Dipl.-Ing. Matthias Glawe
Für die Festlegung von Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten vor der Gefährdung durch elektrischen Schlag muss ein umfangreiches Regelwerk beachtet werden. Es reicht von der Betriebssicherheitsverordnung über die Vorschriften und Regeln der gesetzlichen Unfallversicherungsträger (z. B. DGUV-V 3) bis hin zu DIN-Normen und VDE-Bestimmungen.
Für den Arbeitgeber besteht bei der Bereitstellung und Benutzung der Arbeitsmittel grundsätzlich die Verantwortung, neben den allgemeinen Grundsätzen des § 4 Arbeitsschutzgesetz insbesondere auch die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu berücksichtigen.
Als allgemein anerkannte Regeln der Technik wird grundsätzlich die Summe der anerkannten wissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Erfahrungen, in diesem Fall der Elektrotechnik, angesehen, die durchweg bekannt und als richtig und notwendig anerkannt sind. Dies bedeutet, dass die Regel wissenschaftlich durchgesetzt, technisch und handwerklich erprobt sein muss und deshalb als (elektrotechnisch) richtig und notwendig in der Praxis akzeptiert wird. DIN-Normen, VDE-Bestimmungen und VDI-Richtlinien sind keine Rechtsnormen, sondern private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. Sie sind immer dann auch allgemein anerkannte Regeln der Technik, wenn sie den allgemeinen o. g. Prüfungsmaßstäben standhalten.
Sollten Sie allerdings in Anhängen europäischer Richtlinien (z. B. Maschinenrichtlinie) oder deutscher Gesetze und Verordnungen explizit genannt werden, sind sie für den Hersteller zwingend anzuwendende Sicherheitsnormen.
Von allgemein anerkannten Regeln der Technik darf nur dann abgewichen werden, wenn mindestens die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist. Im Sinne dieses ständigen technischen Fortschritts können gerade ältere DIN-Normen die Vermutungswirkung der Richtigkeit nicht mehr automatisch für sich beanspruchen.
4.1 Schutzarten
Grundsätzlich gilt, dass nur solche elektrische Anlagen und Betriebsmittel benutzt werden dürfen, die für die Beanspruchung durch die Betriebs- und Umgebungsbedingungen an der Arbeitsstelle geeignet sind. Falls durch die am Arbeitsplatz vorliegenden Betriebs- und Umgebungsbedingungen eine erhöhte elektrische Gefährdung besteht, müssen besondere Maßnahmen zum Schutz gegen elektrischen Schlag veranlasst werden. Der Schutz von Personen, Nutztieren und Sachen gegen elektrischen Schlag muss durch die Anwendung folgender Maßnahmen gewährleistet werden:
- Basisschutz: Schutz gegen elektrischen Schlag unter normalen Bedingungen (Schutz gegen direktes Berühren),
- Fehlerschutz: Schutz gegen elektrischen Schlag unter Fehlerbedingungen (Schutz bei indirektem Berühren).
Dieser Schutz kann erreicht werden durch eine sichere Auslegung der Anlage bzw. des Betriebsmittels selbst oder durch die Anwendung von Schutzmaßnahmen bei deren Errichtung. Möglich ist auch eine Kombination von Maßnahmen. Die Auswahl der Schutzmaßnahmen richtet sich nach den Betriebsbedingungen.
Der Basisschutz kann z. B. erfolgen durch
- Isolierung von aktiven Teilen,
- Abdeckung und Umhüllung,
- Hindernisse,
- Abstand oder
- Fehlerstromschutzschalter (RCD).
Da trotz dieser Maßnahmen Isolationsfehler durch Alterung, unsachgemäßen Gebrauch, äußere Einwirkungen usw. nicht ausgeschlossen werden können, sind zusätzlich noch Maßnahmen zum Schutz bei indirektem Berühren (Fehlerschutz) vorzusehen. Diese müssen zuverlässig verhindern, dass beim Auftreten des ersten Fehlers in elektrischen Anlagen eine Gefährdung für die Beschäftigten auftritt.
4.2 Netzsysteme
Die Anwendung einzelner Schutzmaßnahmen ist durch die jeweilige Netzkonfiguration vorgegeben. Netzsysteme sind Energieverteilungssysteme mit Nennspannungen bis 1.000 V. Sie sind gegliedert nach der Art der aktiven Leiter und der Art der Erdverbindung. Insbesondere in Städten, wo angrenzende Grundstücke verschiedenartige Einspeisungen erhalten können, sind genaue Kenntnisse über Versorgungsbereiche und Netzarten in diesen Bereichen erforderlich. Zulassungen (nur netzspezifisch, örtlich begrenzt) zum Arbeiten an Verbraucheranlagen erhalten also die Anlagenhersteller vom jeweiligen Versorgungsunternehmen. Der Anlagenerrichter und -betreiber muss daher die vorliegende Niederspannungsnetzform kennen, um die anzuwendende Schutzmaßnahme richtig auszuwählen. Die vorkommenden Netzformen werden durch Buchstabenkombinationen beschrieben (Abb. 2 bis 4).
Erster Kennbuchstabe: Erdungsverhältnisse der Stromquelle:
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I = isoliert oder über Impedanz geerdet |
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T = (terra) direkt geerdet |
Zweiter Buchstabe: Erdungsverhältnisse der Körper der elektrischen Anlage:
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T = (terra) direkt geerdet, unabhängig von der etwa bestehenden Erdung der Stromquelle |
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N = (neutral) über einen zusätzlichen Leiter mit dem Sternpunkt der Stromquelle/des Transformators verbunden |
Beim zweiten Kennbuchstaben "N" kann durch weitere Buchstaben angegeben werden, wie Neutralleiter (N) und Schutzleiter (PE) ausgeführt sind. Dabei bedeuten:
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S = (separated) Neutralleiter- und Schutzleiterfunktionen durch getrennte Leiter |
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C = (combined) Neutralleiter- und ... |