Kein Vorsteuerabzug bei Einlage eines Mandantenstamms in eine neu gegründete GbR
Bei dem Verfahren ging es um die Auslegung der Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie. Streitig war, ob ein Gesellschafter einer Steuerberatungs-GbR, der von der GbR einen Teil des Mandantenstammes nur zu dem Zweck erwirbt, diesen unmittelbar anschließend einer unter seiner maßgeblichen Beteiligung neu gegründeten Steuerberatungs-GbR unentgeltlich zur unternehmerischen Nutzung zu überlassen, zum Vorsteuerabzug aus dem Erwerb des Mandantenstammes berechtigt sein kann.
Der Kläger war bis zum 31.12.1994 zu 60 % als Gesellschafter an einer Alt-GbR beteiligt. Außer ihm waren die Steuerberater X und Y zu je 20 % Mitgesellschafter. Zum 31.12.1994 wurde die Alt-GbR in der Weise aufgelöst, dass jeder der Gesellschafter einen Teil des Mandantenstammes übernahm. Die beiden Gesellschafter X und Y waren ab dem 1.1.1995 jeweils in Einzelkanzleien als Steuerberater freiberuflich tätig. Zum 31.12.1994 wurde unter maßgeblicher Beteiligung des Klägers eine neue Neu-GbR gegründet. An dieser Gesellschaft waren der Kläger zu 95 % und der Steuerberater Z zu 5 % beteiligt. Der Kläger überließ der Neu-GbR den von ihm übernommenen Mandantenstamm unentgeltlich zur unternehmerischen Nutzung.
Hinsichtlich der Alt-GbR hatte das FG des Saarlandes (Urteil v. 24.9.2003, 1 K 250/00, EFG 2003 S. 1776), entschieden, dass diese zum 31.12.1994 durch Realteilung aufgelöst worden sei. Daraufhin setzte das FA gegenüber der Alt-GbR USt für 1994 für die Übertragung des Mandantenstammes fest. Der Umsatzsteuerbescheid für 1994 wurde bestandskräftig und die Umsatzsteuerschuld wurde beglichen. Dementsprechend stellte die Alt-GbR gegenüber dem Kläger unter Bezugnahme auf die "Realteilung zum 31.12.1994" eine Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis aus.
Der Kläger machte aus dieser Rechnung den Vorsteuerabzug geltend. Das FA versagte den Vorsteuerabzug. Es vertrat die Auffassung, der Kläger habe zwar den Mandantenstamm aufgrund der Realteilung im Rahmen eines steuerbaren und steuerpflichtigen Leistungsaustauschs erhalten, den übernommenen Mandantenstamm aber nicht in seinem eigenen Unternehmen genutzt. Das Wirtschaftsgut sei vielmehr von der Neu-GbR als vom Kläger zu trennende Unternehmerin für deren unternehmerische Zwecke verwendet worden, sodass dem Kläger insoweit kein Vorsteuerabzug zustehe. Das FG gab der hiergegen erhobenen Klage statt (vgl. FG des Saarlandes, Urteil v. 16.6.2010, 1 K 2111/06, DStRE 2011, 945).
Der XI. Senat des BFH neigte in seinem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu der Auffassung, dass dem Kläger der begehrte Vorsteuerabzug aus dem Erwerb des Mandantenstammes zustehe. Unabhängig davon, ob die Unternehmereigenschaft des Klägers bei Erwerb und Überlassung des Mandantenstammes sich ggf. auch aus einer Geschäftsführerstellung bei der Neu-GbR ergeben könnte, war der Kläger mit dem Erwerb des Mandantenstammes, den er anschließend der Neu-GbR unentgeltlich zur Nutzung im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit überließ, nach Auffassung des XI. Senats jedenfalls bereits kraft seiner vorbereitenden Tätigkeit für die Neu-GbR unternehmerisch tätig. Die Übertragung des Mandantenstammes erfolgte auch an den Kläger als Leistungsempfänger. Der Kläger hatte den Mandantenstamm im eigenen Namen und für eigene Rechnung von der Alt-GbR im Wege einer Realteilung erworben und erst anschließend der Neu-GbR unentgeltlich zur Nutzung überlassen.
