Vergiftungen sind oft die Folge von Leichtsinn, Nichtbeachtung der Arbeitsschutzvorschriften, Unwissenheit, Verwechslungen und Neugier.
3.4.3.1 Entstehung
Feste, flüssige oder gasförmige Substanzen können giftig sein. Sie haben aufgrund Ihrer chemischen bzw. physikalischen Merkmale eine negative Wirkung auf den menschlichen Organismus. Ob eine Substanz schädlich ist, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Schlimmstenfalls führt eine Vergiftung zum Tod.
Das Gift kann auf unterschiedlichen Wegen aufgenommen werden (Abb. 23). Am häufigsten erfolgt die Aufnahme über den Verdauungstrakt (beinahe 80 % aller Vergiftungen). Etwa 15 % sind Vergiftungen über die Atmungsorgane. Nur 5 % der Schädigungen erfolgen über die Haut. Mit der Vergiftung kann es gleichzeitig zu anderen Schäden kommen. So führt die Aufnahme von Säure über die Speiseröhre auch zu Verätzungen. Unabhängig von der Art der Aufnahme der Chemikalie gelangt das Gift immer in den Blutkreislauf, der es im gesamten Organismus verteilt.
Abb. 23: Möglichkeiten der Giftaufnahme und deren Folgen
3.4.3.2 Erkennen
Von der Aufnahme einer Substanz bis zur Verteilung im Blutkreislauf und der körperlichen Reaktion vergeht je nach Art der Chemikalie eine gewisse Zeit. Sobald Vergiftungsanzeichen auftreten, darf keine kostbare Zeit verloren gehen.
Gerade beim berufsbedingten, täglichen Umgang mit vielen Chemikalien ist nicht immer klar, welcher Stoff die Vergiftung verursacht hat. Bedeutende Anhaltspunkte können die Inspektion sowie die Befragung liefern. Der Ersthelfer sollte mittels der Inspektion bei unklaren Situationen die Umgebung gründlich nach Flaschen, Gläsern, Hinweisschildern absuchen bzw. auf markante Gerüche achten. Bei der Befragung des Betroffenen oder der Umgebungspersonen sind folgende Fragen nützlich:
- Was wurde genommen?
- Wann wurde das Gift genommen?
- Wie wurde das Gift aufgenommen?
- Wie viel und in welcher Konzentration wurde das Gift genommen?
Jede Substanz hat ihre spezifische Wirkung auf den Körper und damit auch individuelle Erkennungsmerkmale. Es gibt allerdings Symptome, die bei Vergiftungserscheinungen sehr oft vorkommen:
- Übelkeit, Schwindelgefühl,
- Bauchschmerzen und -krämpfe,
- Durchfall, Erbrechen,
- Krampfanfälle, Schweißausbrüche,
- Bewusstseinsstörungen, Atmungs- und Kreislaufstörungen.
3.4.3.3 Gefahren
Die Risiken liegen in der Störung der Lebensfunktionen (Bewusstsein, Atmung, Kreislauf). Aber auch dauerhafte Schäden an Organen, wie Leber, Nieren und Gehirn, können zurückbleiben. Folgende Faktoren sind für das Ausmaß von Vergiftungen entscheidend:
- Einwirkzeit der Substanz,
- Art des Gifts,
- Menge sowie Konzentration (z. B. Lösungsverhältnis),
- Wirkungsweise,
- Alter, Gewicht und Widerstandskraft des Betroffenen.
3.4.3.4 Erste-Hilfe-Leistung
Vorrang hat bei Atem- und Kontaktgiften der Eigenschutz des Ersthelfers, z. B. in Form von Schutzhandschuhen, Atemschutzmasken, Frischluftzufuhr, Alarmierung der Feuerwehr und Bergung aus einem Gefahrenbereich.
Wie in jedem Notfall sind die Standardmaßnahmen LEBEN durchzuführen (vgl. Abschn. 3.1.4).
Bei allen Vergiftungen hat die Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen Vorrang. So müssen je nach Bedarf die stabile Seitenlage, Schocklagerung, Stabilisierung der Atmung oder Herz-Lungen-Wiederbelebung durchgeführt werden (Sofortmaßnahmen).
Hat der Hilfsbedürftige Atemnot, wird er mit erhöhtem Oberkörper gelagert.
Die sich daran anschließenden speziellen Maßnahmen richten sich nach der Art der Vergiftung. Deren Ziel ist es, die Giftaufnahme durch den Körper weitestgehend zu verzögern, indem das Gift vollständig oder teilweise beseitigt wird:
- Bei der Giftaufnahme über die Haut wird das Gift mit klarem Wasser abgespült.
- Wurde das Gift über die Atmungsorgane aufgenommen, führt man kontinuierlich Frischluft zu.
- Die Giftstoffentfernung aus dem Magen erfordert eine differenzierte Darstellung. Die allgemeine Auffassung, dass das Gift aus dem Magen durch das Erbrechen entfernt werden soll, ist nicht in jedem Fall richtig. Das Erbrechen darf man nicht auslösen, wenn die betroffene Person bewusstlos ist oder es sich um eine Substanz mit ätzenden Eigenschaften handelt, da hier die Gefahr einer Erstickung bzw. einer nochmaligen Verätzung des Speiseweges besteht. Auch bei Vergiftungen durch organische Lösungsmittel und Schaumbildner darf kein Erbrechen eingeleitet werden. In diesen Fällen ist das Gift durch die schluckweise Gabe von Wasser zu verdünnen.
Keine Milch!
Die Gabe von Milch kann die Aufnahme des Gifts durch den Körper beschleunigen. Sie darf keinesfalls zum Trinken gegeben werden.
Giftnotrufzentrale
Bei Unsicherheit darüber, ob eine Substanz giftig ist und welche Hilfeleistung ggf. erfolgen soll, kann die Giftnotrufzentrale Auskunft geben. Die Rufnummer ist entweder einem öffentlichen Aushang oder dem Telefonbuch zu entnehmen.
Liegt kein klarer Hinweis über die chemische Substanz (Name, Bezeichnung, Art etc.) vor, sollten dem Rettungsdienst zur klinischen Identifizierung Erbrochenes, Etiketten o. Ä. mitgegeben werden.