Dr. jur. Edgar Rose, Prof. Dr. Jürgen Taeger
3.1.1 Konstruktion und Festigkeit von Gebäuden (Anhang 1.1)
Gebäude, die als Arbeitsstätte dienen, müssen so konstruiert sein, dass sie für die jeweilige Nutzung eine ausreichende Festigkeit aufweisen und den spezifischen Belastungen standhalten. Die Konstruktionsanforderungen können damit im Einzelfall über die allgemeinen Anforderungen des Baurechts der Länder hinausgehen. Zu beachten ist die Kollisionsregel in § 3 a Abs. 4 ArbStättV, wonach andere Rechtsvorschriften, insbesondere im Bauordnungsrecht der Länder, vorrangig gelten, soweit sie über die Anforderungen der ArbStättV hinausgehen. Bei unterschiedlichen Regelungen zur gleichen Problemstellung gilt also die jeweils strengere Vorschrift.
Von den Vorgaben zur Konstruktion und Festigkeit werden unabhängig von Größe und sonstiger Beschaffenheit alle baulichen Anlagen i. S. des Bauordnungsrechts, die als Arbeitsstätten gemäß § 2 ArbStättV dienen, erfasst. Auch nach dem Baurecht genehmigungsfreie Kleinanlagen haben die Anforderungen vollständig zu erfüllen, wenn sie als Arbeitsstätte genutzt werden. Die Anforderungen sind nicht nur bei der Nutzung, sondern auch beim Bau und beim Abbruch der baulichen Anlage zu beachten.
Konstruktion und Festigkeit der als Arbeitsstätte genutzten Gebäude müssen eine hinreichende Standsicherheit aufweisen. Durch bauwissenschaftliche Maßnahmen sind Einsturzgefahren und dadurch bedingte Gefahren für Leib und Leben der in Arbeitsstätten Beschäftigten und sonstiger dort anwesender Personen sowie Sachschäden zu verhindern. Durch die Gebäudekonstruktion ist sicherzustellen, dass alle auf das Gebäude wirkenden Kräfte (Eigengewicht, Nutz-, Wind- und Schneelasten, Stoßkräfte, nutzungsbedingte Gebäudeschwingungen etc.) aufgenommen und sicher in den Baugrund abgeleitet werden. Die einzelnen Gebäudeteile (Wände, Pfeiler, Stützen, Decken, Dächer) müssen geeignet sein, den zu erwartenden Belastungen für sich allein, aber auch im gesamten konstruktiven Gefüge Stand zu halten. Die konkreten Konstruktions- und Festigkeitsanforderungen haben unterschiedliche Beanspruchungen zu berücksichtigen; so sind z. B. Lagerhallen mit regelmäßigem Güterlastverkehr stärkeren Belastungen ausgesetzt als z. B. Bürogebäude.
Bei Änderungen der Nutzung ist im Rahmen der erforderlichen Gefährdungsbeurteilung auch die ausreichende Festigkeit des Gebäudes zu beurteilen. Das gilt vor allem für den Fall erhöhter Belastungen durch Schwingungen.
3.1.2 Abmessungen von Räumen, Luftraum (Anhang 1.2)
In Anhang 1.2 ArbStättV finden sich allgemeine Vorschriften über die Abmessungen von Arbeitsräumen und sonstigen Räumen, einschließlich der Größe des Luftraums. Seit der ArbStättV-Reform 2016 werden in der Vorschrift ausdrücklich alle in Betracht kommenden Räume aufgezählt: Arbeitsräume, Sanitär-, Pausen- und Bereitschaftsräume, Kantinen, Erste-Hilfe-Räume und Unterkünfte. Eine Änderung rechtlicher Anforderungen war damit jedoch nicht verbunden. Für alle Räume gilt der Grundsatz, dass Grundfläche und lichte Höhe so zu gestalten sind, dass eine Beeinträchtigung der Sicherheit, der Gesundheit und auch des Wohlbefindens der Beschäftigten unterbleibt. Die Räume sind nach der Art ihrer Nutzung zu bemessen. Die Größe des notwendigen Luftraums richtet sich nach der Art der physischen Belastung und der Anzahl der Beschäftigten sowie der sonstigen anwesenden Personen.
Zu diesen zentralen Vorschriften des Arbeitsstättenrechts konnte erst 9 Jahre nach ihrer Einführung eine Technische Regel in Kraft gesetzt werden. Im September 2013 wurde die ASR A1.2 "Raumabmessungen und Bewegungsflächen" bekannt gemacht. Hintergrund der außergewöhnlich langwierigen Verhandlungen im Ausschuss für Arbeitsstätten dürfte der Umstand gewesen sein, dass in der alten Verordnung aus der Zeit vor der ArbStättV-Reform 2004 eine Reihe konkreter Mindestwerte für Raumabmessungen angegeben waren, die durch die Reform 2004 flexibilisiert werden sollten. Daher enthält Anhang 1.2 ArbStättV keine konkreten Maße, sondern nur abstrakte Zielsetzungen. Mit der ASR A1.2 lebten diese Mindestwerte nach 9 Jahren weitgehend wieder auf. Hinzu kommen in der ASR A1.2 zahlreiche weitere Hinweise, wie der konkrete Bedarf oberhalb der Mindestwerte zu bestimmen ist. Insofern geht die ASR A1.2 weit über die Regelungsintensität des alten Rechts hinaus.
Mindestgrundflächen
Arbeitsräume müssen eine Grundfläche von mindestens 8 m2 aufweisen. Dieser Mindestwert aus der alten ArbStättV 1975 galt nach Inkrafttreten der ArbStättV 2004 auch ohne explizite Regelung als Richtwert. Seit September 2013 findet sich in Abschn. 5 Abs. 3 ASR A1.2 derselbe Mindestwert erneut. Zusätzlich ist jetzt allerdings zu beachten, dass die Mindestgrundfläche von 8 m2 für einen Arbeitsraum mit genau einem Arbeitsplatz gilt. Für jeden weiteren Arbeitsplatz im Arbeitsraum sind mindestens 6 m2 zu addieren.
Darüber hinaus gibt Abschn. 5 Abs. 1 ASR A1.2 vor, nach welchen Kriterien zu berechnen ist, ob die im Einzelfall erforderliche Grundfläche größer als die genannten Mindestgrundflächen zu sein hat. Bewegungsflächen der Beschäftigten (vgl. Abschn. 3.3.1), Verkehrswege, Stellfläch...