Zusammenfassung
Bei Arbeitsunfällen übernimmt die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten für die medizinische Versorgung oder evtl. Rentenzahlungen – der Unternehmer ist damit von Schadensersatzansprüchen seiner Mitarbeiter befreit. Das ist das Grundprinzip der gesetzlichen Unfallversicherung. Allerdings kann die gesetzliche Unfallversicherung beim Unfallverursacher in Fällen grober Fahrlässigkeit in Regress gehen. Ein Urteil der OLG Oldenburg entwickelt Kriterien für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit.
1 Vorbemerkung
In einer arbeitsteiligen Wirtschaft entstehen neben einer großen Zahl von vertraglichen Beziehungen nicht minder viele Haftungsbeziehungen. Der Auftragnehmer haftet dem Besteller für eine fehlerfreie Durchführung des Auftrags. Die Mitarbeiter, die den Auftrag durchführen, haften – je nach ihren Verantwortungsbereichen – für ein ungefährliches Arbeitsumfeld. Aber auch die Arbeitnehmer haften gegenüber dem Arbeitgeber dafür, dass der Kunde und dessen "Schutzbefohlene" bei der Ausführung des Auftrags nicht zu Schaden kommen, weil letztlich der Firmen-Chef dem Kunden gegenüber für derartige Schäden einzustehen hat.
Noch komplexer wird dieses Beziehungsgeflecht, wenn Personenschäden bis hin zum dauerhaften Körperschaden entstehen und die gesetzliche Unfallversicherung mit einbezogen wird.
Das Prinzip der gesetzlichen Unfallversicherung beruht im Wesentlichen darauf, den allein beitragspflichtigen Unternehmer von Schadensersatzansprüchen seiner Mitarbeiter freizustellen, wenn diese bei der Arbeit zu Schaden kommen (Ablösung der Unternehmerhaftpflicht). Dies gilt im Prinzip auch, wenn Arbeitnehmer des gleichen Betriebs sich wechselseitig schädigen. Auch dann tritt die Unfallversicherung ein, damit ein Kollege nicht gegen den anderen oder gar gegen den (gemeinsamen) Arbeitgeber klagen muss.
Aber auch die Ausgleichspflicht der Unfallversicherung ist nicht uferlos, zumal sie als Solidarversicherung auch die Interessen all derer zu beachten hat, die über Jahre hinweg Versicherungsbeiträge zahlen, die dann für Nachlässigkeiten einer kleinen Minderheit wieder ausgegeben werden müssen. Auch wenn sie gegenüber dem Unfallopfer vorleistungspflichtig ist, muss die gesetzliche Unfallversicherung im Schadensfall gewissenhaft prüfen, ob sie das "vorgeschossene" Geld vom Unfallverursacher zurück erhalten kann.
Verschuldensmaßstab
In der Praxis entscheidet sich diese Frage am Verschuldensmaßstab beim Verursacher. Die Fälle der vorsätzlichen Schadensverursachung einmal ausgeklammert, geht es im Kern um die Frage: Welches Maß an Fahrlässigkeit muss sich der Unfallverursacher vorhalten lassen? Wurde die Grenze von der "normalen" zur groben Fahrlässigkeit überschritten mit der Folge, dass die Unfallversicherung den Verursacher in Regress nehmen kann.
Das OLG Oldenburg hat mit Urteil vom 24.2.2011 – 1 U 33/10 – geradezu "schulbuchmäßig" durchdekliniert, welche Prüfstationen durchlaufen und welche Detailfragen geklärt werden müssen, um zu dem für die Unfallversicherung günstigen Ergebnis zu kommen, dass sie nicht auf ihrer gesetzlichen Leistungspflicht sitzen bleibt, sondern sich das Geld bei einem Dritten wieder holen kann.
Wie diese Entscheidung erkennen lässt, verbergen sich hinter dem vergleichsweise simpel klingenden Begriff der "groben Fahrlässigkeit" eine Fülle von Detailüberlegungen und Prüfpunkten, die allesamt akribisch angesteuert werden müssen, bevor sich am Ende ein geschlossenes Bild ergibt für die Feststellung: Ja, hier wurde grob fahrlässig ein Schaden herbeigeführt.
2 OLG Oldenburg, Urteil vom 24.2.2011 – 1 U 33/10
2.1 Zum Sachverhalt
Die Klägerin macht gegen die Beklagten aus übergegangenem Recht Regressansprüche aus einem Unfallereignis vom 28.6.2006 geltend.
Bei der einen Beklagten handelt es sich um eine gemeinnützige Zeitarbeitsfirma [im Folgenden Zeitarbeitsfirma] und ein Mitgliedsunternehmen der Klägerin [im Folgenden Berufsgenossenschaft]. Der andere Beklagte ist seit 1999 als Baustellen- und Projektleiter bei der Zeitarbeitsfirma) tätig [im Folgenden Baustellenleiter]. Er besitzt einen Meistertitel als Gas- und Wasserinstallateur sowie als Heizungsbauer. Ferner hat er einen Lehrgang für Arbeitsschutz auf Baustellen absolviert.
Die Zeitarbeitsfirma war beauftragt worden, nach dem Abriss eines Hauses ein Grundstück aufzuräumen und dort Bäume zu fällen. Auf dem Grundstück befand sich vom Haus nur noch dessen Schornstein mit einem Teil des Fundamentes. Am 28.6.2006 wurden die bei der Zeitarbeitsfirma beschäftigten Mitarbeiter vom Baustellenleiter zumindest zur Mithilfe bei den Baumfällarbeiten eingeteilt. Die Bäume hatten eine Höhe von 8 bis 10 m und einen Durchmesser von 30 cm. Er beauftragte sie, ein Seil zwischen dem jeweiligen Baumstamm und dem Schornstein anzubringen. Dieses Seil sollte mit einem Kettenzug gespannt werden. Die bei der Firma angestellte Fachkraft für Arbeitssicherheit zog er für diese Aufgabe nicht hinzu. Beide Mitarbeiter hatten zuvor keinerlei Erfahrung im Fällen von Bäumen. Der eine Mitarbeiter ist ausgebildeter Tischler, der andere ist ausgebildeter Holzarbeiter m...