Dr. rer. nat. Ulrich Welzbacher
Zusammenfassung
Hersteller oder Importeure von Chemikalien müssen nach Anhang I der REACH-Verordnung 1907/2006/EG eine (oder auch mehrere) Expositionsgrenzen angeben, bei deren Einhaltung nach ihrer Überzeugung keine Gefährdung der "nachgeschalteten Anwender" oder Verbraucher mehr besteht. Diese Expositionsgrenzen werden als DNEL (Derived No Effect Level) bezeichnet. Daneben gibt es für den Umweltbereich die Predicted No Effect Concentration (PNEC).
Seit als Folge der Gefahrstoffverordnung vom 23.12.2004 ca. die Hälfte aller früheren MAK- und TRK-Werte zurückgezogen wurde, fehlten der Praxis Bezugsgrößen für zahlreiche Stoffe, anhand derer die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit von Arbeitsplatzsituationen beurteilt werden konnte. DNELs können hierfür eine Alternative darstellen. Dieser Beitrag erläutert die Ermittlung von DNEL aus Tierversuchen.
1 Wie bestimmt man DNELs und PNECs?
1.1 Vorgehensweise in Stufen
1.1.1 Gesundheit des Menschen
Bei der Ermittlung schädlicher Wirkungen auf die Gesundheit des Menschen werden nach Anhang I 1907/2006/EG das toxikokinetische Profil (d. h. Resorption, Stoffwechsel, Verteilung und Ausscheidung) des Stoffes und die folgenden Wirkungsgruppen berücksichtigt:
- akute Wirkungen (akute Toxizität, Reiz- und Ätzwirkung),
- Sensibilisierung,
- Toxizität bei wiederholter Aufnahme und
- krebserzeugende, keimzellmutagene und reproduktionstoxische Wirkungen (CMR-Wirkungen).
Ausgehend von sämtlichen verfügbaren Informationen werden erforderlichenfalls auch andere Wirkungen berücksichtigt.
Die Ermittlung schädlicher Wirkungen umfasst die folgenden 4 Schritte:
- Bewertung von Informationen, die nicht am Menschen gewonnen wurden,
- Bewertung von Humaninformationen,
- Einstufung und Kennzeichnung,
- Ableitung der DNEL-Werte.
Die ersten 3 Schritte werden für jede Wirkung unternommen, für die geeignete Informationen vorliegen. Der jeweilige Inverkehrbringer (Lieferant) muss sie im entsprechenden Abschnitt des Stoffsicherheitsberichts festhalten sowie erforderlichenfalls im erweiterten REACH-Sicherheitsdatenblatt in den Abschnitten 2 und 11 zusammenfassen.
1.1.2 Umwelt
Die Ermittlung schädlicher Wirkungen auf die Umwelt umfasst folgende 3 Schritte, die im Stoffsicherheitsbericht klar als solche gekennzeichnet werden:
- Bewertung der Informationen,
- Einstufung und Kennzeichnung,
- Ableitung der PNEC-Werte.
1.1.3 Unterschied zu "traditionellen" Grenzwerten
Die Schwierigkeiten bei der Aufstellung von DNELs und PNECs sind also im Grundsatz die gleichen wie bei der Ermittlung "traditioneller" Arbeitsplatzgrenzwerte oder Grenzkonzentrationen im Umweltbereich.
Der Unterschied besteht aber darin, dass für die Ermittlung von DNELs und PNECs keine staatlichen oder wissenschaftlichen Kommissionen zuständig sind, sondern die Lieferanten (Hersteller und Importeure). Dies kann auch dazu führen, dass verschiedene Lieferanten für denselben Stoff unterschiedliche DNELs und PNECs ermitteln, was natürlich zu Problemen bei den (nachgeschalteten) Anwendern führen kann.
1.2 Ziel: Schutzmaßnahmen
Bei der Beschreibung der mit der Ermittlung und Anwendung der neuen REACH-Grenzwerte zusammenhängenden Fragen wird im Folgenden schwerpunktmäßig auf DNELs für inhalative Belastung am Arbeitsplatz eingegangen.
Die für Tätigkeitern mit den jeweiligen Produkten vorgesehenen (und im Sicherheitsdatenblatt den nachgeschalteten Anwendern mitgeteilten) Schutzmaßnahmen müssen sicherstellen, dass der jeweilige DNEL eingehalten wird. Ist dies nicht gewährleistet, müssen die Schutzmaßnahmen entsprechend angepasst werden. Stehen keine geeigneten Schutzmaßnahmen zur Verfügung, mit denen der DNEL eingehalten werden kann, gilt die jeweilige Anwendung als "nicht sicher" und darf nicht durchgeführt werden, d. h., das jeweilige chemische Produkt darf für diesen Anwendungszweck nicht in Verkehr gebracht werden!
Die Prüfung, ob der jeweilige DNEL mit den vorgesehenen Schutzmaßnahmen eingehalten werden kann, muss für jeden Verwendungszweck und für alle Verwendungsstufen des Produktes durchgeführt werden – von der Herstellung der Rohstoffe bis zur Beseitigung der Endprodukte (z. B. Erzeugnissen).
2 Ermittlung von DNELs durch Tierversuche
2.1 Ausgangspunkt
Obwohl Erfahrungen beim Menschen für die Ableitung von Grenzwerten zum Schutz von Menschen (Arbeitnehmer oder Verbraucher) naturgemäß am geeignetsten sind, liegen dazu nur in Ausnahmefällen geeignete quantitative Daten vor. Daher werden – ebenso wie bei "traditionellen" Grenzwerten (MAK, AGW) – auch für die Ableitung von DNELs vor allem Ergebnisse aus Tierversuchen herangezogen.
Erfahrungen beim Menschen bei niedrigem Gefährdungspotenzial
Bei bestimmten Effekten mit niedrigem Gefährdungspotenzial (z. B. irritativen Wirkungen, wie Nasenreizungen oder zentralnervös dämpfenden Wirkungen) liegen gelegentlich auch Erfahrungen beim Menschen vor, z. B. aus Studien mit Freiwilligen.
2.1.1 Auswahl der Endpunkte
Dabei werden aus den vorliegenden Daten zunächst die sensitivsten (hinsichtlich möglicher beobachteter Wirkungen empfindlichsten) Endpunkte ermittelt, d. h. diejenigen Effekte, die bei Exposition gegen den zu charakt...