Die Frage, wie sich Formen und Farben von Schulgebäuden auf das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit von Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften auswirken, ist erst seit ca. 20 Jahren ein Thema. Eine Ausnahme bildete die technische Sicherheit von Schulgebäuden, die seit der Einführung der Schülerunfallversicherung im Jahr 1971 vor allem beim Neubau und bei der Sanierung von Schulen eine Rolle spielte. Im Großen und Ganzen war man jedoch der Meinung, dass das Schulgebäude keinen wesentlichen Einfluss auf den Schulalltag im Allgemeinen und auf den Unterricht im Besonderen habe, dass also gute Schule in einem schlechten Gebäude und schlechte Schule in einem guten Gebäude möglich sei.
Seit den 1990er Jahren wandelt sich die Schule zunehmend von einer Belehrungsanstalt zu einem Haus des Lernens und Zusammenlebens. Schulen sollen sich zu Lebensräumen entwickeln, in denen nicht Fächer, sondern Schülerinnen und Schüler unterrichtet und in ihrer individuellen Entwicklung ganzheitlich gefördert werden. Eine solche Schule benötigt pädagogische Konzepte mit flexiblen Unterrichtsformen und vielfältigen Arbeitsformen. Diese veränderte Sichtweise auf Schule als "Haus des Lernens" hat auch zu einer Neuorientierung in Sachen Schularchitektur geführt, da der traditionelle Schulbau der neuen Lernkultur und dem veränderten Verständnis von Schule nicht gerecht wird.
Aus der internationalen Schulbauforschung wissen wir, dass der Zustand und die Gestaltung der Lernorte, die Art und Weise, wie diese miteinander in Beziehung stehen, das Ineinanderfließen von Innen und Außen, das richtige Verhältnis zwischen persönlichen Räumen und Gemeinschaftsräumen, die Anordnung der verschiedenen Lernlandschaften, die farbliche Gestaltung und die Sauberkeit der Räumlichkeiten nicht nur die Bildungs- und Erziehungsprozesse beeinflussen. All dies wirkt sich auch auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit der Schüler, Schülerinnen und Lehrkräfte, die wiederum Voraussetzungen für gelingende Lernprozesse sind, aus. Den Bauformen und Farben der Schulanlagen, der Ausstattung und der Raumgestaltung muss daher die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt werden wie der Qualität der Methoden, des Schulklimas oder des Leitungshandelns. Die Entwicklung der Schulen lässt sich nicht auf die "innere Architektur" beschränken. Schulentwicklung und vor allem gesundheitsfördernde Schulentwicklung muss auch die "äußere Architektur", die baulich-räumliche Gestaltung und Ausstattung der Schule, in den Blick nehmen.
Die Träger der gesetzlichen Schülerunfallversicherung engagieren sich für eine gesundheitsfördernde Schulentwicklung und für die Realisierung guter gesunder Schulen. Gute gesunde Schulen sind Schulen, die durch gesundheitsbezogene Interventionen einerseits die Qualitätsdimensionen Unterricht und Erziehen, Lehren und Lernen, Führung und Management sowie Schulkultur und Schulklima, andererseits die Gesundheit der Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie die systemische Gesundheit verbessern. Da die Schularchitektur - die gut gestaltete und intelligent vorbereitete Umgebung - für ein ausgeprägtes Wohlbefinden und eine hohe Leistungsfähigkeit und damit für die Gestaltung guter gesunder Schulen eine große Bedeutung hat, sind Raumgestaltung und Ausstattung von Schulen zentrale Themen der Arbeit von Unfallkassen und Gemeindeunfallversicherungsverbänden. Besondere Aktualität gewinnen die Themen durch den gravierenden Sanierungsstau im Schulbau. Viele Schulen sind in einem schlechten baulichen Zustand. Sie müssen dringend saniert werden, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden.
In diesem Leitfaden steht der Klassenraum im Mittelpunkt. Eine gesundheits- und leistungsfördernde Gestaltung des Klassenraums ist notwendig, weil für die äußere Schulentwicklung das Gleiche gilt wie für die innere: Gesundheitsbezogene Bemühungen werden letztendlich nur dann einen nachhaltigen Effekt auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte haben, wenn es gelingt, die notwendigen Veränderungen und Entwicklungen der Schule bis in den Kernprozess hinein zu führen, sprich: das Lehren und Lernen gesundheitsförderlich zu gestalten. Und der Ort, wo Lehren und Lernen nach wie vor am häufigsten in der Schule stattfinden, ist der Klassenraum.
In den folgenden Empfehlungen werden die wichtigsten Aspekte einer gesundheits- und leistungsfördernden Klassenraumgestaltung beschrieben. Als praxisnahe Orientierungshilfe für Lehrkräfte, Schulleitungen, Bauplanerinnen und -planer als auch Architektinnen und Architekten soll sie zur gesundheitsfördernden Schulentwicklung beitragen.