2.3.1 Gefährdungsbeurteilung als Teil eines Arbeitsschutzmanagementsystems
Alle gängigen Arbeitsschutzmanagementsysteme (z. B. DIN ISO 45001:2023, OHRIS, ILO-OSH, Nationaler Leitfaden) fordern die Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung im Rahmen eines arbeitsschutzspezifischen Prozesses. Die Gefährdungsbeurteilung wird dadurch zum zentralen betrieblichen Präventionswerkzeug mit entscheidendem Nachhaltigkeitseffekt.
Abb. 4: Regelkreis Arbeitsschutzmanagement nach DIN ISO 45001:2023
Die DIN ISO 45001:2023 fordert in Abschn. 6.1.2: "Ermittlung von Gefährdungen und Bewertung von Risiken und Chancen" u. a.:
- Die Organisation muss fortlaufende und proaktive Prozesse zur Ermittlung von Gefährdungen festlegen, umsetzen und aufrechterhalten.
Die Prozesse müssen u. a. Folgendem Rechnung tragen:
- wie Arbeit organisiert wird, soziale Faktoren (einschließlich Arbeitsbelastung, Arbeitszeiten, ungerechte Behandlung, Belästigung und Schikanieren), Führung und Kultur in der Organisation;
- routinemäßige und nicht routinemäßige Tätigkeiten und Situationen, einschließlich Gefährdungen durch z. B. Infrastruktur, Arbeitsmittel, Arbeitsstoffe und die physischen Bedingungen des Arbeitsplatzes.
Die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung müssen schriftlich vorliegen, wie es auch in § 6 ArbSchG vom Gesetzgeber gefordert wird.
Die Wirksamkeit der festgelegten Präventionsmaßnahmen muss überwacht werden. Dies kann proaktiv in Form von Kontrollmaßnahmen oder reaktiv durch die Auswertung von Unfällen oder Vorfällen erfolgen – die proaktive ist der reaktiven vorzuziehen.
In regelmäßigen Abständen – durch das Verfahren festgelegt – müssen die Gefährdungsbeurteilungen aktualisiert werden. Die Häufigkeit richtet sich dabei nach Art der Gefährdungen und Risiken. Eine erneute Beurteilung der entsprechenden Tätigkeit bzw. des betroffenen Arbeitsplatzes ist nach einem Unfall oder einer gesetzlichen Änderung durchzuführen.
Zur geeigneten Form der Dokumentation der Gefährdungsbeurteilungen im Rahmen eines Arbeitsschutzmanagementsystems siehe Abschn. 2.2.8.
2.3.2 Betriebliche Prävention als Unternehmensprozess
Die betriebliche Prävention ist heute ein Grundprinzip der Sicherheitsarbeit in den Unternehmen. § 2 Abs. 2 Grundgesetz "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" liefert hier die gesetzliche Grundlage. Ein wichtiges und auch gesetzlich verankertes Werkzeug für die betriebliche Prävention ist die Gefährdungsbeurteilung.
Besonders geeignet ist die Gefährdungsbeurteilung dann, wenn sie als lebendes betriebliches Instrument rechtzeitig auf präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Verletzungen, arbeitsbedingten Erkrankungen, Schäden an Anlagen, Produktionsverzögerungen und damit unnötigen Kosten hinweist.
Betriebliche Prävention ist damit eine wirtschaftliche Notwendigkeit!
2.3.3 Gefährdungsbeurteilung im Wandel der Arbeitswelt
Dem Ziel Vision Zero kann man näherkommen, indem man bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung ganzheitlich vorgeht. In Tab. 2 ist die stärkere Ausrichtung von der noch vorherrschenden arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogenen Betrachtungsweise hin zu einem deutlicher personen- und arbeitsprozessbezogenen Ansatz erkennbar.
Arbeitsinhalt und Arbeitsaufgabe |
Arbeitsorganisation |
Arbeitsumgebung und Arbeitsmittel |
Soziale Beziehungen |
Vollständigkeit Handlungsspielraum Abwechslung Qualifikation, Information Verantwortung Zielvorgaben |
Betriebsmanagement Arbeitszeitgestaltung Pausenzeiten Prozesskontinuität Zusammenarbeit Abstimmung |
Arbeitsgeräte Anlagen, Arbeitsmittel Transportvorgänge vielfältige Risikofaktoren PSA und Hilfsmittel |
Konfliktbewältigung Führungskultur Kommunikationsstil Wertschätzung Qualifikation Weiterbildung |
Tab. 2: Personen- und arbeitsprozessbezogener Ansatz: Umfassende Gefährdungsbeurteilung