Der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs stand nach Auffassung des XI. Senats des BFH nicht entgegen, dass der Kläger als Gesellschafter der Neu-GbR den erworbenen Mandantenstamm unentgeltlich der Neu-GbR zur Nutzung überlassen hatte und insoweit kein steuerbarer Ausgangsumsatz gegeben war, sodass es grundsätzlich an dem erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Eingangsumsatz und einem steuerpflichtigen Ausgangsumsatz fehlte.
Nach dem EuGH-Urteil v. 1.3.2012, C-280/10 (Polski Trawertyn), Haufe Index 2915163, darf der Umstand, dass die Einbringung eines Grundstücks in eine Gesellschaft durch deren Gesellschafter ein von der USt befreiter Umsatz ist, nicht dazu führen, dass die Gesellschafter im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit mit der USt belastet werden, ohne dass sie diese abziehen oder erstattet bekommen können. Die Art. 9, 168 und 169 MwStSystRL sind nach diesem Urteil dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach weder die Gesellschafter einer Gesellschaft noch die Gesellschaft selbst ein Recht auf Vorsteuerabzug für Investitionskosten geltend machen dürfen, die vor Gründung und Eintragung dieser Gesellschaft von den Gesellschaftern für die Zwecke und im Hinblick auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft getragen wurden.
Der XI. Senat des BFH hielt in seinem Vorabentscheidungsersuchen diese Rechtsprechung für anwendbar, weil seiner Auffassung nach der Streitfall mit den vom EuGH entschiedenen Fällen vergleichbar war. Insbesondere hätte im Streitfall die Neu-GbR als eigenständiges Unternehmen keinen eigenen Anspruch auf Vorsteuerabzug aus den Kosten für den Erwerb des Mandantenstammes, weil es an einem steuerbaren Eingangsumsatz und einer entsprechend erteilten Rechnung fehle. Bei der Versagung des Vorsteuerabzugs auch beim Kläger als Gründungsgesellschafter bliebe es entgegen dem Neutralitätsprinzip bei einer Belastung der unternehmerischen Sphäre mit USt, obwohl die Erwerbskosten im Rahmen einer vorbereitenden unternehmerischen Tätigkeit des Klägers angefallen seien und ein Wirtschaftsgut (hier den Mandantenstamm) beträfen, das ausschließlich für unternehmerische Zwecke der Neu-GbR verwendet werden solle und von vornherein für eine außerunternehmerische Nutzung nicht in Betracht komme.
Die Auffassung des XI. Senats wurde von dem V. Senat des BFH nicht geteilt. Dieser hatte auf eine entsprechende Anfrage des XI. Senats (Beschluss v. 14.11.2012, XI R 26/10, BFH/NV 2013 S. 417) mitgeteilt, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält, wonach ein Gesellschafter, der ein Wirtschaftsgut außerhalb einer eigenen wirtschaftlichen (unternehmerischen) Tätigkeit nach § 2 UStG erwirbt und dieses seiner Gesellschaft unentgeltlich zur Nutzung überlässt, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (vgl. z.B. BFH-Urteil v. 6.9.2007, V R 16/06, BFH/NV 2008 S. 1710). Er stimme einer Abweichung von dieser Rechtsprechung nicht zu (BFH, Beschluss v. 6.12.2012, V ER-S 2/12, BFH/NV 2013 S. 418).
