Etwa 75 Prozent der in der Schule verbrachten Zeit werden im Sitzen absolviert und dies über einen Zeitraum von 10 bis 12 Schuljahren. Häufig folgt man hierbei noch der Vorstellung, dass nur ruhiges und diszipliniertes Sitzen zu besseren Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistungen führt. Hinzu kommt, dass sich die Schüler und Schülerinnen auch außerhalb der Schule weniger bewegen.
Noch in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es eine "Straßenspielkultur", die Kindern viele Bewegungsräume und -anlässe bot. Seit dieser Zeit haben die gesellschaftlichen Veränderungen sich eher restriktiv auf das Bewegungsverhalten und die Bewegungsangebote heranwachsender Kinder und Jugendlicher ausgewirkt. Eine Verbesserung dieses Status quo ist für die kommenden Jahre nicht in Sicht.
Schule kann diesem Bewegungsmangel im Unterricht phasenweise entgegenwirken. Klassenräume bieten dafür gute Ansatzpunkte, denn die ergonomischen Gestaltung des Schulmobiliars kann ganz wesentlich zu einem bewegungs- bzw. gesundheitsförderlichen Lernklima beitragen. Die Forderung nach ergonomischen Schulmöbeln und nach bewegten Arbeitsformen ist deshalb keine Komfortmaßnahme, sondern eine pädagogische und gesundheitsbildende Notwendigkeit.
Anpassung der Stühle und Tische an die Körpergröße der Schüler und Schülerinnen
Studien belegen, dass nur 25 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Schulen auf ihre Körpergröße abgestimmte Stühle und Tische zur Verfügung haben. Die Größenunterschiede innerhalb einer Klasse können aber bis zu 40 cm betragen (Abb. 9). Die Bereitstellung von Schulmöbeln nach entsprechenden Größentabellen ist eine grundlegende Präventionsmaßnahme im Klassenzimmer (Größentabellen siehe Anhang A).
Um dem jeweiligen Entwicklungsstand und der Konstitution des Schülers bzw. der Schülerin gerecht zu werden, ist der Einzeltisch die einzig zweckmäßige Option. Die Anpassungen sind jedes Schuljahr aufs Neue durchzuführen und müssen bei starken Wachstumsschüben ggf. auch zweimal im Jahr erfolgen (Abb. 10 und 11). Die Schüler und Schülerinnen sollten hierbei von den Lehrkräften in die Einstellung ihrer Tische und Stühle eingewiesen und eingebunden werden, damit sie diese Notwendigkeit selbst erkennen und in eigener Initiative durchführen können.
Im Verständnis des Präventionsansatzes "Gute gesunde Schule" bedarf es außerdem weitergehender pädagogischer Maßnahmen, die z. B. eine lerngerechte Rhythmisierung des Unterrichts anstreben und den Jungen und Mädchen ein dynamisch-aktives Sitzen erlauben.
Unterstützung des dynamischen Sitzens durch die Stuhlkonstruktion
Tische und Stühle im Klassenzimmer müssen in ihrer ergonomischen Gestaltung und Flexibilität den Bewegungsbedürfnissen der Heranwachsenden und den Anforderungen des Unterrichts Rechnung tragen.
Abb. 9
Abb. 10
Signale wie Recken und Strecken oder Kippeln auf Stühlen zeigen das grundlegende Bedürfnis nach aktivem Positionswechsel. Die Ergonomie der Stühle kann diesen Bewegungsdrang mit speziellen Konstruktionselementen begünstigen und unterstützen, z. B. durch:
- dreh- und höhenverstellbare Stuhlgestelle (mit Rollen),
- dynamische Sitzflächen und Rückenlehnen, die ein leicht federndes Wippen und Kippeln nach hinten ermöglichen,
- die Formgebung des Rückenteils, die es ermöglicht auch den "Reitsitz" (Abb. 12) einzunehmen.
Diese sitzdynamischen Details fördern im Gegensatz zur statisch-passiven Konstruktion traditioneller Stühle mit nach hinten abfallender starrer Sitzfläche eine entspanntere Haltemuskulatur im Bereich von Wirbelsäule und Becken und animieren zu einer körperbewussten Haltung.
Weitere Mobilitätselemente in der Klassenraummöblierung
Damit diese Anforderungen ermöglicht werden können, bedarf es einer verbesserten Ausstattung und Qualität im Bereich der Schulmöbel. Neben den Stühlen gehören auch höhenverstellbare Tischplatten mit verstellbarer Neigung dazu. Im Hinblick auf bewegte Arbeitsformen können Stehpulte und Liegeflächen im Klassenzimmer angeboten werden, die sinnvoll im Raum platziert werden. Gerade die wechselnden Belastungen vom Sitzen zum Stehen und umgekehrt haben eine gesundheitsförderliche Wirkung (Abb. 13 a, b und c).
Viele der angesprochenen Maßnahmen lassen sich nur stufenweise realisieren. Wollte man daraufhin Ergonomiekriterien einer rangfolgeähnlichen Bewertung unterziehen, so könnte man sich an folgenden Faktoren und deren Reihenfolge orientieren:
- Höhenverstellbarkeit der Tische,
- Einzeltische anstelle von Doppeltischen,
- "bewegliche" Stühle mit Höhenverstellung,
- um bis zu 16° neigbare Tischplatten,
- Platz sparende Tische,
- Stehtische und Liegeflächen,
- leichte Verfahrbarkeit durch Tisch- und Stuhlrollen.
Aus Präventionssicht ist es nicht nur mit Veränderungen in der ergonomischen Ausstattung (Verhältnisprävention) getan. Auch das Zulassen und Fördern der natürlichen Bewegungsbedürfnisse von Schülerinnen und Schülern im Rahmen neuer flexibler Unterrichtsmethoden und arbeitsorganisatorischer Maßnahmen ist notwendig (Verhaltensprävention). Insgesamt verzahnt sich...