Dr. jur. Edgar Rose, Prof. Dr. Jürgen Taeger
1.1 Das Arbeitsstättenrecht
Das Ziel des Arbeitsstättenrechts ist die Sicherheit und der Schutz der Gesundheit der Beschäftigten vor Gefährdungen, die durch das Einrichten und das Betreiben von Arbeitsstätten hervorgerufen werden (vgl. § 1 Abs. 1 ArbStättV). Besonderes Augenmerk liegt auf der Verhütung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen, die zurückzuführen sind auf:
- nicht ordnungsgemäße bauliche Beschaffenheit,
- mangelhafte Ausstattung oder Unterhaltung von Arbeitsstätten (z. B. schadhafte oder verschmutzte Fußböden, schlecht gesicherte Treppen, ungeeignete oder zu eng bemessene Verkehrswege, zersplitternde Glaswände),
- gesundheitlich unzuträgliche Einflüsse (z. B. Betriebslärm, unzureichende Luft-, Klima- oder Beleuchtungsverhältnisse).
Das Arbeitsstättenrecht ist mit seinen in erster Linie sicherheitstechnischen, hygienischen und medizinischen Anforderungen an Arbeitsstätten dem technischen Arbeitsschutz zuzuordnen. Innerhalb der Kategorie des technischen Arbeitsschutzes steht es neben den anderen beiden zentralen Themenfeldern: dem Recht der Arbeitsmittel und Anlagen und dem Recht der Arbeits- bzw. Gefahrstoffe. Das Arbeitsstättenrecht ragt aus diesen 3 Gebieten insoweit heraus, als dass die bauliche Gestaltung der Arbeitsstätte regelmäßig die grundlegenden Bedingungen für die Praxis des Arbeitsschutzes setzt.
Zentraler Adressat des Arbeitsstättenrechts ist der Arbeitgeber
Er muss dafür sorgen, dass die Arbeitsstätten mit ihren zugehörigen Räumen, Verkehrswegen und Einrichtungen den rechtlichen Anforderungen entsprechend errichtet und betrieben werden. Dabei setzt die rechtliche Verantwortung des Arbeitgebers grundsätzlich erst mit dem Zeitpunkt der Beschäftigung von Personal ein. Um nachträgliche, kostspielige Änderungsmaßnahmen zu vermeiden, sind die Vorgaben aber bereits im Planungsstadium einer Arbeitsstätte sowie bei der anschließenden Bauausführung zu berücksichtigen. Das Arbeitsstättenrecht spielt hier vielfältig mit den ebenfalls an Sicherheitsbelangen orientierten Vorschriften des Bauordnungsrechts zusammen.
Im Zentrum des Arbeitsstättenrechts steht die Arbeitsstättenverordnung vom 12.8.2004 (BGBl. I, S. 2179). Weiterhin gehören zum Arbeitsstättenrecht:
- die Technischen Regeln für Arbeitsstätten, die vom Ausschuss für Arbeitsstätten erarbeitet und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekannt (und damit verbindlich) gemacht werden,
- zahlreiche Bestimmungen aus dem Regelwerk der Unfallversicherungsträger,
- andere Arbeitsschutzverordnungen, die zum Teil Einzelfragen des Arbeitsstättenrechts regeln, v. a. die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung, sowie daran anknüpfende Technische Regeln.
1.2 Die Ziele und Grundlagen der Arbeitsstättenverordnung 2004
Ziel der Reform 2004 war die Modernisierung des Arbeitsstättenrechts. Anstelle starrer Vorgaben sollten Anforderungen allgemeiner formuliert werden, um unterschiedlichen betrieblichen Anforderungen flexibler gerecht zu werden, ohne damit Abstriche von den Zielen des Gesundheitsschutzes und der Begegnung von Unfallgefahren in Kauf zu nehmen. Der Verordnungsgeber wollte nach dem Wortlaut der Begründung den Betrieben durch flexiblere Grundvorschriften Handlungsspielräume für an die jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten angepasste Arbeitsschutzmaßnahmen eröffnen. Im Ergebnis verdrängten allgemein gehaltene Schutzziele und Anforderungen detaillierte Verhaltensvorgaben. Die neu strukturierte Verordnung folgte dabei der Regelungssystematik, wie sie auf europäischer Ebene und nachfolgend auch in anderen nationalen Arbeitsschutzverordnungen üblich geworden war: Ein Vorschriftentext enthält Rahmenbestimmungen, die durch spezielle Vorgaben in einem Anhang konkretisiert werden, und Verfahrensvorschriften.
Daneben wurde mit der Neuregelung eine Reihe weiterer Ziele verfolgt:
- Beabsichtigt wurde eine Rechtsbereinigung, die das unüberschaubare Vorschriftenwerk des Arbeitsschutzes vereinfachen sollte. So wird die Verordnung nunmehr ausdrücklich auf § 18 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) gestützt, sodass im Arbeitsschutzgesetz getroffene Regelungen problemlos auch im Arbeitsstättenrecht Anwendung finden können. Insbesondere gelten daher die im Fünften Abschnitt des Arbeitsschutzgesetzes enthaltenen Durchführungsbestimmungen unmittelbar auch für die Durchsetzung der Vorschriften in der Arbeitsstättenverordnung.
- Ein neuer, aus Interessengruppen und Fachleuten zusammengesetzter Ausschuss für Arbeitsstätten (ASTA) sollte fortan auf einer soliden Verfahrensgrundlage die Technischen Regeln für Arbeitsstätten formulieren, die das BMAS danach durch Bekanntmachung in Kraft setzt.
- Die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen sollten auch nach dem Arbeitsstättenrecht aufgrund einer systematischen Verankerung im Pflichtenkatalog des Arbeitgebers stärkere Beachtung finden.
Große Bedeutung hatten auch Umsetzungserfordernisse europäischer Rechtsvorschriften für die Reform des Arbeitsstättenrechts 2004 sowie für anschließende Änderungen der ArbStättV. Die europäischen Grundanforderungen an Arbeitsräume, Einrichtungen und Verkehrswege ...