6.1.1. Persönliche Voraussetzungen
6.1.1.1. Die Anwendung des § 6 AStG setzt voraus, daß die unbeschränkte Steuerpflicht mindestens zehn Jahre bestanden hat. Es ist nicht erforderlich, daß die Person gleichzeitig auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
6.1.1.2. War der Steuerpflichtige bzw. sein Rechtsvorgänger (vgl. Tz. 6.2.) mehrere Male im Inland ansässig, so sind die Zeiträume zusammenzuzählen, während deren unbeschränkte Steuerpflicht bestand. Zeiträume einer unbeschränkten Steuerpflicht, die vor dem 21. Juni 1948 endeten, sind aus Billigkeitsgründen hierbei nicht zu berücksichtigen.
6.1.2. Sachliche Voraussetzungen
6.1.2.1. Die Wegzugsbesteuerung im Sinne des § 6 AStG erstreckt sich auf Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften, für die im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 EStG - ausgenommen die Veräußerung - erfüllt sind. Es ist danach erforderlich, daß der Steuerpflichtige an einer inländischen Gesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Wegzug ins Ausland wesentlich, d.h. zu mehr als 25 v.H., unmittelbar oder mittelbar beteiligt war. Hierfür reicht es aus, wenn diese Beteiligung innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums nur kurzfristig zu mehr als 25 v.H. bestanden hat. Im Zeitpunkt des Wegzugs können somit auch Anteile von 25 v.H. oder weniger eine Besteuerung nach § 6 AStG auslösen.
6.1.2.2. Hat der Wegzügler die Anteile während des Fünf-Jahres-Zeitraums unentgeltlich erworben, so reicht es aus, wenn die Mindestbeteiligung in der Person des Rechtsvorgängers oder eines der Rechtsvorgänger erfüllt war.
6.1.3. Besteuerung des Vermögenszuwachses
6.1.3.1. Der nach § 6 AStG steuerpflichtige Vermögenszuwachs unterliegt der unbeschränkten Steuerpflicht. Er ist zusammen mit anderen Einkünften, die dem Steuerpflichtigen in dem betreffenden Veranlagungszeitraum bis zum Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht zugeflossen sind, zu veranlagen. Hierbei ist R 227 EStR 1993 zu beachten.
6.1.3.2. Bei der Ermittlung der Einkünfte sind die Vorschriften der § 17 EStG und § 53 EStDV über die Ermittlung der Anschaffungskosten sowie § 9 BewG über die Ermittlung eines gemeinen Wertes entsprechend anzuwenden. Der Steuersatz für den Vermögenszuwachs bemißt sich nach § 34 EStG.
6.1.3.3. § 6 AStG gilt nur für Fälle, in denen der gemeine Wert der Anteile beim Wegzug die Anschaffungskosten übersteigt; die Bestimmung führt nicht zur Realisierung von Verlusten (vgl. BFH-Urteil vom 28. Februar 1990, BStBl. II, 615).
6.1.4. Veräußerung von Anteilen nach dem Wohnsitzwechsel
6.1.4.1. Wird ein Anteil nach dem Wohnsitzwechsel veräußert, so unterliegt der dabei entstehende Veräußerungsgewinn nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe e i.V.m. § 17 EStG der beschränkten Steuerpflicht. Hierbei ist auch der Wertzuwachs vor dem Wegzug ins Ausland in die Besteuerung einzubeziehen. Bei der Veranlagung ist der Veräußerungsgewinn um den bereits versteuerten Vermögenszuwachs zu kürzen.
Beispiel:
Der Steuerpflichtige ist am 1. Januar 1977 in das Bundesgebiet zugezogen und am 31. Dezember 1988 weggezogen. Eine wesentliche Beteiligung an einer inländischen Gesellschaft, die der Steuerpflichtige am 1. Januar 1975 für 1 Mio DM erworben hatte, besaß am 1. Januar 1977 einen gemeinen Wert von 3 Mio DM und am 31. Dezember 1988 von 10 Mio DM. Sie wird am 1. Januar 1991 für 17 Mio DM veräußert.
Für den Veranlagungszeitraum 1988 ist der Steuerpflichtige mit dem Wertzuwachs seit dem Zuzug in Höhe von 7 Mio DM (= 10 Mio DM./. 3 Mio DM) unbeschränkt steuerpflichtig (§ 6 AStG i.V.m. § 17 EStG). Im Veranlagungszeitraum 1991 unterliegt der gesamte Veräußerungsgewinn von 16 Mio DM (17 Mio DM./. 1 Mio DM) unter Abzug der bereits versteuerten 7 Mio DM (§ 6 Abs. 1 letzter Satz AStG), insgesamt also 9 Mio DM, der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 e EStG).
6.1.4.2. Bei einer späteren tatsächlichen Veräußerung kann sich auch bei Erzielung eines Gewinns durch die Kürzung um den bereits versteuerten Vermögenszuwachs ein Verlust ergeben.
Hat die Veräußerung tatsächlich zu einem Verlust geführt und war der Vermögenszuwachs bei Wegzug positiv, so ist dieser Verlust aus der tatsächlichen Veräußerung um den angesetzten positiven Vermögenszuwachs zu erhöhen.
War der Vermögenszuwachs bei Wegzug negativ, hat jedoch die tatsächliche Veräußerung zu einem positiven Ergebnis geführt, so ist bei Berechnung des Veräußerungsgewinns von den ursprünglichen Anschaffungskosten auszugehen (vgl. Tz. 6.1.3.3).
6.1.4.3. § 6 Abs. 4 und 5 AStG ist bei einer Veräußerung von Anteilen nicht anzuwenden.
6.1.4.4. Ist der Steuerpflichtige wieder unbeschränkt steuerpflichtig geworden und veräußert er die wesentliche Beteiligung dann, so sind die Tz. 6.1.4.1 und 6.1.4.2 mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der beschränkten die unbeschränkte Steuerpflicht tritt. Wurde bei der Wiederbegründung der unbeschränkten Steuerpflicht eine Berichtigung nach § 6 Abs. 4 AStG durchgeführt, so entfällt die Kürzung des Veräußerungsgewinn...