Der V. Senat des BFH hielt es für zweifelhaft, ob die Ausführungen des EuGH in seinem Urteil "Polski Trawertyn" auf den Streitfall übertragbar seien. So sei schon fraglich, ob hier ein "Investitionsumsatz" vergleichbar dem dem EuGH-Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt gegeben sei. Ein Investitionsumsatz der Gesellschaft setze den Erwerb eines Investitionsguts voraus. Hieran fehle es, wenn ein Investitionsgut der Gesellschaft nur zur Nutzung überlassen werde, wie dies hier bei dem Mandantenstamm der Fall gewesen sei. Zweifelhaft sei ferner, ob die Grundsätze des EuGH-Urteils "Polski Trawertyn" nur für gemeinsame Leistungsbezüge durch alle Gesellschafter oder auch für Leistungsbezüge durch einzelne Gesellschafter gelten würden, und außerdem, ob sich bereits aus dem Unionsrecht ein gegenüber dem Vorsteuerabzug der Gesellschaft vorrangiger Anspruch der Gesellschafter auf Vorsteuerabzug ergebe. Schließlich handele es sich im Streitfall bei dem "Ausgangsumsatz" des Klägers nicht um eine steuerbare, aber von der Steuer befreite Leistung wie in der Rs. "Polski Trawertyn", sondern schon um einen nicht steuerbaren Vorgang.
Der XI. Senat hielt die vom V. Senat genannten Bedenken wegen des Neutralitätsprinzips nicht für durchgreifend.
Entscheidung
Der EuGH ist im Ergebnis der bisherigen Verwaltungsauffassung gefolgt. Danach ist ein Gesellschafter einer Steuerberatungs-GbR, der von dieser einen Teil des Mandantenstamms nur zu dem Zweck erwirbt, diesen unmittelbar anschließend einer unter seiner maßgeblichen Beteiligung neu gegründeten Steuerberatungs-GbR unentgeltlich zur unternehmerischen Nutzung zu überlassen, ohne dass dieser Mandantenstamm jedoch dem Vermögen der neu gegründeten Gesellschaft zuwächst, nicht zum Vorsteuerabzug aus dem Erwerb des Mandantenstamms berechtigt.
Der EuGH weist darauf hin, dass sein zum Vorsteuerabzug von Gründungsgesellschaftern einer (Personen-)Gesellschaft in der Rs. "Polski Trawertyn" ergangenes Urteil einen sehr spezifischen Sachverhalt betraf, der sich von dem Sachverhalt des vorliegenden Ausgangsverfahrens in zahlreichen Punkten unterscheidet.
Der EuGH stellt maßgebend darauf ab, dass der Kläger den Mandantenstamm (lt. den bindenden Sachverhaltsfeststellungen) der Neu-GbR unentgeltlich und damit außerhalb einer wirtschaftlichen Tätigkeit überlässt. Auch könne die unentgeltliche Überlassung des Mandantenstammes nicht mit anderen rechtlichen Lösungen gleichgestellt werden, die ein Vorsteuerabzugsrecht – und damit die Anwendung des Neutralitätsgrundsatzes - eröffnet hätten.
Der EuGH lässt aber – wie bereits der BFH – offen, ob ein Vorsteuerabzug im Hinblick auf eine Geschäftsführer-Tätigkeit des Klägers für die Neu-GbR in Betracht kommt. Ebenfalls zu prüfen hat der BFH, ob dem Kläger tatsächlich neben der unentgeltlichen Überlassung des Mandantenstammes andere rechtliche Lösungen bereit gestanden hätten, die ihm einen Vorsteuerabzug eröffnet hätten. Insoweit bleibt das Folge-Urteil des BFH abzuwarten.
