Prof. Dr.-Ing. habil. Manfred Rentzsch
Barrierefreie Gestaltungslösungen in Bahnhöfen sind für alle Personen zu schaffen, die den Wunsch haben, diese öffentlich zugänglichen Gebäude zur Befriedigung individueller Bedürfnisse (z. B. Auskunft, Service-Leistungen) bzw. zum Antritt von Reisen oder zur Abholung von Reisenden zu nutzen. Die Struktur des Bahnhofsgebäudes sollte deshalb sowohl nach innen wie nach außen selbsterklärend sein und eine klare Funktionalität und Orientierung besitzen, was ggf. durch Piktogramme unterstützt werden kann. Besonders interessant ist diesbezüglich der Berliner Hauptbahnhof als größter Turmbahnhof Europas mit insgesamt 5 Etagen, diversen Einkaufspassagen und Service sowie Möglichkeiten des Umsteigens von Fernzügen auf Stadt- und U-Bahn. Die Charakteristika möglicher Mobilitätseinschränkungen hinsichtlich motorischer, sensorischer und kognitiver Funktionen werden im Folgenden dargestellt:
1.1 Mobilitätseinschränkungen bezogen auf motorische Funktionen bei Nutzung des Bahnhofs
Bei Nutzung von Bahnhöfen durch mobilitätseingeschränkte Personen können bezogen auf motorische Funktionen folgende Barrieren auftreten:
- körperliche Erschwernisse von Rollstuhl- und Rollatornutzern, von Reisenden mit Kleinstkindern und Kinderwagen, aber auch von Älteren mit Gepäck bei zu überwindenden Höhenunterschieden mit eigener Körperkraft vom Ankunftsort auf dem Bahnhofsvorplatz (z. B. Straßenbahn, Parkplatz) zum Eingangsbereich des Bahnhofs,
- altersbedingte bzw. durch Erkrankung erworbene Gehbehinderung mit Schwierigkeiten des Überwindens langer Wege verbunden mit Treppen zum Erreichen unterschiedlicher Etagen und Bahnsteige,
- Stehbehinderung bei längeren Wartezeiten, wie z. B. vor Aufzügen mit zu geringer Aufnahmekapazität,
- Abweichung der Körpergröße kleinwüchsiger Personen und demzufolge größere Kraftanstrengung zur Überwindung von Greifräumen bzw. Greif- oder Bedienkräften beim Öffnen von Türen,
- Probleme von Rollstuhl- und Rollatornutzern sowie von Älteren und Eltern mit Kleinstkindern und Kinderwagen beim Ein- und Aussteigen infolge häufig zu großer Abstände zwischen Bahnsteigkante und Fahrzeugfront (horizontal) bzw. Bahnsteighöhe und Fahrzeugbodenhöhe (vertikal),
- Einschränkung von Greifraum und Greifkraft durch Contergan-Schädigung und Muskelschwäche beim Bewegen innerhalb des Bahnhofs.
1.2 Mobilitätseinschränkungen beim Bewegen innerhalb des Bahnhofs hinsichtlich sensorischer Funktionen
Folgende Einschränkungen der Mobilität sind bei Wahrnehmung visueller, akustischer bzw. taktiler Informationen in Bahnhöfen denkbar:
- Probleme bei zu überwindenden Treppen vom Bahnhofsvorplatz zur Eingangstür bzw. das Finden der Tür selbst infolge Sehbehinderung (auch altersbedingt) durch verminderte Sehschärfe und reduziertes Gesichtsfeld (durch Erkrankung) aber auch Blindheit mit oder ohne Restsehvermögen,
- Schwierigkeiten beim Erkennen farbiger Markierungen sowie bei Orientierung innerhalb des Bahnhofs durch Farbenfehlsichtigkeit und Farbenblindheit,
- Probleme schwerhöriger Reisender bei Wahrnehmung verbaler akustischer Informationen und akustischer Signale, insbesondere an Bahnsteigen durch massive Störgeräusche,
- Orientierungslosigkeit tauber und sprachbehinderter Personen innerhalb von Bahnhofsgebäuden bei fehlenden Gebärdendolmetschern,
- Gefühl der Unsicherheit bei Reisenden mit eingeschränkter Seh- und Hörfähigkeit insbesondere in mehretagigen Gebäuden und fehlendem oder wenig transparentem Wegeleit- und Orientierungssystem.
1.3 Mobilitätseinschränkungen von Reisenden in Bahnhöfen bezüglich ihrer kognitiven Funktionen
Folgende Einschränkungen kognitiver Funktionen sind beim Aufenthalt bzw. beim Bewegen innerhalb von Bahnhöfen zu berücksichtigen:
- eingeschränkte Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit der Betroffenen an Informationsständen, in Service-Einrichtungen, insbesondere auch an Bahnsteigen,
- höherer Zeitaufwand und Erklärungsbedarf für Prozesse der Informationsaufnahme und -verarbeitung bei älteren Reisenden sowie bei Personen mit Lernschwierigkeiten (z. B. an Fahrkartenschaltern bzw. -automaten).