Zusammenfassung

 
Überblick

Risiken oder Gefährdungen, die bei der Arbeit auftreten, sind nach dem Arbeitsschutzgesetz möglichst zu beseitigen, zumindest aber zu minimieren. Dies setzt aber voraus, dass die Gefährdungen erkannt und nach ihrer Schwere so präzise bestimmt werden können, dass die Dringlichkeit von Schutzmaßnahmen erkannt wird und eine gefährdungskonforme Reihenfolge der Maßnahmenumsetzung eingeleitet werden kann.

1 Gefährdungsbeurteilung und Risikobetrachtung: Abgrenzung der Begriffe

Die Worte "Risiko" und "Gefährdung" bzw. "Risikobetrachtung" und "Gefährdungsbeurteilung" werden häufig synonym verwendet und in der Tat liegen die Betrachtungsgegenstände nahe beieinander. Um in diesem Artikel aber eine klare Begrifflichkeit verwenden zu können, ist eine Differenzierung erforderlich.

Die Gefährdungsbeurteilung beinhaltet nach der Begründung des Arbeitsschutzgesetzes, dass Gefährdungen als potenzielle Schadensmöglichkeiten erkannt und hinsichtlich ihrer Schadensschwere bewertet werden. Die Aussage: "Eine Durchströmung des Körpers mit Todesfolge ist möglich" wäre eine sinnvolle Aussage im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung.

Risikoanalysen nach den grundlegenden Normen der DIN EN ISO 12100 oder der OHSAS 18001 bzw. der DIN ISO 45001 sind jedoch darüber hinaus immer mit der Abschätzung einer Eintrittswahrscheinlichkeit für die unerwünschten Ereignisse gekoppelt. Die o. g. Aussage zur Körperdurchströmung würde in einer Risikoanalyse also lauten: "Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Körperdurchströmung und der Tod könnte die Folge sein." Sie könnte aber auch lauten: "Es besteht die Möglichkeit einer Körperdurchströmung mit der hohen Wahrscheinlichkeit für einen tödlichen Ausgang".

Im ersten Satz würde sich die Eintrittswahrscheinlichkeit auf das Ereignis ("Körperdurchströmung"), im zweiten auf die Schadensfolge ("tödlicher Ausgang") beziehen. Beides ist möglich.

Festzuhalten ist, dass die Risikoanalyse durch die Einbeziehung der Eintrittswahrscheinlichkeit über die Gefährdungsbeurteilung hinausgeht, also gewissermaßen als "Gefährdungsbeurteilung + Eintrittswahrscheinlichkeit" betrachtet werden kann.

Sollen nun im Betrieb Risikoanalysen in diesem Sinne durchgeführt werden, so sind erhebliche Vorüberlegungen erforderlich, um eine sachgerechte Bearbeitung sicherzustellen. Dabei ergeben sich diverse Fragen und es wird sich nachfolgend zeigen, dass "gute" Risikoanalysen im Arbeitsschutz deutlich komplexer sind, als die üblichen Matrixmethoden erwarten lassen.

2 Fragen zur Risikoanalyse

2.1 Frage 1: Benötige ich überhaupt eine Risikoanalyse?

Zunächst sollte kritisch geprüft werden, ob überhaupt eine Risikoanalyse erfolgen soll. Welche zusätzlichen Informationen zur Gefährdungsbeurteilung sind dadurch zu erwarten und werden diese wirklich benötigt? Im obigen Beispiel wird im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung eine mögliche Körperdurchströmung mit Todesfolge festgestellt. Dies reicht bereits aus, um wirksame Maßnahmen einleiten zu können, denn ob die Wahrscheinlichkeit für den Todesfall hoch oder niedrig ist, spielt keine Rolle. Allein die Tatsache, dass es zu diesem Fall kommen kann, reicht nach dem Arbeitsschutzgesetz aus, sofort Maßnahmen einzuleiten. Das häufig vorgebrachte Argument, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit ein "Guide" für die Rangfolge der Maßnahmen sein kann, sticht nicht, denn eine Rangfolge lässt sich auch über die Schäden erstellen.

Dabei ist zu bedenken, dass die Zahl der Fehlerquellen mit der Anzahl der Schätzparameter steigt. Die Wahrscheinlichkeit von Fehleinschätzungen ist höher, wenn ich sowohl den Schaden als auch die Eintrittswahrscheinlichkeit prognostizieren soll, als wenn nur der Schaden allein benannt werden muss.

Es sollte daher immer geprüft werden, ob eine Risikobetrachtung sinnvoll ist und ob erforderliche und handlungsleitende Zusatzinformationen zur Gefährdungsbeurteilung durch die Einbeziehung der Eintrittswahrscheinlichkeit erlangt werden. Gesetzlich vorgesehen sind derartige Betrachtungen nicht, allerdings werden sie ggf. im Rahmen von Zertifizierungen gefordert. Es ist also häufig auch eine Frage des Anwendungskontextes, ob Risikoanalysen erforderlich sind oder nicht.

2.2 Frage 2: Welches Modell?

Hat man sich für eine Risikoanalyse entschieden, ist als nächstes festzulegen, welchem Modell gefolgt werden soll. Grundsätzlich sind – wie bereits angedeutet – 2 Varianten möglich:

  1. Nach der Maschinennorm DIN EN ISO 12001 wird die Eintrittswahrscheinlichkeit auf die Schäden bezogen, also z. B. gefragt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Überdruckventil versagt.
  2. Nach der OHSAS 18001 bezieht sich die Eintrittswahrscheinlichkeit auf das unerwünschte Ereignis oder die unerwünschte Exposition, also z. B. die Körperdurchströmung. Ähnlich ist es in der DIN ISO 45001 geregelt.

Die Frage nach dem Modell ergibt sich dabei häufig bereits aus dem Kontext, denn die Konstrukteure von Maschinen müssen sich schon an die grundlegenden Normen halten, bei Risikobetrachtungen im Bereich des allgemeinen Arbeitsschutzes ist dies jedoch nicht in diesem strengen Maß erforderlich.

Typischerweise sind unerwünschte Ereignisse oder Expositionen leichter zu überblicken als die Schäden, weil es hier i...

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