Dipl.-Ing. Matthias Glawe
Wie in allen Bereichen des Arbeitsschutzes gilt auch im Zusammenhang mit Nanomaterialien, dass der Arbeitgeber vor Aufnahme einer entsprechenden Tätigkeit zu ermitteln hat, ob solche Materialien verwendet werden oder bei der Arbeit entstehen oder freigesetzt werden können. Informationsquellen sind hierfür Sicherheitsdatenblätter, Herstellerinformationen (z. B. technische Merkblätter) oder Informationen von gesetzlichen Unfallversicherern.
2.1 Stoffbezogene Informationen
Auch wenn ein Stoff aus Nanomaterialien besteht oder diese enthält, ist er nicht grundsätzlich ein eingestufter Gefahrstoff gemäß CLP-Verordnung (EG) Nr. 1272/2008. Aber auch Stoffe, die nicht eingestuft sind, können Gefahrstoffe im Sinne der GefStoffV sein. Änderungen der Anhänge zur Europäischen Chemikalienverordnung REACH haben dazu geführt, dass Hersteller auch "Nanoform von Stoffen" als Grundlage für spezifische Prüf-, Bewertungs- und Informationsanforderungen zur Registrierung betrachten müssen.
Als Informationsquelle dient daher insbesondere das Sicherheitsdatenblatt des Stoffherstellers. In den Abschnitten 3 (Zusammensetzung/Angaben zu Bestandteilen) und 9 (Physikalische und chemische Eigenschaften) sollten Informationen hierüber zu finden sein.
Die TRGS 527 enthält eine Auflistung, welche Informationen, sofern sie vorliegen, für die Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden sollen:
- Einstufung der Nanoform gemäß CLP-Verordnung (EG) Nr. 1272/2008
- Partikelanzahlgrößenverteilung,
- spezifisches Oberflächen-Volumen-Verhältnis oder spezifisches Oberflächen-Masse-Verhältnis,
- Informationen zu Gestalt, Seitenverhältnis der Außenmaße und andere morphologische Merkmale (z. B. Erfüllung der WHO-Faserkriterien),
- Oberflächenfunktionalisierung oder -behandlung,
- Wasserlöslichkeit oder Lösungsgeschwindigkeit (Maßstab für die Biobeständigkeit),
- Staubungsverhalten,
- Brennbarkeit/Explosionsfähigkeit (z. B. Entzündbarkeit, Mindestzündenergie und Staubexplosionsfähigkeit),
- Angaben zur Reaktivität.
2.2 Gruppeneinteilung von Nanomaterialien
Für die Prüf- und Bewertungsstrategien und somit auch für die differenzierte Ableitung von Arbeitsschutzmaßnahmen ist eine Einteilung von Nanomaterialien in Gruppen auf Grundlage ihrer stoffspezifischen Toxizität, der Gestalt und Struktur sowie der Biobeständigkeit möglich:
Gruppe 1: Lösliche Nanomaterialien
Toxikologie anhand der stoffspezifischen Toxizität der zugehörigen mikroskaligen Stoffe, da lösliche Nanomaterialien ihre Partikeleigenschaften nach Einatmen verlieren.
Gruppe 2: Biobeständige Nanomaterialien mit stoffspezifischer Toxizität
Toxikologie bestimmt durch chemische oder spezifische Eigenschaften (z. B. Freisetzung von Ionen)
Gruppe 3: Biobeständige Nanomaterialien ohne stoffspezifische Toxizität (GBS-Nanomaterialien)
Toxikologie bestimmt durch die Freisetzung lungengängiger, granulärer, biobeständiger Stäube ("GBS")
Gruppe 4: Biobeständige faserförmige Nanomaterialien
Toxikologie bestimmt durch Freisetzung lungengängiger, biobeständiger Faserstäube ("WHO-Fasern")
Nanomaterialien können durchaus eine Kombination aus 2 Gruppen aufweisen, wenn sich die Partikel- und Stofftoxikologie überlagert.
2.3 Tätigkeitsbezogene Informationen
Verfahrens- und tätigkeitsbezogene Informationen sind wichtig für die Einschätzung der Freisetzung von Nanomaterialien bzw. für die Exposition der Beschäftigten. Dabei ist der Begriff "Verwenden" von Nanomaterialien umfassend anzuwenden: Herstellung, Weiterverarbeitung, Mischung, Ge- und Verbrauch, Lagerung, Aufbewahrung, Be- und Verarbeitung, Ab- und Umfüllung, Beförderung, Entfernung, Entsorgung und Vernichtung.
Nanomaterialien werden industriell grundsätzlich über 2 Verfahren hergestellt: Top-down- oder Bottom-up-Verfahren.
- Top-down-Verfahren sind mechanisch-physikalische Herstellungsverfahren und dienen zur Erzeugung nanoskaliger Strukturen durch Verkleinerung bzw. durch ultrapräzise Materialbearbeitung (Zerkleinerung von Pulvern mit Kugelmühlen, Strukturierung mit Stempeltechniken, Strukturierung mit Elektronenstrahlen, Ionenstrahlen oder kurzwelliger UV-Strahlung).
- Bottom-up-Verfahren sind chemisch-physikalische Herstellungsverfahren, die durch Synthese in der Gasphase, d. h. durch Reaktion in einer Flamme, oder durch Reaktion in Lösung erfolgen können. Hierbei werden nanoskalige Strukturen gezielt aus Atomen oder Molekülen aufgebaut (Sol-Gel-Prozesse, Gasphasensynthese, chemische oder physikalische Gasphasenabscheidung).
Relevant für die Gefährdungsbeurteilung sind insbesondere Prozesse bzw. Tätigkeiten, die ...