Praxishinweis
Das vorliegende Urteil verdeutlicht, dass die Rechtsprechung des EuGH oftmals sehr fallbezogen erfolgt und sich die Feststellungen grundsätzlich nicht ohne Weiteres auf andere Sachverhaltsgestaltungen übertragen lassen. Der EuGH hatte in seinem Urteil "Polski Trawertyn" mit Bezug auf sein Urteil v. 29.4.2004, C-137/02 (Faxworld) entschieden, dass eine OHG, deren Gesellschafter Investitionen (hier der Erwerb eines Grundstücks) vor Eintragung der OHG ins Handelsregister bzw. vor der umsatzsteuerlichen Registrierung der OHG für Zwecke der wirtschaftlichen Tätigkeit der OGH getätigt haben, für diese Investitionen zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Weiter hatte der EuGH entschieden, dass in einem solchen Fall bereits dem Personenverbund der Gesellschafter selbst der Vorsteuerabzug zustehen kann. Wenn der Personenverbund vor Eintragung und mehrwertsteuerlicher Erfassung ihrer Gesellschaft Investitionen getätigt hat, die für die künftige Nutzung durch die Gesellschaft erforderlich sind, ist er als Unternehmer anzusehen und daher grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Die Vorsteuerabzugsberechtigung der Gesellschaft bzw. des Personenverbunds gilt auch dann, wenn die Einbringung des Grundstücks in die OHG ein steuerfreier Vorgang ist. Der EuGH räumte zwar ein, dass der Ausgangsfall sich von dem in der Rs. "Faxworld" unterschied, weil es dort um Vorbezüge einer Vorgründungsgesellschaft einer späteren AG ging und die Investitionen im Zuge einer Geschäftsveräußerung im Ganzen auf die AG übertragen wurden. Der EuGH ging aber – mit Bezug auf die Schlussanträge des Generalanwalts - offensichtlich von einer wirtschaftlichen Vergleichbarkeit mit der Rs. "Faxworld" aus.
Im vorliegenden Fall hat der EuGH erneut betont, dass grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen muss, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und der Umfang des Vorsteuerabzugs bestimmt werden kann. Jedoch fiel der Ausgangsumsatz nicht in den Anwendungsbereich der MwSt, da die unentgeltliche Überlassung des Mandantenstamms an die neue Gesellschaft nicht als „wirtschaftliche Tätigkeit“ angesehen werden kann. Die Überlassung des Mandantenstamms an die neue Gesellschaft war unentgeltlich und fiel daher weder in den Anwendungsbereich von Art. 2 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie, der nur entgeltliche Lieferungen und Dienstleistungen erfasst, noch in den von Art. 4 Abs. 1 und 2 der 6. EG-Richtlinie, der die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen erfasst.
Ein Vorsteuerabzugsrecht für den Erwerb des Mandantenstamms würde sich nach dem Urteil nur eröffnen, wenn der Betroffene den Mandantenstamm selbst im Rahmen seiner Tätigkeit als Geschäftsführer einer neu gegründeten Gesellschaft erworben hat und wenn die Kosten, die sich aus diesem Erwerb ergeben, zu den allgemeinen Aufwendungen seiner Tätigkeit als Geschäftsführer rechnen. Diese Hypothese hatte der BFH jedoch selbst bereits ausgeklammert, so dass der EuGH darauf nicht näher eingehen musste.
Auch aus Neutralitätsgründen sieht der EuGH im vorliegenden Fall keinen Raum für den Vorsteuerabzug. Der Neutralitätsgrundsatz ist ein Auslegungsgrundsatz, der einer Ausweitung des Vorsteuerabzugs gegenüber den einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts nicht zugänglich ist. Hinsichtlich nicht steuerbarer Ausgangsumsätze wie im vorliegenden Fall ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Mit entscheidend für den Ausschluss des Vorsteuerabzugs scheint für den EuGH zu sein, dass der Mandantenstamm im vorliegenden Fall nicht (wie die Grundstücke in der Rechtssache "Polski Trawertyn") in die neu gegründete Gesellschaft eingebracht worden war. Der EuGH weist noch darauf hin, dass die neu gegründete Gesellschaft ja auch keinen Vorsteuerabzug beantragt habe. Dies hätte sie jedoch auch nicht mit Erfolg tun können, weil nicht sie, sondern der Gesellschafter den Mandantenstamm erworben hatte. Inwieweit der Kauf des Mandantenstamms durch den Gesellschafter mit einer Investitionshandlung seiner Gesellschaft gleichgestellt werden könnte, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen.
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