Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp
3.1 Gefährdungsbeurteilung
Die Gefährdungsbeurteilung stellt das Kerndokument im Arbeitsschutz dar. Der Arbeitgeber beurteilt darin die Tätigkeiten seiner Beschäftigten und die damit verbundenen Risiken und legt fest, welche Maßnahmen ergriffen werden, damit diese Risiken möglichst gering gehalten werden.
Diese Beurteilung erfolgt entsprechend dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) unter Beratung durch Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit.
Arbeitsmedizinische Vorsorgen
Vorsorgen sind medizinische Untersuchungen, die von medizinischem Personal durchgeführt und von Betriebsärzten oder Fachärzten für Arbeitsmedizin befundet werden. Diese tragen auch die Gesamtverantwortung für die Durchführung.
Wer aber entscheidet, ob und für welche Beschäftigten spezifische arbeitsmedizinische Vorsorgen erforderlich sind? Die Kriterien dafür sind in diversen Leitlinien, Empfehlungen aus dem Bereich der Arbeitsmedizin und auch in DGUV-Informationen beschrieben. Diese basieren jedoch weniger auf medizinischen Aspekten, sondern eher auf betrieblich-technischen Beschreibungen. Ein Arzt allein kann jedoch nicht wissen oder beurteilen, welches Schweißverfahren ein Betrieb einsetzt, welche Fertigungsprozesse stattfinden und wie intensiv der Kontakt eines Beschäftigten zu bestimmten Gefahrstoffen wirklich ist.
Hier ist es wichtig, dass die technischen Informationen von betrieblicher Seite in den für die Auswahl von Vorsorgen relevanten Zusammenhang gebracht werden. Das erfolgt sinnvollerweise mithilfe der Fachkraft für Arbeitssicherheit und im Austausch mit den Führungskräften und Beschäftigten vor Ort.
Die Arbeitswelt entwickelt sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend weg von technisch-betrieblichen Risiken und hin zu latenten gesundheitlichen Herausforderungen wie psychischen Belastungen und Fragen von Haltung und Bewegung bzw. Bewegungsmangel. Das betrifft die einzelnen Branchen und Unternehmen in stark unterschiedlichem Maße, ist aber als globaler Trend unübersehbar. Diese Belastungen sind natürlich auch für die Gefährdungsbeurteilung relevant, weil sie zu erheblichen Ressourcenverlusten im Unternehmen führen können. Oft lassen sich diese Belastungen jedoch nicht allein auf der Sachebene bearbeiten und dokumentieren, wie es beispielsweise beim Umgang mit gefährlichen Arbeitsmitteln erfolgt, wo für die sichere Handhabung spezifische Qualifikationen und die passende persönliche Schutzausrüstung erforderlich sind. Bei latenten tätigkeitsbedingten Belastungen spielen oft Einstellung und Motivation der Beschäftigten eine große Rolle, und geeignete Maßnahmen müssen manchmal erst entwickelt oder ausprobiert werden.
Dabei sind neben den klassischen Professionen nach ASiG Menschen gefragt, die
- für die Beratung in diesen Fragen geeignet qualifiziert sind (Arbeitspsychologen, betriebliche Gesundheitsberater),
- gute Einblicke in die betroffenen Bereiche haben, also Führungskräfte, Beschäftigte oder Beschäftigtenvertreter.
Damit Gefährdungsbeurteilungen auch bei weniger spezifischen Risiken treffend sind und zu einer effektiven Verbesserung von Arbeitsbedingungen beitragen können, sind alle relevanten Erfahrungen wichtig und müssen in den Prozess einbezogen werden.
Informationen interdisziplinär zusammenführen
Wer sich mit Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz beschäftigt, sollte sich immer wieder klarmachen: So wichtig das Thema auch ist – der Unternehmenszweck ist i. d. R. ein anderer. Damit sind aber auch die zeitlichen, personellen und finanziellen Ressourcen, die ein Unternehmen dafür aufwenden kann, beschränkt. Je effektiver der Arbeitsschutzsektor sich organisiert, desto eher sind Führungskräfte bereit und in der Lage, mitzuziehen und letztlich die Entscheidungen zu treffen, die erforderlich sind, um Arbeitsbedingungen zu verbessern und Risiken zu vermeiden.
Ziel sollte es daher sein, dass sich alle relevanten Professionen bei anstehenden Fragen austauschen und Handlungsansätze miteinander abgleichen. So wird vermieden, dass dasselbe Thema mehrmals von verschiedenen Beteiligten – ggf. mit abweichenden Einschätzungen – vorgebracht wird, und es lässt sich strukturierter bearbeiten, was die Akzeptanz bei Entscheidern deutlich erhöht.
Gefährdungsbeurteilung für körperliche Belastungen nach Leitmerkmalmethode
Die Leitmerkmalmethode der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ist ein praxisbezogenes Werkzeug, mit dem körperliche Belastungen in konkreten Arbeitssituationen quantifiziert und objektiviert werden können. Es ist darauf ausgerichtet, dass nur eine überschaubare Anzahl an Fragen beantwortet werden muss. Diese Fragen sollen so formuliert sein, dass Personen, die Erfahrung mit der betreffenden Tätigkeit haben, sie ohne aufwendige Erhebungen und Recherchen beantworten können.
Da diese Bewertungen von der BAuA in Formularen mit Rechenfunktion zur Verfügung gestellt werden, sind sie sehr gut dafür geeignet, dass ein Team von Zuständigen sie schnell gemeinschaftlich in unterschiedlichen Varianten durchspiel...