Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Konkurrenztätigkeit nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Dauer des vertraglichen Wettbewerbsverbots. Einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Wettbewerbstätigkeit bei nicht offensichtlich rechtswidriger Kündigung. Unterlassungsanspruch im einstweiligen Verfügungsverfahren bei offenem Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens
Leitsatz (amtlich)
1. Das vertragliche Wettbewerbsverbot gilt während der gesamten rechtlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses. Ein Arbeitnehmer darf deshalb grundsätzlich auch nach Zugang einer von ihm gerichtlich angegriffenen fristlosen Kündigung des Arbeitgebers keine Konkurrenztätigkeit ausüben, falls sich die Kündigung später als unwirksam herausstellt.
2. Die Unterlassung von Wettbewerb kann grundsätzlich auch nach einer fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber und nach Erhebung einer Kündigungsschutzklage durch den Arbeitnehmer im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemacht werden. Dem steht nicht entgegen, dass sich dabei beide Parteien widersprüchlich verhalten. Dies ist im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu berücksichtigen, steht aber deren Erlass nicht absolut entgegen.
3. Im Hinblick darauf, dass im Zeitpunkt der Entscheidung über die einstweilige Verfügung regelmäßig im Kündigungsschutzverfahren noch nicht feststeht, ob die Kündigung wirksam oder unwirksam ist, gilt Folgendes:
a) Der Unterlassungsanspruch kommt dann in Betracht, wenn die streitige Kündigung ausgehend von den Erkenntnismöglichkeiten im einstweiligen Verfügungsverfahren offensichtlich unwirksam ist.
b) Ist dies nicht der Fall, hat im Hinblick auf das für beide Parteien betroffene Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG eine umfassende Folgenabwägung stattzufinden. Hierbei ist auch der Stand des Kündigungsschutzverfahrens zu berücksichtigen. So ändert ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil die Interessenlage maßgeblich. Hat sich der Arbeitnehmer mit seiner Rechtsansicht betreffend die Kündigung durchgesetzt, kann von ihm grundsätzlich erwartet werden, dass er einen konkret und unmittelbar gegen den Arbeitgeber gerichteten Wettbewerb in Form der selbständigen Tätigkeit unterlässt.
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1; BGB §§ 157, 162, 241 Abs. 2, § 615 S. 2, § 626; HGB § 60 Abs. 1, § 74; ZPO §§ 294, 920 Abs. 2, §§ 936, 940, 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Solingen (Entscheidung vom 12.07.2022; Aktenzeichen 1 Ga 6/22) |
Tenor
- Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 12.07.2022 - 1 Ga 6/22 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Verfügungskläger auferlegt.
Tatbestand
Der Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagter) war seit dem 01.10.2007 bei dem Verfügungskläger bzw. dessen Rechtsvorgängern (im Folgenden: Kläger) zuletzt als Steuerberater mit einem monatlichen Bruttogehalt von 10.200,00 Euro beschäftigt. Grundlage war der noch mit der Sozietät C., O. und N. geschlossene Anstellungsvertrag vom 13.09.2007. In diesem hieß es u.a.:
"1. Beginn, Dauer und Inhalt des Arbeitsverhältnisses
... Herr T. hat seine Arbeitskraft ausschließlich der Sozietät C. - O. - N. zu widmen oder in deren Auftrag einzusetzen.
...
9. Schriftform
Vertragsänderungen und Absprachen außerhalb der vorgesehenen Regelung bedürfen der Schriftform."
Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot enthielt der Arbeitsvertrag nicht. Der Kläger beriet und betreute als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in seiner Kanzlei mit mindestens zwei Niederlassungen in M. mindestens 500 Mandanten aus M., L., M., C., M. und X. sowie aus E. und C..
Der Beklagte hatte unter dem Mandantennummernkreis 19XXX eine Mehrzahl von privaten Mandaten, u.a. Familienangehörige, abgelegt, welcher er betreute. Hierzu benutzte der Beklagte die Betriebsmittel des Klägers. Die Tätigkeit des Beklagten erfolgte gegenüber diesen Mandanten kostenfrei. Ob diese Tätigkeit mit Kenntnis und Einwilligung des Klägers und des inzwischen zum 30.06.2021 ausgeschiedenen Partners N. erfolgte, ist zwischen den Parteien streitig. Im Zusammenhang mit der Anhörung des Beklagten am 10.12.2021 betreffend die vom Kläger als unzulässiger Wettbewerb eingeordnete Tätigkeit des Beklagten für den Mandantenkreis 19XXX kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Parteien, die sowohl in ihrem Inhalt als auch im Hinblick auf die Frage, ob sie nur verbal oder auch körperlich ausgetragen wurde, zwischen den Parteien streitig ist.
Mit Schreiben vom 15.12.2021 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31.05.2022. In diesem Schreiben stellte er den Beklagten vorsorglich für den Fall, dass die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beenden sollte, bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist frei. Aufgrund der fristlosen Kündigung erhielt der Beklagte im Hinblick auf den Bezug von Arbeitslosengeld eine zwölfwöchige Sperrzeit. Der Beklagte erhob gegen die fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung vom 15.12.2021 Kündigungs...