2.1 Baukastenprinzip

Die Einführung eines global harmonisierten Systems zu Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien bedeutet allerdings nicht, dass die Vorschriften über den Transport und den Umgang mit Chemikalien in allen Ländern und in allen Anwendungsbereichen zukünftig vollständig übereinstimmen werden.

Die Vorgehensweise folgt vielmehr dem sogenannten Baukastenprinzip ("Building Block Approach"): Jeder Regelsetzer kann auf einzelne Teile des UN-Dokuments verzichten. Die Teile, die übernommen werden, müssen allerdings unverändert übernommen werden. Weiterhin besteht die Möglichkeit, Bestimmungen, deren Regelungsinhalte nicht vom UN-GHS abgedeckt werden, beizubehalten bzw. auch neue Inhalte einzuführen.

2.2 Unterschiede Transportrecht – Arbeitsschutz

So gehen z. B. die Regelungen für den Transport gefährlicher Güter und die Vorschriften über die Kennzeichnung beim Umgang (z. B. die früheren europäischen Regelungen in der Stoffrichtlinie) von unterschiedlichen Randbedingungen aus. Das führte zu unterschiedlichen "Philosophien" bei der Schaffung der jeweiligen Kennzeichnungssysteme:

  • Im Transportrecht betrachtet man v. a. die Gefahren, die bei Havarien von Gefahrgütern auftreten können. Dabei spielt insbesondere die vergleichsweise kurzzeitige Exposition von Rettungsmannschaften wie etwa Feuerwehren eine herausragende Rolle. Klassifizierungen hinsichtlich chronisch-toxischer Gesundheitsgefahren (z. B. krebserzeugende, erbgutverändernde (nach CLP: keimzellmutagene) oder fortpflanzungsgefährdende (nach CLP: reproduktionstoxische) Eigenschaften) von Stoffen kennt das klassische Transportrecht daher nicht.

     
    Praxis-Beispiel

    Einstufung im Transportrecht

    Dementsprechend wird Benzol (UN-Nr. 1114) im Transportrecht auch "nur" als leicht entzündliche Flüssigkeit der Klasse 3 mit dem Klassifizierungscode F1 und der Gefahrnummer (früher "Kemler-Zahl") 33 eingestuft.

  • Beim Inverkehrbringen von Gefahrstoffen sollen die Vorschriften vor allem die Beschäftigten bei Tätigkeiten mit gefährlichen Stoffen schützen. Hier spielen die chronisch-toxischen Eigenschaften eine herausragende Rolle.
  • Dementsprechend gibt es bei den Einstufungs- und Kennzeichnungssystemen in den meisten Regelungen darauf bezogene Gefährlichkeitsmerkmale, die auch zu entsprechenden Kennzeichnungsverpflichtungen führen. Im Arbeitsschutz kommt gerade diesen gefährlichen Eigenschaften eine besondere Bedeutung zu.

Diese unterschiedlichen Ansätze sind durchaus sinnvoll und bleiben daher auch unter GHS erhalten. Das bedeutet, dass auch zukünftig Transportvorschriften und Regelungen für das Inverkehrbringen unterschiedliche Inhalte haben werden.

Es ist den einzelnen Gesetzgebungsorganen bei der Umsetzung von GHS freigestellt, welche Gefährlichkeitsmerkmale (unter GHS als "Gefahrenklassen" und "Gefahrenkategorien" bezeichnet) sie in ihr eigenes Regelwerk aufnehmen wollen. Dabei können die oben beschriebenen unterschiedlichen "Philosophien" in den verschiedenen Rechtsbereichen durchaus erhalten bleiben.

 
Praxis-Tipp

Unterschiede zwischen Transportrecht und Arbeitsschutz

Diese Freiheit bei der Gestaltung der eigenen Vorschriften nimmt nicht nur die EU, sondern auch andere Länder und Staatengruppen für sich in Anspruch. Das bedeutet, dass beim Export von Chemikalien in diese Länder auch in Zukunft ermittelt werden muss, ob es dort evtl. zusätzliche Regelungen gibt, die wir in Europa (bisher noch) nicht kennen oder die nicht Bestandteile des GHS sind.

Allerdings werden die Kriterien für die Zuordnung bestimmter Gefährlichkeitsmerkmale entsprechend den physikalisch-chemischen, toxischen oder umweltschädigenden Eigenschaften von Chemikalien vereinheitlicht. Diese Kriterien bilden den Rahmen – gewissermaßen einen "Werkzeugkasten" –, aus dem sich die einzelnen Regelsetzer "bedienen" können.

 
Praxis-Beispiel

Neue Gefahrenklassen in GHS

In der CLP-Verordnung der EU finden sich alle Gefahrenklassen aus GHS wieder, darunter auch solche, die es im EU-Recht bisher nicht gab, wie

  • unter Druck stehende Gase sowie
  • auf Metalle korrosiv wirkend.

Einige andere Gefahrenklassen aus GHS gab es früher im EU-Recht nicht als explizite Gefährlichkeitsmerkmale, wie etwa

  • selbstzersetzliche Stoffe und Gemische,
  • pyrophore Flüssigkeiten,
  • pyrophore Feststoffe oder
  • selbsterhitzungsfähige Stoffe und Gemische.

Stoffe mit diesen Eigenschaften wurden nach EG-Recht anderen Gefahrenmerkmalen zugeordnet, z. B. als "leicht entzündlich" eingestuft.

Schon früher gab es im europäischen Chemikalienrecht das Gefährlichkeitsmerkmal "Gefährlich für die Ozonschicht" (R 59), das in GHS ursprünglich nicht enthalten war, das aber dennoch ins europäische Chemikalienrecht unter GHS übernommen wurde.

Mit der zweiten Anpassungsverordnung (2. ATP) (EG) Nr. 286/2011 vom 10.3.2011 wurde die neue EU-Gefahrenklasse "Die Ozonschicht schädigend" aus der dritten überarbeiteten Fassung des Global Harmonisierten Systems (UN-GHS) vom Dezember 2008 in europäisches Recht übernommen.

2.3 Sonderregelungen

Die CLP-Verordnung enthält darüber hinaus zahlreiche Sonderregelungen für die Kennzeichnung bestimmter Produkte. Sie waren früher z...

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