Prof. Dr.-Ing. habil. Manfred Rentzsch
Barrierefreie Gestaltungslösungen für U-Bahnen gelten für schienengebundene elektrische Triebwagen bzw. Triebzüge, die überwiegend unterirdisch verkehren und Verkehrsbedürfnisse in städtischen Ballungsräumen befriedigen helfen. Gleichzeitig werden damit Voraussetzungen für gleichberechtigtes Reisen von Personen mit Mobilitätseinschränkungen hinsichtlich motorischer, sensorischer und kognitiver Funktionen geschaffen.
Bei einigen U-Bahnen ist bereits der Schritt zum automatisierten Fahrbetrieb mit unterschiedlichen Graden der Automatisierung vollzogen worden (z. B. in den Ländern Schweiz, Frankreich, Japan, USA und Deutschland).Sie reichen von der Brems- und Fahrsteuerung über die Geschwindigkeitskontrolle, die Fahr- und Türsteuerung am Haltepunkt, bis zur möglichen Fernsteuerung beim fahrerlosen Betrieb. Die volle Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedingungen mobilitätseingeschränkter Reisender ist dabei besonders wichtig.
1.1 Mobilitätseinschränkungen bezogen auf motorische Funktionen
Bei Nutzung von U-Bahn-Zügen sind folgende Mobilitätseinschränkungen bezogen auf die Bewegungsfähigkeit denkbar:
- Einschränkungen körperlich beeinträchtigter Personen (z. B. Reisende mit Rollstuhl, Rollator, Gehhilfe) hinsichtlich des Erreichens der U-Bahnsteige infolge fehlender barrierefreier Zugänge bzw. Aufzüge an U-Bahn-Stationen,
- Probleme der Rollstuhlnutzer bei ggf. vorhandenen horizontalen und vertikalen Spalten zwischen Bahnsteigkante und Fahrzeugfront bzw. zwischen Bahnsteighöhe und Fahrzeugbodenhöhe (Angstfaktor) sowie infolge begrenzter Standplätze für Rollstühle und geringer Manövrierfähigkeit im Wagen,
- Einschränkungen bei Reisenden mit Contergan-Schädigung, Muskelschwäche bezüglich Reduzierung von Greifraum und Greifkraft verbunden mit Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen,
- Probleme älterer Reisender mit Gepäck und reisender Eltern mit Kleinstkindern im Kinderwagen beim Ein- und Aussteigen infolge eines fehlenden stufenlosen Ein-und Ausstiegs,
- fehlende Anpassung von Anordnung und Dimensionierung der Bedienelemente für das Öffnen und Schließen der Türen, für die Notruftaste u. a. für kleinwüchsige Menschen aufgrund ihrer kleineren Greifräume und Greifkräfte,
- Schwierigkeiten älterer Personen bei Nutzung verfügbarer Medien im Zug.
1.2 Mobilitätseinschränkungen bezogen auf sensorische Funktionen
Bei Nutzung der U-Bahn sind folgende Einschränkungen der visuellen, akustischen und taktilen Wahrnehmung möglich:
- Schwierigkeiten sehbehinderter Personen (auch altersbedingt) mit verminderter Sehschärfe, ggf. auch mit erhöhter Blendempfindlichkeit und reduziertem Gesichtsfeld durch Erkrankung, aber auch blinder Reisender mit oder ohne Restsehvermögen beim Finden der Einstiegstür,
- Farbenfehlsichtigkeit und Farbenblindheit mit Problemen des Erkennens farbiger Markierungen und des Orientierens auf dem Bahnsteig, aber auch innerhalb des Zuges,
- Defizite schwerhöriger Passagiere bei der Orientierung anhand akustischer Informationen auf Bahnsteigen (z. B. beim Identifizieren von akustischen Türfinde-Signalen an der jeweiligen Einstiegstür) sowie hinsichtlich akustischer Informationen im Zug,
- Einschränkungen bei tauben und sprachbehinderten Menschen im Reiseverkehr bei fehlendem Gebärdendolmetscher,
- Fähigkeit von Personen mit eingeschränkter Seh- und Hörfähigkeit zur Kompensation durch stärker ausgeprägte taktile oder haptische Wahrnehmung von Oberflächenstrukturen zur Orientierung und Information beim Ein- und Aussteigen sowie an entsprechenden Informationsquellen im Zug.
1.3 Mobilitätseinschränkungen bezogen auf kognitive Funktionen
Einschränkungen bezogen auf kognitive Funktionen können bei Nutzung der U-Bahn folgende Konsequenzen haben:
- verminderte Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit an Bahnsteigen und im Zug durch geistige Behinderung,
- höherer Zeitaufwand für Prozesse der Informationsaufnahme und -verarbeitung auch bei älteren Menschen in Bahnhöfen und an Bahnsteigen (z. B. an Ticketautomaten) sowie beim Ein- und Aussteigen,
- Schwierigkeiten bei Aufnahme und Verarbeitung von Informationen gegenständlicher bzw. digitaler Medien mit der Konsequenz der Orientierungslosigkeit in U-Bahnhöfen.