Dr. rer. nat. Ulrich Welzbacher
2.1 Folgen unterschiedlich "strenger" Grenzwerte
Schon bisher führen unterschiedliche herkömmliche Luftgrenzwerte aus verschiedenen Quellen in der Praxis häufig zur Verwirrung, z. B.
In diesen Fällen ist die Rechtssituation eigentlich klar: Im Zweifelsfall gilt ausschließlich die jeweilige nationale gesetzliche Regelung, in Deutschland also die TRGS 900. Allerdings ist dies vielen Anwendern nicht hinreichend bewusst.
Unabhängig vom derzeit noch ungeklärten Verhältnis zu den herkömmlichen Grenzwerten können unterschiedliche DNELs auch darin begründet sein, dass einzelne Lieferanten möglichst hohe Werte als "Marketinginstrument" einsetzen, um potenziellen Kunden eine geringere Gefährlichkeit des eigenen Produktes im Vergleich zu denen der Mitbewerber zu suggerieren.
Andererseits gibt es aber auch Befürchtungen, dass insbesondere US-amerikanische Hersteller aus Haftungsgründen mit hohen Sicherheitsfaktoren niedrige DNELs ermitteln. Hiermit hoffen sich solche Lieferanten dann von der Haftung für den Fall freizustellen, dass doch einmal etwas passiert …
Allerdings ist es mit der Angabe eines DNEL im (erweiterten) Sicherheitsdatenblatt nicht getan: Der Lieferant muss auch Schutzmaßnahmen angeben, mit denen der DNEL eingehalten werden kann, und wenn der zu niedrig angesetzt ist, wird das wohl kaum gelingen mit der Folge, dass die betreffende Anwendung nicht als "sicher" gilt. Der betreffende Stoff darf dann für diesen Zweck nicht in Verkehr gebracht werden, d. h., es drohen Umsatzeinbrüche!
Art. 40 1272/2008/EG enthält Instrumente, mit denen Registranten gleicher Stoffe veranlasst werden sollen, sich auf eine einheitliche Einstufung und Kennzeichnung für den jeweiligen Stoff zu einigen. Eine vergleichbare Regelung für DNELs gibt es bisher noch nicht. Es sollte angestrebt werden, derartige Regelungen auch für diesen Bereich in der CLP-Verordnung zu verankern.
2.2 AGW, DNELs oder beides?
Für ca. 700 Substanzen gibt es in den verschiedenen Industriestaaten bisher herkömmliche Luftgrenzwerte, die von entsprechenden nationalen oder übernationalen Fachgremien erarbeitet wurden.
Auch zu diesen Stoffen müssen – soweit sie in Mengen von mehr als 10 t pro Jahr hergestellt oder importiert werden – von den Registranten DNELs erarbeitet und in den Sicherheitsdatenblättern kommuniziert werden. Die hiermit im Zusammenhang stehenden Probleme wurden in der Internationalen Konferenz "Grenzwerte für Gefahrstoffe – gesunde Arbeitsbedingungen in einer globalen Wirtschaft" im Mai 2007 bei der BAuA in Dortmund ausführlich diskutiert. Dabei wurden 2 unterschiedliche Positionen vertreten:
- Es wurde die Meinung vertreten, dass herkömmliche Grenzwerte zukünftig nicht mehr benötigt würden (und die entsprechenden Gremien aufgelöst werden könnten), da es in einigen Jahren praktisch für alle relevanten Stoffe DNELs geben würde, die zudem besser begründet sein würden als herkömmliche AGW.
- Hiergegen wehrten sich natürlich insbesondere Vertreter(innen) der deutschen MAK-Kommission und von SCOEL, die die Verdienste ihrer Institutionen herausstellten und darauf hinwiesen, dass diese von wissenschaftlichen Kommissionen abgeleiteten Luftgrenzwerte fachlich besser fundiert seien als DNELs und daher diesen vorzuziehen seien.
Beide "Parteien" vertraten ihre Positionen zunächst aus dem Blickwinkel ihrer eigenen Interessen, ihrer bisherigen Aufgaben und Funktionen (DFG und SCOEL) sowie den zukünftigen sich aus REACH ergebenden Aufgaben und Szenarien ("DNEL-Protagonisten").
2.3 Braucht der Arbeitsschutz überhaupt Grenzwerte?
Außerdem wurde in der Konferenz auch die Meinung vertreten, der Arbeitsschutz benötige überhaupt keine Grenzwerte, da nur in einem verschwindend geringen Teil (weniger als 3 %) von Betrieben überhaupt gemessen würde und von daher Arbeitsplatzgrenzwerte in der Praxis unbedeutend seien.
Dem wurde entgegengehalten, dass die Lieferanten für ihre Gefährdungsbeurteilung ermitteln müssen, welche Gefahrstoffkonzentrationen am Arbeitsplatz hinsichtlich der unterschiedlichen Expositionswege, für den Verbraucher bei der Anwendung der Endprodukte sowie für die Umwelt unbedenklich sind.
Aufgrund dieser Erkenntnisse werden geeignete Schutzmaßnahmen empfohlen, bei deren Anwendung die jeweiligen unbedenklichen Konzentrationen (DNELs oder PNECs) eingehalten werden können. Wenn Anwender der jeweiligen Chemikalie die empfohlenen Schutzmaßnahmen übernehmen, liegt hier ein Fall von "mitgelieferter Gefährdungsbeurteilung" vor, wie er bereits in § 6 Abs. 7 der Gefahrstoffverordnung beschrieben ist.
Entsprechend den Regelungen der heutigen Gefahrstoffverordnung kann der Arbeitgeber in solchen Fällen tatsächlich auf eigene Messungen verzichten, wenn er sich genau im Rahmen der mitgelieferten Gefährdungsbeurteilung bewegt.
Insoweit fördern die Regelungen unter REACH ein Konzept, das der deutsche Ge...