Dr. rer. nat. Gerald Schneider
Das Wort "Risiko" ist ein allgemein gebräuchlicher Begriff, der "irgendwie" mit Gefahren und Gefährdungen zu tun hat und häufig nur operational definiert wird. So beschreibt ihn die DIN EN ISO 12100:2011-03 "Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung" als "Kombination der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens und seines Schadensausmaßes".
Die OHSAS 18001 legt dagegen die Schwerpunkte anders, sie erfasst das Risiko als "Verbindung aus Eintretenswahrscheinlichkeit eines gefährlichen Ereignisses oder einer Exponierung und der Schwere der Verletzung oder Erkrankung, die durch das Ereignis oder die Exponierung verursacht wurde".
Die jetzt geltende Norm DIN ISO 45001:2018-06 verwendet eine ähnliche Definition. In beiden letztgenannten Fällen wird die Wahrscheinlichkeit des negativen Ereignisses in den Blick genommen, während die DIN EN ISO 12100 die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Schadens oder Schadenstyps untersucht.
Letztendlich existiert auch noch die seit Langem wohlbekannte, aber für den Arbeitsschutz ungeeignete Formel: Risiko = Schadensschwere x Eintrittswahrscheinlichkeit.
Welcher Definition man nun auch folgt, es geht immer um die Quantifizierung der Wahrscheinlichkeit eines negativen Ereignisses. Risiko lässt sich also folgendermaßen abstrakt beschreiben: Risiko bezeichnet den Erwartungswert für ein negatives Ereignis oder einen Schaden.
Die DIN ISO 45001:2018-06 beschreibt dagegen Risiko als "Auswirkung von Ungewissheit". Hier wird eine nicht hinreichende spezifizierende Erklärung gegeben, denn der positive Gewinn im Lottospiel ist ebenfalls eine Auswirkung von Ungewissheit, trifft aber nicht wirklich den landläufigen Risikobegriff. Das Gegenteil von Risiko wird häufig als "Chance" bezeichnet und stellt den Erwartungswert für ein günstiges (oder neutrales) Ereignis dar, ist aber ebenfalls eine Auswirkung von Ungewissheit.
Zur Feststellung eines Risikos bzw. genauer gesagt der Eintrittswahrscheinlichkeit des negativen Ereignisses oder Schadens sind 2 grundsätzliche Wege möglich:
- die quantitative Erfassung über mathematische Operationen,
- die semiquantitative Erfassung aufgrund der Einschätzung.
Die quantitative mathematische Erfassung kann i. W. ebenfalls nach 2 verschiedenen Methoden erfolgen.
Immer wenn Systemzustände bekannt und klar definierbar sind, kann nach kombinatorischen Regeln und den Instrumenten der Wahrscheinlichkeitsrechnung ein Risikoerwartungswert abgeleitet werden. Münzen haben 2 Seiten, also 2 Systemzustände, das Risiko, meine Wette durch Fallen der Seite "Wappen" zu verlieren, liegt also bei 100 % : 2 = 50 % oder mathematisch korrekter bei ½. Bei einem Spiel mit 5 Würfeln gibt es 65 = 7.776 Kombinationen oder Systemzustände, die Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Kombination zu würfeln (z. B. 5 "Sechsen") liegt also nur bei 0,00013.
Leider ist die Realität nur selten durch solche klaren und relativ leicht handhabbaren Systemzustände charakterisiert. Arbeitsstätten, Verkehrsflüsse, Atomkraftwerke etc. verfügen über eine Unzahl an Kombinationen von Zuständen, die in der Regel gar nicht gleichzeitig erfassbar sind und z. T. sogar gänzlich unbekannt sein können. Dementsprechend muss auf statistische Betrachtungen zurückgegriffen werden, wobei häufig die Gesamtheit aller Vorgänge zu der Zahl der negativen Ergebnisse in Relation gestellt wird. Die in der Arbeitswelt 2013 aufgetretenen 25 tödlichen Leiterunfälle stehen angenommenen ca. 40 Mio. Leiternutzungen pro Jahr gegenüber, sodass der Risikoerwartungswert bei 25/40 x 106 = 0,0000006 oder 1 : 1,6 Mio. liegt.
Selbstverständlich sind Risikoanalysen in den meisten Fällen wesentlich komplexer, aber in allen diesen Fällen werden aus der Realität abgeleitete Daten benötigt, die dann einfache oder auch hochkomplizierte mathematische Modelle und Algorithmen füllen. Ohne die zugrunde liegende Datenbasis geht es nicht.
Solche Daten sind aber nicht immer verfügbar und deswegen werden häufig semiquantitative Risikoabschätzungen durchgeführt. Dies sind z. B. die bekannten Matrixmodelle, wie wir sie in vielen Handlungshilfen zur Gefährdungsbeurteilung finden (Abb. 1). Typischerweise wird hier ein Schaden oder ein negatives Ereignis in Relation zu allgemeingültigen, aber wenig konkreten Beschreibungen, wie "häufig", "selten", "unwahrscheinlich" etc., gesetzt. Es sind aber auch andere Vorgehensweisen denkbar.
Abb. 1: 2 typische Schätzschemata, die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung angewendet werden. Man beachte die unspezifischen Kriterien, die eine erhebliche inter- wie intrapersonale Variabilität mit Bezug auf die Ergebnisse begünstigen