Bei der Prüfung von Software aus Benutzersicht gibt es 3 alternative Prüfmethoden:
- Usability-Inspektion durch einen Usability-Experten,
- Usability-Test mit Benutzern,
- Benutzerbefragung.
Alle Drei haben ihren Einsatzzweck und werden in aller Kürze vorgestellt. Die Benutzerbefragung wird ausführlicher dargestellt, da ihr eine besondere Bedeutung bei im Betrieb vorhandener Software zukommt.
3.1.1 Inspektion durch einen Usability-Experten
Bei der Inspektion durch einen Usability-Experten benutzt dieser das Softwaresystem und arbeitet sich durch die Aufgaben der Benutzer. Dies wird auch als "Cognitive Walkthrough" bezeichnet. Das Ziel ist, festzustellen, welche vorhersagbaren Usability-Probleme erkennbar sind aufgrund
nicht umgesetzter Nutzungsanforderungen
(z. B. "Der Benutzer muss am System erkennen können, welche Kunden sich länger als durchschnittlich (für den Kunden) nicht gemeldet haben"),
nicht angewendeter Gestaltungsregeln
(z. B. "Symbole sollten immer ein Textlabel haben").
Inspektionen sind grundsätzlich kostengünstig, müssen aber vorbereitet werden. Eine Anforderungsspezifikation, wie unter Abschn. 2.1 beschrieben, erlaubt bereits die Durchführung einer systematischen Inspektion. Hat man einen Usability-Experten bei der unter Abschn. 2.2 beschriebenen Anbieterpräsentation dabei, kann dieser faktisch während der Präsentation des Softwaresystems eine Inspektion durchführen – einfach nur durch Beobachtung des "Walkthrough" des Softwareanbieters.
Bei im Betrieb bereits vorhandener Software ist die Inspektion nur dann zielführend, wenn es explizite Klagen der Benutzer gibt. Die Inspektion kann dann solche Klagen objektivieren.
3.1.2 Usability-Test mit Benutzern
Beim Usability-Test mit Benutzern lässt man echte Benutzer deren reale Aufgaben am System erledigen auf der Basis von spezifizierten Usability-Testaufgaben. Hierbei wird dann durch den Beobachter der jeweiligen "Usability-Testsession" festgestellt, wie gut der jeweilige Benutzer mit dem System tatsächlich klarkommt.
Um mittels Usability-Tests zu verallgemeinerbaren Aussagen über zu behebende Usability-Probleme zu kommen, reichen oft bereits 5–6 Benutzer aus.
Usability-Tests sind Qualitätssicherungsmaßnahmen, die integraler Bestandteil des "Usability-Engineering" beim Softwarehersteller sein müssen. Jede neu entwickelte oder angepasste Funktion muss zunächst als Prototyp mit einem sog. "Prototyping-Tool" entwickelt und mithilfe von Benutzern getestet werden, ansonsten wird sie nicht gebrauchstauglich. Erst wenn der Prototyp sich mit Benutzern bewährt hat, sollte er auch technisch implementiert werden.
Bei im Betrieb vorhandener Software ist der Usability-Test eher nicht die Methode der Wahl, da es i. d. R. keine Zielgruppe für die Testergebnisse gibt. Es ist Aufgabe des Softwareherstellers entwicklungsbegleitend Usability-Tests durchzuführen. Es lohnt sich bei der Beschaffung von Softwaresystemen (s. Abschn. 2) die potenziellen Lieferanten zu fragen, in welchem Ausmaß das zu liefernde Softwaresystem Usability-getestet ist.
3.1.3 Benutzerbefragung
Es gibt standardisierte Fragebögen, mit deren Hilfe man feststellen kann, wie zufrieden Benutzer mit einem Softwaresystem sind. Normalerweise werden hier zu vorgegebenen Fragen durch den Benutzer Bewertungen auf vorgegebenen Skalen gemacht.
Das Problem bei solchen quantitativen Auswertungen ist jedoch immer, dass unklar ist, welcher konkrete Handlungsbedarf bei einem Softwaresystem besteht. Insofern sind diese Fragebögen für Hersteller sehr hilfreich (wer will schon unzufriedene Kunden?).
In der betrieblichen Praxis bei vorhandener Software stellt sich die Frage etwas anders. Grundsätzlich gibt es bei jedem Softwaresystem Usability-Probleme. Nicht alle müssen behoben werden. Es gibt Usability-Probleme, mit denen die Benutzer leben können, und solche, die nicht tolerierbar sind. Die Frage ist also nicht "Gibt es denn überhaupt Usability-Probleme?", sondern vielmehr:
- Welche Usability-Probleme aus Benutzersicht liegen bei einem Softwaresystem vor?
- Welche dieser Usability-Probleme werden aus Benutzersicht als sehr störend empfunden?
Für betriebliche Zwecke wurde bereits 2001 der Benutzerfragebogen "ErgoNorm" entwickelt. Dieser Fragebogen hat keine Skala, sondern fragt gezielt nach Usability-Problemen und ihrer Tolerierbarkeit durch den Benutzer. In Abb. 3 wird eine der Fragen des Benutzerfragebogens "ErgoNorm" beispielhaft dargestellt.
Abb. 3: Ausschnitt aus dem Benutzerfragebogen "ErgoNorm"
Benutzerbefragungen mit dem ErgoNorm-Fragebogen sollten in Betrieben nach jeder Einführung einer neuen betrieblichen Software bzw. Veränderung des User Interfaces einer eingeführten betrieblichen Software ("neues Release") durchgeführt werden. Um bei einer Benutzerbefragung zu verallgemeinerbaren Aussagen über Handlungsbedarf zu kommen, sollten mindestens 25 Benutzer befragt werden oder bei Benutzergruppen kleiner 25 Benutzer eben alle Benutzer.
Sobald Usability-Probleme identifiziert werden, die bei einzelnen Mitarbeitern als "ich empfinde dies als sehr störend" eingeordnet werden, sollte analysiert werden, wie diese unter Zuhilfenahme des...