Zusammenfassung
Nudging bedeutet so viel wie "Antoßen" und soll Menschen helfen, "bessere" Entscheidungen zu treffen, ohne ihre Entscheidungsfreiheit in irgendeiner Form einzuschränken. Dies geschieht mithilfe von Nudges, mit denen der physische, psychische und soziale Entscheidungskontext gestaltet wird. Dieser Artikel befasst sich mit den Grundlagen menschlichen Entscheidens und Verhaltens, erklärt die Hintergründe von Nudging und liefert sowohl konkrete Beispiele als auch eine kritische Betrachtung des Themas.
1 Wie Menschen handeln
Am Amsterdamer Flughafen Schiphol gibt es in der Herrentoilette ein Urinal, in dem eine künstliche Fliege angebracht ist. 80 % weniger Urin landet auf dem Boden, da die Männer beim Urinieren auf die Fliege zielen. Dieses ungewöhnliche Beispiel verdeutlicht wie kein anderes das Prinzip von Nudging und einem Nudge. Doch bevor geklärt wird, was Nudging bedeutet, soll menschliches Entscheidungsverhalten genauer betrachtet werden.
1.1 Wie Menschen theoretisch handeln
Menschen handeln rational, vernünftig, vorausschauend und nutzenmaximierend auf der Basis vollständiger Informationen. Diese Parameter bestimmen, wie ein Mensch sich für oder gegen eine Verhaltensalternative entscheidet und in Konsequenz entsprechend verhält.
Dieses Bild des "Homo Oeconomicus", welches bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Denkrichtung der Verhaltensökonomie als Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften über menschliches Entscheidungsverhalten beherrschte, ließ sich jedoch nicht halten.
1.2 Wie Menschen praktisch handeln
Denn der Mensch verhält sich in der Praxis keineswegs immer verhaltensökonomisch, sondern oft irrational, unvernünftig, inkonsistent und dem eigenen Wohlergehen zuwiderhandelnd. Dafür gibt es viele Beispiele:
- Der Mensch raucht.
- Der Mensch ernährt sich ungesund.
- Der Mensch bewegt sich zu wenig.
- Der Mensch konsumiert berauschende Substanzen.
- Der Mensch liebt schnelles Fahren.
- Der Mensch mag Risikosportarten.
- Der Mensch arbeitet nicht immer sicherheitskonform.
Diese gesundheitsgefährdenden Verhaltensweisen treffen natürlich nicht auf alle Menschen zu, doch auf so viele, dass sich die Verhaltenswissenschaften mit der Paradoxie des menschlichen Verhaltens intensiver beschäftigten. Sie haben Faktoren gefunden, die jenseits eines rationalen Kosten-Nutzen-Kalküls Einfluss auf Entscheidungen haben. Diese werden in Abschn. 3 "Menschliche Verhaltenstendenzen" dargestellt.
2 Neuer Weg der Verhaltensbeeinflussung
Ein neuer Ansatz, der sich mit Entscheidungsverhalten befasst, ist Nudging. Nudging ist die Bezeichnung für eine gezielte Gestaltung von Entscheidungsmöglichkeiten. Diese Form der Verhaltensbeeinflussung wurde im Jahr 2008 vom Verhaltensökonomen Richard T. Thaler und seinem Kollegen aus der Rechtswissenschaft Cass Sunstein untersucht, die auch den Begriff prägten. Nudging leitet sich aus dem englischen Verb "to nudge" ab, was übersetzt so viel wie anstoßen, anstupsen bedeutet.
Was ist Nudging?
Nudging ist eine Methode, menschliches Verhalten durch behutsames Anstupsen in eine bestimmte Richtung zu lenken, damit Menschen für ihr Wohlergehen die richtigen Entscheidungen treffen. Instrumente hierfür sind Nudges. Nudges sind die Maßnahmen, mit denen Verhaltensänderungen bewirkt werden sollen. Das Besondere an Nudging ist, dass keinerlei Druck auf den Entscheider ausgeübt wird: Die Entscheidungshoheit bleibt immer beim Entscheider, die Entscheidungsfreiheit wird nicht eingeschränkt. Maßnahmen, wie Gesetze, Ge- und Verbote, finanzielle Anreize oder Strafen, kommen beim Nudging nicht zur Anwendung.
Bei Nudging geht es nicht um mehr oder minder erzwungene, fremdbestimmte Entscheidungs- und Verhaltensrestriktionen, sondern um selbstbestimmte und freiwillige Entscheidungs- und Verhaltensoptionen.
Ziel ist es, mittels Nudging Menschen zu gesunden und sicheren Entscheidungen – und damit zu gesundem und sicherem Verhalten – anzuregen, die sie ohne Nudges vielleicht nicht so getroffen hätten.
3 Menschliche Verhaltenstendenzen
Auch Nudging macht sich Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie zunutze, ergänzt durch Forschungsergebnisse aus der Psychologie.
3.1 Denken in Systemen
Erstens: Menschen denken in unterschiedlichen kognitiven Systemen.
- System 1: Das automatische System erlaubt schnelles und intuitives Denken, welches sowohl durch Instinkte und Emotionen als auch durch Gewohnheiten aktiviert wird.
- System 2: Mit dem reflektierten System werden Entscheidungen durchdacht und bewusst gefällt.
In den meisten Situationen dominiert System 1. Selbst bei Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen vertraut man unbewusst dem automatisierten System.
Zweitens: Menschen folgen bei ihren Entscheidungen verschiedenen Entscheidungslogiken und nutzen äußere Parameter für ihre Wahl von Optionen. Beides wird durch das bevorzugte Denken in System 1 getriggert und geschieht oft unbewusst.
3.2 Einflussgrößen bei Entscheidungsfindungen
Folgende Einflussgrößen bei Entscheidungsfindungen sind empirisch gut belegt:
3.2.1 Urteilsheuristiken
Menschen nutzen Urteilsheuristiken als Methode der Erkenntnisgewinnung und zur Urteilsfindung, die zu Wahrnehmungsverzerrungen und damit zu "fals...