Um schnell und unkompliziert zu Aussagen, Entscheidungen oder Lösungen zu kommen, wenden wir einfache ressourcensparende gedankliche Abkürzungswege an, die als Faustregeln (= Heuristiken) unser Verhalten leiten. In vielen Fällen liegt man mit diesen verkürzten kognitiven Operationen richtig, aber sie bergen auch die Gefahr von Urteilsfehlern. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten können voreilige und falsche Schlüsse gezogen werden.[1]

[1] Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken, Siedler Verlag, München 2012.

2.6.1 Verfügbarkeitsheuristik

Die Verfügbarkeitsheuristik besagt, dass Informationen als Entscheidungsgrundlage danach ausgewertet werden, wie präsent sie im Gedächtnis einer Person sind. An spektakuläre Ereignisse erinnert man sich leichter und schneller als an weniger sensationelle Vorkommnisse. Seltene Unfallereignisse werden überschätzt, häufig auftretende Ereignisse in ihrem Gefahrenpotenzial eher unterschätzt. Medial aufbereitete aufsehenerregende Flugzeugabstürze führen dazu, dass wir Fliegen gefährlicher einstufen als Autofahren, obwohl der Weg zum Flughafen mit dem Auto ein größeres Unfallrisiko birgt. Personen, die im Sicherheitsdienst arbeiten, erwarten häufiger Überfälle als es solche statistisch gesehen gibt.

In der EU hat sich seit 4 Jahren kein tödlicher Absturz im kommerziellen Flugverkehr ereignet. Das zeigt, Fliegen ist im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln sehr sicher. So steht das Risiko, bei einem Flugzeugunglück zu sterben, laut den Statistiken des Aviation Safety Network bei 1 zu 188.364.

Im Vergleich: Das Risiko, bei einem Autounfall zu Tode zu kommen, steht bei 1 zu 103. Es ist sogar wahrscheinlicher, durch einen Hundeangriff zu sterben (1 zu 115.111).[1]

2.6.2 Repräsentativitätsheuristik

Bei der Repräsentativitätsheuristik verallgemeinern wir eine singuläre Information für eine Klasse von Ereignissen. Beispielsweise wird bei Lottospielen das Eintreffen der Zahlenfolge 3, 7, 17, 23, 30, 34 für wahrscheinlicher gehalten als die Reihe 10, 11, 12, 13, 14, 15, obwohl von der statistischen Auftretenswahrscheinlichkeit diese Zahlen genauso gut gezogen werden können. Es geht bei der Repräsentativitätsheuristik um die Verschätzung von Wahrscheinlichkeiten, indem die Basisrate vernachlässigt wird und bedingte Wahrscheinlichkeiten überschätzt werden.

Das klassische Linda-Experiment von Kahneman & Tversky verdeutlicht dies: Beschreibungen bestimmter Interessen einer Frau namens Linda (Frauenrechte und Emanzipation). Die Probanden sollten nach diesen Beschreibungen angeben, ob Linda eher eine "Bankangestellte "oder eine "Bankangestellte und Feministin" sei. Die Mehrzahl der Befragten entschied sich für die zweite Variante. Diese Einschätzung ist jedoch falsch, da das gleichzeitige Auftreten beider Ereignisse nicht größer sein kann als die Wahrscheinlichkeit, dass eines der beiden Ereignisse alleine eintritt.[1]

2.6.3 Ankerheuristik

Die Ankerheuristik beruht auf dem Effekt, dass Menschen sich bei Entscheidungen unbewusst von Umgebungsinformationen beeinflussen lassen. Die Umgebungsinformation ist der Anker, an dem sich die Entscheidung ausrichtet. Wir brauchen Vergleichswerte, um uns zu orientieren. Den Ankereffekt macht sich v. a. die Konsumindustrie zunutze: Der Ankerpreis wirkt sich darauf aus, wie viel der Kunde bereit ist zu zahlen. Ein Kunde möchte beispielsweise ein Produkt im niedrigen Preissegment kaufen. Werden neben diesen Produkten teurere Angebote der gleichen Kategorie angeboten, so revidiert der Kunde seine ursprüngliche Preisvorstellung und greift wahrscheinlich zu einem Angebot im mittleren Preisbereich.

Interessant dabei ist, dass auch Bezugsgrößen gewählt werden, die mit der eigentlichen (Kauf-)Entscheidung gar nichts zu tun haben: Der Psychologe und Verhaltensökonom Dan Ariely ließ Studenten die letzten beiden Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer aufschreiben. Anschließend sollten sie angeben, wie viel sie bereit waren, für eine Flasche Wein auszugeben. Das Ergebnis war, dass Studenten mit einer hohen Endziffer der Sozialversicherungsnummer bereit waren, mehr auszugeben (28 Dollar) als diejenigen mit einer niedrigen Endziffer (9 Dollar).

Ein anderes Experiment der Psychologen Critcher & Gilovich ergab, dass Gäste eines Restaurants mit dem Namen "Studio 97" durchschnittlich mehr ausgaben als die Gäste des Restaurants "Studio 17".

Weitere Anker sind die Aufrufe von Spendenorganisationen "Schon 10 Euro helfen" versus "Schon 50 Euro helfen" oder die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen, die sich als Anker im Kopf für abweichende Fahrgeschwindigkeiten nach oben oder unten erweist.[1]

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