Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp
Zusammenfassung
Der islamische Fastenmonat Ramadan spielt eine zentrale Rolle im religiösen Leben vieler Muslime, die in dieser Zeit tagsüber – also auch vor und während der Arbeitszeit – keine Speisen und Getränke zu sich nehmen. Gerade wenn der (kalendarisch bewegliche) Ramadan in die Sommerzeit mit langen Tagen und hohen Temperaturen fällt bzw. wenn körperlich anspruchsvolle und/oder sicherheitsrelevante Tätigkeiten ausgeübt werden, stellt sich die Frage, ob durch die Einhaltung der strengen Fastenregeln Mitarbeiter derart in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind, dass davon ein Sicherheitsrisiko ausgeht.
Art. 4 Abs. 2 Grundgesetz sichert die ungestörte Religionsausübung zu, zu der religiöse Bräuche wie die Einhaltung von Fastenzeiten gehören. Auch wenn es gelegentlich mit anderen Rechten kollidiert, wird dieses Recht in der Rechtsprechung relativ hoch angesiedelt. Demgegenüber gilt die Arbeitspflicht eines Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber, die sich aus dem bestehenden Arbeitsvertrag ableitet und in § 611 BGB begründet ist. Hier könnte es zum Konflikt kommen, wenn es durch Fasten und/oder nicht ausreichende nächtliche Erholung zu Leistungsmängeln käme.
Im weiteren Sinne kann auch noch auf § 15 Abs. 1 ArbSchG verwiesen werden, wonach die Beschäftigten verpflichtet sind, "nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen". Dazu gehört grundsätzlich sicher auch, dass ein Arbeitnehmer durch angemessene Ernährung dafür sorgt, dass die Leistungsfähigkeit erhalten bleibt. Die im Gesetzestext ausgewiesene Einschränkung "nach Möglichkeit" zeigt aber schon, dass diese Grundpflicht des Arbeitnehmers in bestimmten Situationen eingeschränkt sein kann.
Eine evtl. Verletzung von arbeitsvertraglichen bzw. arbeitsschutzrechtlichen Pflichten durch die Folgen des Fastens im Ramadan wäre sehr sorgfältig zu begründen, weil die daraus zu ziehenden Konsequenzen sonst zu einem Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) führen könnten.
1 Religiöser Hintergrund
Die zentralen Traditionen des Islam legen fest, dass der 9. Monat des islamischen Mondkalenders ein Fastenmonat sein soll. Er verschiebt sich wegen der gegenüber den Kalendermonaten kürzeren Mondmonate um zehn oder elf Tage pro Jahr Richtung Jahresanfang. Diese Zeit dient für Muslime der Besinnung und Erneuerung ihres Glaubens, in der sie bemüht sein sollten, ein insgesamt gottgefälliges Leben zu führen und alles Schlechte zu unterlassen. Religiös motivierte Verhaltensvorgaben werden daher in dieser Zeit u. U. enger ausgelegt als sonst, was evtl. im betrieblichen Alltag spürbar sein kann. Neben dem Fasten sind Moscheebesuche und Koranstudium, Spenden und v. a. bewusstes Leben in der muslimischen Gemeinschaft (Familie, Freunde, Nachbarschaft) wichtig. Daher wird das abendliche Fastenbrechen, wenn eben möglich, in größerem Kreise begangen und festlich gestaltet, was erheblich Zeit und Aufwand in Anspruch nimmt.
Gefastet wird nach den Vorgaben des Korans grundsätzlich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, wobei in dieser Zeit auf Essen, Trinken, Rauchen und andere Formen des "Genusses" verzichtet wird. Bestimmte Gruppen sind vom Fastengebot ausgenommen, u. a. Schwangere, Stillende, Alte, Kranke und Reisende. Nach Möglichkeit sollten Betroffene die versäumten Fastentage aber später nachholen.
Im Detail weichen die Auslegungen der Fastengebote in verschiedenen islamischen Kulturen und Überlieferungen voneinander ab. In islamisch geprägten Ländern Afrikas ist es wohl durchaus akzeptierte Praxis, dass bei harter körperlicher Arbeit und/oder großer Hitze eine gewisse Menge Wasser, Obst oder auch Vitamin- und Mineralstoffpräparate aufgenommen werden dürfen, ohne dass das als unzulässiges Fastenbrechen gilt. Dagegen gibt es andere Lehrmeinungen, die gerade besonders schwierige Umstände beim Fasten als wichtige Herausforderung ansehen, der in keinem Fall ausgewichen werden darf. So werden sogar für Orte im hohen Norden Europas, an denen im Sommer die Sonne nicht untergeht, Fastenregeln herausgegeben, obwohl die jahreszeitlich stark schwankende Tageslänge ein Phänomen darstellt, das in den Ursprungsländern des Islams so gar nicht besteht.
Religionsfragen sind nicht Sache des Betriebes
Es ist sicher gut und empfehlenswert, mit muslimischen Mitarbeitern betriebsrelevante Fragen rund um die Fastenzeit in wertschätzender Form zu besprechen. Das kann dazu beitragen, das Arbeitssicherheitsniveau und die Unternehmenskultur gleichermaßen zu verbessern (s. u. Kap. 4). Allerdings sollte man als Betriebsvertreter unbedingt eine Diskussion über die Auslegung der Fastengebote im Einzelnen vermeiden, z. B. die Frage, ob denn nicht doch an besonders heißen bzw. anstrengenden Sommertagen Wasser getrunken werden darf. Angesichts der Vielfalt der islamischen Lehrmeinungen dazu, sind Einlassungen eines Unternehmens zu solchen glaubenspraktischen Fragen in keiner Weise a...