Dr. Gudrun L. Töpfer, Dr.-Ing. Michael Scheil
Im Zentrum von problembasiertem Lernen steht – wenig überraschend – ein Problem. Dieses Problem soll dem Alltag der Lernergruppe entnommen sein und sollte deshalb auch mit den Worten und Begrifflichkeiten der Gruppe beschrieben werden. Wie genau mit dem Problem gearbeitet wird, kann verschieden sein und hängt von den Lernzielen ab, die mit der Lernergruppe erreicht werden sollen. Die Vorgehensweise orientiert sich im Großen und Ganzen am üblichen Ablauf, den Menschen beim Lösen von Problemen anwenden. Dazu gehört zunächst, ein Problem zu erkennen, zu verstehen und zu benennen. Danach wird eine Lösung gesucht. Je nach Ausgestaltung der Aufgabe kann dann noch spezifischer auf den Lösungsweg eingegangen und ausgearbeitet werden, wie man erfolgreich den Weg vom Problem zur Lösung beschreiten kann. Alle 3 Schritte bieten sich für eine umfangreiche Problembetrachtung an – dieses Vorgehen ist jedoch sehr aufwendig.
Behandlung in der Medizin
- In der Medizin ist die erste Aufgabe, den Patienten anzuschauen, zu untersuchen, mit ihm zu sprechen und daraufhin eine Diagnose zu stellen. Diese Diagnose bildet nur den ersten Schritt, der aber erledigt werden muss, bevor die nächsten Schritte unternommen werden können.
- Ist das Problem verstanden (also die Diagnose gestellt), ist der nächste Schritt in der Problemlöse-Reihenfolge, die Lösung vorzuschlagen – das entspricht in diesem Beispiel der Auswahl der korrekten Behandlung, die absehbarerweise zu einer Verbesserung der Krankheitssymptome führt.
- Der letzte Schritt wäre nun, den Weg von der Krankheit zur Lösung genauer zu untersuchen und zu beschreiben. Hier sind verschiedene Aspekte zu beachten, z. B. ob der Patient gegen irgendwelche Medikamente Unverträglichkeiten aufweist, ob er selbst willens und in der Lage ist, an einzelnen Aspekten der Erkrankung zu arbeiten und welche Maßnahmen er im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützend selbst zur Heilung ergreifen kann.
Je nachdem, wie viel Zeit und Aufwand für eine Unterweisung eingeplant werden können, ist die Bearbeitung nur einzelner oder aller drei Schritte des Problemlösens möglich. In diesem Artikel wird ein Ablauf vorgeschlagen, der sich auf den mittleren Schritt fokussiert. Das liegt daran, dass im Arbeitsschutzkontext meist recht offensichtlich ist, was ein Problem ist bzw. wann ein Vorgang zu einem Problem wird, nämlich dann, wenn unerwünschte Ereignisse, wie Unfälle (und auch Beinahe-Unfälle), eintreten. Das Problem zu verstehen ist jener Schritt, der bei jedem einzelnen Mitarbeiter die Aufmerksamkeit auf das eigene Verhalten lenkt und die Awareness dafür weckt, wo Verhaltensweisen zu einem Problem führen können.
Der letzte Schritt kann natürlich im Unterweisungsgeschehen mit angerissen werden. Hier werden aber erwartungsgemäß Themen benannt, auf die nicht alle Mitarbeiter Einfluss haben (z. B. ob für das erwünschte und richtige Verhalten ausreichend Zeit im Arbeitsprozess eingeplant wurde), sodass es mühselig sein kann, über Rahmenbedingungen zu sprechen, die von der Lernergruppe ohnehin nicht geändert werden können. Hilfreich kann es trotzdem sein; diese Arbeitsergebnisse müssen aber im Anschluss zuverlässig von der Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa) zu entsprechend verantwortlichen Personen mit der Bitte um Bearbeitung und Änderung weitergetragen werden.
Mit dem problembasierten Lernen können verschiedene Lernziele erreicht werden: Neben wissensbezogenen Inhalten (z. B. Wann und in welchen Situationen ist in unserem Unternehmen eine Stoßkappe zu tragen?) können auch Aspekte von Einstellung und Überzeugung angesprochen werden (z. B. Wie verhalte ich mich, wenn ich einen Kollegen ohne Stoßkappe sehe, obwohl in dieser Situation eine getragen werden sollte?). Da konkrete Probleme aus der Praxis meist Komponenten aus beiden Bereichen beinhalten, werden Probleme umfassender und in ihrer Ganzheit betrachtet, anstatt sie auf z. B. Regeln, Vorschriften und Richtlinien zu reduzieren, die dann aber ggf. in der Praxis nicht angewendet werden.
2.1 Vorarbeiten
Bei der Vorbereitung muss ein Problem ausgewählt werden, das der Lernergruppe bekannt ist. Die Sifa hat im Vorfeld die Aufgabe, das Problem gut abzugrenzen und zu beschreiben. Es muss klar sein, dass und warum es sich um ein Problem handelt. Dies geschieht im Arbeitskontext am besten dadurch, dass eine Situation geschildert wird, in der das Problem schon passiert ist, sich also z. B. ein Unfall ereignet hat. Die Sifa sollte sich hier ausführlich und so konkret wie möglich einen Fall zurechtlegen, damit sie später auf eventuelle Fragen zum Unfallhergang Auskunft geben kann.
In vielen Guidelines zum problemorientierten Lernen wird vorgeschlagen, der Lernergruppe schon diverse Fachtexte (z. B. Gesetze und Richtlinien) vorher zukommen zu lassen, die als Vorbereitung gelesen werden sollen. Das Ziel ist, diese zeitraubende Phase vorzuverlegen, um dann direkt während des Termins mit den erlernten Informationen arbeiten zu können. Dieses Prinzip nennt sich "flipped classroom". ...