3.1 Globalisierung und Digitalisierung
Die Rahmenbedingungen der Arbeit ändern sich: Internationale Arbeitsteilung und globalisierter Wettbewerb, getrieben von Big Data, unendlich vernetzten IT-Strukturen und künstlicher Intelligenz, stellen die Unternehmen vor steigende Anforderungen an Qualität, Aktualität und Individualität der Produkte und an die Flexibilität und Leistung der Arbeitnehmer. Dabei beobachten wir schon heute eine kontinuierliche Effizienzsteigerung durch zunehmende Arbeitsverdichtung und Verschlankung der Unternehmensprozesse bei gleichzeitiger Auflösung von Arbeitsort und Arbeitszeit ("Arbeiten – immer und überall"). Dem begegnet die Arbeitsmedizin auf der Ebene des Mitarbeiters mit dem Appell zur Achtsamkeit und Reflexion, um selbstbestimmt eine individuelle Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden. Auf Ebene des Unternehmens müssen Fragen der Mitarbeiterführung ("Führen auf Distanz"), der Organisation der Arbeit und Zusammenarbeit, aber auch die Einführung neuer Arbeitsformen diskutiert werden.
Hatte man früher seine Kunden meist im Binnenmarkt, so pflegen heute viele mittelständische und alle Großunternehmen beim Ein- oder Verkauf ihrer Produkte internationale Kontakte. Internationaler Einsatz der Beschäftigten, auch in den Tropen und Ländern mit niedrigem Hygienestandard erfordern eine kompetente reisemedizinische Beratung, Impfvorsorge und Begleitung über Videosprechstunden bei Krankheitsfällen im Ausland. Dies ist ein wichtiger Betreuungsbereich moderner betriebsärztlicher Tätigkeit.
Internationale Einsätze, teilweise über viele Zeitzonen hinweg, erfordern sowohl für die Reisenden, aber auch für die am Stammsitz führenden und betreuenden Mitarbeiter eine Einsatzbereitschaft rund um die Uhr an allen Wochentagen ("24/7"). Dadurch werden Chronodisruption (Störung des Tagesrhythmus) und Schlafmangel/Schlafstörungen begünstigt. Praktisch umsetzbare Maßnahmen müssen hier individuell an die unterschiedlichsten Anforderungen angepasst werden.
3.2 Neue Technologien und Werkstoffe
Weltweite Forschung und Entwicklung sowie Begleitphänomene, wie Rohstoffmangel und Klimawandel, beschleunigen die Einführung neuer Werkstoffe und Verarbeitungstechniken, die den technologischen und strukturellen Wandel der Wirtschaft heute kontinuierlich prägen. Dies stellt hohe Anforderungen an die erforderlichen Gefährdungs- und Risikobeurteilungen, wenn – wie so häufig – keine ausreichenden Erkenntnisse und Erfahrungen vorliegen. Hier unterstützen die Betriebsärzte mit toxikologischem Basiswissen über Aufnahmewege, Metabolismus (Stoffwechsel) und Biomonitoring und vermitteln ggf. Kontakte zu geeigneten medizinischen Forschungsinstituten.
3.3 Demografie und Fachkräftemangel
Die Bevölkerungsentwicklung der Bundesrepublik führt in fast allen Unternehmen seit Jahren zu einem steigenden Durchschnittsalter der Belegschaften, weil die geburtenstarken Jahrgänge um 1960 nun zunehmend in den Ruhestand gehen und die nachfolgenden Generationen schon rein zahlenmäßig diese Lücken nicht schließen können. Hier setzt eine Reihe von Maßnahmen an, die die Arbeit alters- und alternsgerecht gestalten sollen, wie z. B. ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und die Bereitstellung geeigneter Hilfsmittel sowie die alternsgerechte (Weiter-)Qualifizierung durch "lebenslanges Lernen". Auch wenn einige dieser Maßnahmen nicht unbedingt im betriebsärztlichen Verantwortungsbereich liegen, ist es doch meist der Betriebsarzt, der aus seinen Beobachtungen und Gesprächen frühzeitig über die arbeitsmedizinische Vorsorge Belastungs- und Beanspruchungsdefizite erkennen und diese im Betrieb ansprechen kann.
Älter werdende Belegschaften brauchen eine intensivere Beratung zu ihren individuellen Risikofaktoren und Gesundheitsziele mit frühzeitig einsetzenden Präventionsmaßnahmen. Dem können allgemeine ganzheitliche Vorsorgeuntersuchungen dienen, die z. B. im Alter von 35/45/55 und 60 Jahren jeweils einen Status quo ermitteln und wirksame Strategien zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit vermitteln. Zusätzlich kann dabei gezielt auf die altersbezogene Häufung bestimmter Erkrankungen geachtet werden. Hier bedarf es in den nächsten Jahren grundsätzlicher politischer Entscheidungen zur Stärkung der Kooperation zwischen den Unternehmen und Krankenkassen, z. B. im Rahmen der Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes.
Dem Betriebsarzt steht auch mit den Untersuchungsergebnissen der individuellen arbeitsmedizinischen Vorsorge ein differenzierter Einblick in die Gesundheitslage des Betriebs zur Verfügung. Diese Daten hat er nach § 3 Abs. 1 Ziff. 2 DGUV-V 2 "zu erfassen und auszuwerten". Diese Daten eignen sich hervorragend, um betriebliche Gesundheitsprogramme darauf auszurichten und damit ganz wesentlich zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit bis zum Eintritt ins gesetzliche Rentenalter beizutragen. In körperlich stark belasteten Berufen besteht darüber hinaus die Chance, durch Anpassung des Tätigkeitsprofils an das individuelle Leistungsprofil des Mitarbeiters wertvolles Know-how und Erfahrung lange im Betrieb zu erhalten.
3.4 Diversity Management
Wir leben in einer immer heterogeneren Gesellschaft...