Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Staatliche Beihilfen. Von einem Mitgliedstaat erteilte Steuervorbescheide (tax rulings). Selektive Steuervergünstigungen. Zuweisung der durch Lizenzen des geistigen Eigentums erwirtschafteten Gewinne an die Zweigniederlassungen gebietsfremder Gesellschaften. Fremdvergleichsgrundsatz
Normenkette
AEUV Art. 107 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
1.Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 15. Juli 2020, Irland u. a./Kommission (T-778/16 und T-892/16, EU:T:2020:338), wird insoweit aufgehoben, als mit ihm den Rügen, die Irland im Rahmen des ersten, des zweiten und des dritten Klagegrundes in der Rechtssache T-778/16 und die Apple Sales International Ltd und die Apple Operations Europe Ltd im Rahmen des ersten, des zweiten, des dritten, des vierten und des fünften Klagegrundes in der Rechtssache T-892/16 erhoben haben, stattgegeben, der Beschluss (EU) 2017/1283 der Kommission vom 30. August 2016 über die staatliche Beihilfe SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) Irlands zugunsten von Apple für nichtig erklärt und über die Kosten entschieden wird.
2.Die Klage von Irland und die Klage der Apple Sales International Ltd und der Apple Operations International Ltd werden abgewiesen.
3.Irland und die Apple Sales International Ltd und die Apple Operations Europe Ltd tragen neben ihren eigenen Kosten die, die der Europäischen Kommission im Rechtsmittelverfahren und im ersten Rechtszug entstanden sind.
4.Das Großherzogtum Luxemburg, die Republik Polen und die EFTA-Überwachungsbehörde tragen jeweils ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache C-465/20 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 25. September 2020,
Europäische Kommission,vertreten durch L. Flynn, P.-J. Loewenthal und F. Tomat als Bevollmächtigte,
Rechtsmittelführerin,
andere Parteien des Verfahrens:
Irland,vertreten durch M. Browne, Chief State Solicitor, A. Joyce und J. Quaney als Bevollmächtigte zunächst im Beistand von P. W. Baker, KC, C. Donnelly, SC, A. Goodman, SC, S. Kingston, SC, und B. Doherty, BL, dann im Beistand von P. W. Baker, KC, C. Donnelly, SC, P. Gallagher, SC, A. Goodman, SC, B. Doherty, BL, und D. Fennelly, BL,
Apple Sales International Ltdmit Sitz in Cork (Irland),
Apple Operations International Ltd,vormals Apple Operations Europe Ltd, mit Sitz in Cork,
vertreten durch D. Beard, KC, J. Bourke, Barrister, L. Osepciu, Barrister, C. Riis-Madsen, Advokat, E. van der Stok, Advocaat, und Rechtsanwalt A. von Bonin,
Kläger im ersten Rechtszug,
Großherzogtum Luxemburg,zunächst vertreten durch A. Germeaux und T. Uri, dann durch A. Germeaux und T. Schell als Bevollmächtigte im Beistand von J. Bracker und D. Waelbroeck, Avocats,
Republik Polen,
EFTA-Überwachungsbehörde,zunächst vertreten durch M. Sánchez Rydelski, C. Simpson und C. Zatschler, dann durch M. Sánchez Rydelski und C. Simpson als Bevollmächtigte,
Streithelfer im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan, T. von Danwitz und Z. Csehi, der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei sowie der Richter M. Ilešič, J.-C. Bonichot, I. Jarukaitis, A. Kumin, N. Jääskinen, N. Wahl (Berichterstatter) und M. Gavalec,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2023,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. November 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Europäische Kommission die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 15. Juli 2020, Irland u. a./Kommission (T-778/16 und T-892/16, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2020:338), mit dem der Beschluss (EU) 2017/1283 der Kommission vom 30. August 2016 über die staatliche Beihilfe SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) Irlands zugunsten von Apple (ABl. 2017, L 187, S. 1, im Folgenden: streitiger Beschluss) für nichtig erklärt wurde.
I.Vorgeschichte des Rechtsstreits
Rz. 2
Die Vorgeschichte des Rechtsstreits (angefochtenes Urteil, Rn. 1 bis 47) lässt sich für die Zwecke des Rechtsmittelverfahrens wie folgt zusammenfassen.
A.Entwicklung des Apple-Konzerns
1.Apple-Konzern
Rz. 3
Der 1976 gegründete Apple-Konzern mit Sitz in Cupertino (Vereinigte Staaten) besteht aus der Apple Inc. und allen von dieser Gesellschaft kontrollierten Unternehmen (im Folgenden zusammen: Apple-Konzern). Er entwickelt, fertigt und vermarktet u. a. mobile Kommunikations- und Mediengeräte, Personal Computer und tragbare digitale Musikabspielgeräte; außerdem bietet er Software, sonstige Dienstleistungen, Netzwerklösungen sowie digitale Inhalte und Anwendungen von Drittanbietern an. Seine Produkte und Dienstleistungen bietet der Apple-Konzern Verbrauchern, Unternehmen und staatlichen Stellen auf der ganze...