Leitsatz (amtlich)
1. Haftet die Herstellerin des Basisfahrzeuges eines Wohnmobils auf den sog. Differenzschaden, kommt hinsichtlich der Bemessung des Differenzschadens innerhalb des nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorgegebenen Rahmens dem Umstand, dass die Herstellerin des Basisfahrzeuges lediglich von der Veräußerung des Basisfahrzeugs profitiert, eine maßgebliche Bedeutung zu.
2. Der im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigende Nutzungsersatz bemisst sich bei Wohnmobilen regelmäßig nach der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer und nicht nach der Laufleistung, da anders als bei einem Pkw zur bestimmungsgemäßen Nutzung nicht nur das Fahren, sondern auch das im Vordergrund stehende Wohnen auf Rädern während der Standzeit gehört. Die Gesamtnutzungsdauer eines Wohnmobils schätzt der Senat in der Regel auf 15 Jahre.
3. Für die zur Bemessung der Vorteilsausgleichung erforderliche Schätzung des erzielbaren Verkaufserlöses eines Wohnmobiles ist es zulässig, vergleichbare Verkaufsangebote auf Internetplattformen wie mobile.de oder autoscout.24 heranzuziehen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; ZPO § 287 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Waldshut-Tiengen (Aktenzeichen 1 O 139/22) |
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 26.09.2023, Az. 1 O 139/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Wohnmobils.
Die Klagepartei erwarb ausweislich der verbindlichen Bestellung vom 24.10.2019 das Wohnmobil der Marke Dethleffs, Modell Magic Edition I 2 EB zu einem Kaufpreis von 69.900 EUR als Neufahrzeug von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten. Die Beklagte ist Herstellerin des Basisfahrzeugs des Wohnmobils der Marke Fiat Ducato. Das am 08.08.2019 erstmals zugelassene und am 28.11.2019 auf die Ehefrau des Klägers zugelassene Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor Fiat Ducato 2,3 l, Multijet, 110 kW, Schadstoffklasse Euro 6, Baumusterbezeichnung F1AGL411C ausgestattet. Die Klagepartei hat den Erwerb des Wohnmobils über ein Darlehen finanziert. Der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs betrug am 23.11.2024 34.476 km.
Der Motor verfügt über ein Motorsteuerungsgerät des Unternehmens Magneti Marelli, das ein Thermofenster, also eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung, enthält.
Für die Typgenehmigung wird das Mehrstufengenehmigungsverfahren durchgeführt. Das Basisfahrzeug wurde von der italienischen Typgenehmigungsbehörde zugelassen. Ein Rückruf ist weder seitens der italienischen noch der deutschen Typgenehmigungsbehörde angeordnet.
Nach Erhalt von Informationen seitens der Robert Bosch GmbH über vermeintliche Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dem Emissionskontrollsystem bei von der Beklagten hergestellten Euro-6-Fahrzeugen im April 2016 nahm das Kraftfahrtbundesamt (KBA) Untersuchungen vor und informierte anschließend mit Schreiben vom 12.05.2016 das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) über die nach seiner Beurteilung erfolgte Ausstattung von Euro-6-Fahrzeugen der Beklagten mit unzulässigen Abschalteinrichtungen, so unter anderem eines Zurückfahrens der Abgasrückführung nach 22 Minuten Betriebsdauer. Die daraufhin informierten italienischen Behörden nahmen in der Folge zwar selbst nach eigenen Angaben zahlreiche und gründlich durchgeführte Fahrzeuguntersuchungen vor, die spätestens im August 2016 abgeschlossen waren, ein Rückruf oder sonstige Maßnahmen wurden durch sie allerdings nicht angeordnet, weswegen im Mai 2017 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien eingeleitet wurde.
Ausweislich einer amtlichen Auskunft des KBA vom 07.04.2022 (Anlage I K 9) habe sich aufgrund durchgeführter Untersuchungen eines Motors Fiat Ducato 2.3 l 110 kW Diesel Euro 6 LNT der Verdacht auf das Vorhandensein von unzulässigen Abschalteinrichtungen gem. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007/EG ergeben. Die Abgasrückführungsrate (AGR) bzw. die NOx-Speicherkatalysator-Regenerationen würden nach einer gewissen Motorlaufzeit verringert/deaktiviert ("Timer"). Die AGR-Rate werde zudem umgebungstemperaturabhängig verringert. Ausweislich einer Folgeauskunft vom 13.06.2022 handelt es sich bei dem zuvor genannten Motor um denjenigen mit der Baumusterbezeichnung F1AGL411C.
Die Klagepartei hat erstinstanzlich unter anderem behauptet, das von ihr erworbene Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines sog. "Timers". Diese zeitbasierte Abschalteinrichtung bewirke die Abschaltung der Abgasrückführung (AGR) und die Deaktivierung des NOx-Speicherkatalysators (NSK) nach Ablauf eines Zeitraums von 22 Minuten ab Motorstart, was einer prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung glei...