Dipl.-Ing. Annette Wilmes
Bei der Ableitung einer Gefährdung ist nicht nur das Gefährdungspotenzial ausgehend vom Gefahrstoff selber zu berücksichtigen. Von genauso großer Bedeutung ist die Belastung der Beschäftigten während einer Tätigkeit. Durch eine Betriebsbegehung und durch die Befragung der Beschäftigten erhalten Sie relevante Informationen zu Art, Ausmaß und Dauer der Belastungen.
Nutzen Sie vorhandene Informationen, Ermittlungen und Gefährdungsbeurteilungen
Vorhandenen Expositionsermittlungen, z. B. Arbeitsplatzmessungen, Berechnungen oder Hinweise aus vergleichbaren Arbeitsplätzen, geben wertvolle Hinweise auf die Wirksamkeit vorhandener Schutzmaßnahmen. Weitere wichtige Informationen liefern Erkenntnisse aus arbeitsmedizinischen Untersuchungen, Unfällen und Beinaheunfällen. Informieren Sie sich auch über mögliche Betriebsstörungen, die zu hohen Gefahrstoffexpositionen oder zu Bränden und Explosionen geführt haben.
2.3.1 Inhalative Gefährdungen ermitteln und beurteilen
Die Höhe der inhalativen Gefährdung, ausgehend von einem Gefahrstoff, ist ersichtlich durch Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW), Exposition-Risiko-Beziehungen (ERB), in einer TRGS genannten Konzentrationswerte, andere Beurteilungsmaßstäbe (z. B. DNEL, MAK-Werte) oder aus der Einstufung.
Wie hoch die Belastungshöhen der Beschäftigten vor Ort sind, ergibt sich aus diesen Fragen:
- Wie flüchtig oder staubig ist der Gefahrstoff,
- welche Mengen werden eingesetzt und
- wie wird der Gefahrstoff verarbeitet (z. B. Dauer, großflächige Anwendungen, Verspritzen des Gefahrstoffs, hohe Anwendungstemperaturen)?
Die Abschätzung der Belastungshöhe kann durch Arbeitsplatzmessungen oder andere nichtmesstechnische Ermittlungsmethoden erfolgen. Nichtmesstechnische Ermittlungsmethoden sind nach TRGS 402 zu bevorzugen. Sie beinhalten die Übertragung von Ergebnissen aus vergleichbaren Arbeitsplätzen oder Berechnungen. Ergebnisse aus vergleichbaren Arbeitsplätzen können auch Abschätzungen in branchen- oder tätigkeitsspezifischen Hilfestellungen sein.
Die abgeschätzte Belastungshöhe wird mit einem AGW oder einer ERB verglichen. Ist kein AGW oder keine ERB vorhanden, können alternativ andere Beurteilungsmaßstäbe herangezogen werden.
Exposition-Risiko-Beziehungen (ERB)
Krebserzeugende Gefahrstoffe haben anstatt eines AGW häufig eine ERB. Grund dafür ist, dass nicht wie beim AGW eine Wirkschwelle abgeleitet werden kann, ab der keine Gesundheitsgefährdung besteht; es verbleibt ein Restrisiko.
Basierend auf einem gesellschaftlichen Konsens beschreibt die ERB über das Akzeptanzrisiko (4:10.000) und Toleranzrisiko (4:1.000) hinaus akzeptierte oder gerade noch tolerierbare Risiken am Arbeitsplatz.
Aus diesem Akzeptanz- und Toleranzrisiko werden stoffspezifische Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen abgeleitet und die Risikobereiche (grün, gelb, rot) beschrieben. Ein Vergleich der Belastung der Beschäftigten mit dem abgeleiteten Risikobereich entscheidet über die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Schutzmaßnahmen nach einem abgestuften Maßnahmenkonzept der TRGS 910.
Fachkunde Arbeitsplatzmessungen
Für die Durchführung von Arbeitsplatzmessungen ist eine besondere Fachkunde erforderlich. Wenn eine akkreditierte Messstelle beauftragt wird, kann davon ausgegangen werden, dass die erforderliche Fachkunde vorliegt und die Messergebnisse zutreffend sind. Ein Verzeichnis der akkreditierten Messstellen und Prüflaboratorien ist in der Publikationsdatenbank der DGUV unter https://publikationen.dguv.de/forschung/ifa/allgemeine-informationen/ zu finden.
2.3.2 Dermale Gefährdungen ermitteln und beurteilen
Gefährdungen der Haut werden über die Gefahrstoffeigenschaft, die Wirkfläche und die Wirkdauer ermittelt. Die gefährlichen Eigenschaften des Gefahrstoffs sind aus der Einstufung ersichtlich. Über Biomonitoring können bei arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen auch dermale Belastungen erfasst werden. Die Beurteilung kann erfolgen über einen biologischen Grenzwert nach TRGS 903 oder bei krebserzeugenden Gefahrstoffen über einen biologischen Äquivalenzwert im biologischen Material nach TRGS 910. Aber auch nicht gekennzeichnete Stoffe können zum Gefahrstoff werden. So sind Feuchtarbeitsplätze (z. B. Reinigungskraft, Friseur, Küchenpersonal und Tätigkeiten im Gesundheitswesen) ebenfalls zu beurteilen.
Feuchtarbeitsplätze
Ermitteln eines Feuchtarbeitsplatzes heißt:
- der Beschäftigte ist mehr als 2 Stunden im feuchten Milieu tätig,
- Chemikalienschutzhandschuhe werden mehr als 2 Stunden getragen oder
- häufiges Reinigen oder Desinfizieren der Hände ist erforderlich.
2.3.3 Brand- und Explosionsgefährdungen ermitteln und beurteilen
Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Brand oder einer Explosion kommt, ist abhängig von den spezifischen Eigenschaften des Gefahrstoffs. Diese ergeben sich aus der Einstufung und aus relevanten sicherheitstechnischen Kenngrößen. Neben dem brennbaren Gefahrstoff müssen ein Oxidationsmittel und eine Zündquelle vorhanden sein. In den meisten Fällen ist der Sauerstoffgehalt in der Luft als Oxidationsmittel ausreichend.
Die alleinige Anwesenheit dieser 3 Komponenten führt noch nicht zu einem Brand oder einer Explosion. Das Konzentrationsverh...