tätig.
Prof. Dr. Uwe P. Kanning ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Arbeitszufriedenheit und Personalauswahl.
Literatur
RetCreely, B. [aliveafterlayoff] (2022). More people are “quiet quitting” instead of leaving. TikTok. https://www.tiktok.com/@alifeafterlayoff/video/7071415799247949099?lang=de-DE
Kanning, U. P. (2022). Die Stille Kündigung. Personalmagazin, 11, 64-65.
Kanning, U. P. & Schmitt, A. (2023). Schubladendenken funktioniert nicht – Wie sinnvoll ist es, Menschen in Generationen einzuteilen? Personalwirtschaft, 9, 64-66.
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