Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp
1.1 Definition
Als Fluchtwege (nach Arbeitsstättenrecht) bzw. Rettungswege (nach Baurecht) werden die Wege bezeichnet, die aus Gebäuden ins Freie oder in einen gesicherten Bereich führen (z. B. in einen benachbarten Brandabschnitt, in ein rauchdicht abgetrenntes Treppenhaus). Sie ermöglichen den Nutzern eines Gebäudes die rechtzeitige Flucht und der Feuerwehr eine effektive Brandbekämpfung. Obwohl Bau- und Arbeitsstättenrecht in Details voneinander abweichen, gibt es allgemeine Vorgaben über die Breite von Flucht- und Rettungswegen: Sie hängt von der Zahl der Personen ab, die den Fluchtweg ggf. nutzen müssen, z. B.:
- bis 5 Personen: 0,875 m,
- bis 20 Personen: 1,0 m,
- bis 200 Personen: 1,20 m.
Diese nutzbaren Breiten dürfen nicht durch Einbauten eingeschränkt werden, aber auch nicht durch Lagerflächen, Dekor- oder Ausstellungselemente usw.
Außerdem dürfen in Treppenräume (durch die die Flucht- und Rettungswege ja verlaufen müssen) und in sog. notwendigen Fluren (d. h. zentrale Flur- oder auch Eingangsbereiche im Verlauf von Rettungswegen) grundsätzlich keine Brandlasten eingebracht werden. Dadurch wird das Risiko vermindert, dass diese Bereiche durch Rauch unpassierbar werden.
1.2 Hintergrund
Im betrieblichen Alltag kommt es aus nachvollziehbaren Gründen häufig vor, dass Nebenflächen in Fluren, Foyers, Treppenräumen usw. aber auch Verkehrsflächen innerhalb von Arbeitsbereichen als Lager- oder Stellflächen genutzt werden. Das daraus resultierende Brandschutzproblem wird oft überhaupt nicht wahrgenommen. Typische Situationen sind:
- Platzmangel in Produktionsbereichen, der dazu führt, dass Lager- oder Arbeitsflächen unzulässig ausgeweitet werden;
- schlichte Unkenntnis über die Bedeutung von Flucht- und Rettungswegen;
- in Foyers und Fluren der oft wohl gemeinte Wunsch nach einer einladenden und zweckmäßigen Gestaltung, der zu Problemen mit Sitzecken, Schriftenständern, Dekorationsobjekten oder Warenpräsentationen führt.
Dabei ist die Abgrenzung in der Tat manchmal schwierig, denn völlig entleerte Flure und Treppenhäuser gibt es selten. Pflanzkübel, Bilder, Sitzbänke usw. finden sich vielerorts auch in Flucht- und Rettungswegen. Das muss nicht unbedingt ein Problem sein. Die erforderliche Breite muss eingehalten werden – das ist unstrittig. Die Raumgeometrie spielt jedoch auch eine Rolle: Ein großer Pflanzkübel kann sehr wohl im Wege stehen, auch wenn die vorgesehene Breite daneben gegeben ist. Wesentlich ist auch, ob die abgestellten Gegenstände leicht umgeworfen und zum Fluchtweghindernis werden können. Auch die Bewertung der Brandlast und Entflammbarkeit ist nicht immer einfach vorzunehmen.
1.3 Unfall- und Berufskrankheitengeschehen
Katastrophale Brandereignisse, bei denen aufgrund unpassierbarer Flucht- und Rettungswege viele Menschen zu Schaden gekommen wären, sind in Deutschland seit vielen Jahren glücklicherweise nicht vorgekommen – sicher auch aufgrund der strengen Anforderungen und Kontrollen. Gravierende Mängel und Probleme, mit denen sich Aufsichtsbehörden und Betreiber auseinandersetzen müssen, treten typischerweise in Bereichen auf, wo unbefugter Ein- oder Ausgang gezielt verhindert werden soll und deshalb Fluchtwege vernachlässigt werden (und oft auch schlicht abgeschlossen sind), z. B. im Bereich Einzelhandel, Gastronomie und Veranstaltungen, gelegentlich auch im Justizbereich.
1.4 Verantwortung von Arbeitgeber und Führungskräften
Der Arbeitgeber und die vor Ort zuständigen Führungskräfte sind verpflichtet, die Brandschutzvorschriften stets einzuhalten, auch wenn das durch viele betriebliche Gründe schwierig ist. Der Hinweis auf fehlenden Platz oder darauf, dass eine Ausstellung im Foyer nur vorübergehend vorgesehen war, wird im Schadensfall keinerlei Haftungsansprüche abwehren (s. u.).
Gefragt sind also Aufklärung und eine geregelte Arbeitsorganisation. Hier haben die betrieblichen Fachkräfte wie Sicherheitsbeauftragte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Brandschutzbeauftragte eine besondere Pflicht: Sie müssen die im Betrieb Zuständigen immer wieder auf problematische Sachverhalte hinweisen. Geschäftsführung oder Hausverwaltung müssen z. B. sensibilisiert werden, dass das Foyer zwar die Visitenkarte des Betriebes ist, aber trotzdem nicht beliebig möbliert und ausgestattet werden darf. Die Verantwortlichen vor Ort müssen klären, mit welchem Materialvolumen Aufträge in einem bestimmten Bereich abgewickelt werden können, ohne dass es zu Platzproblemen kommt. Zudem müssen die Führungskräfte durch Unterweisungen, Ermahnungen und Anordnungen dafür sorgen, dass alles seine Ordnung hat.
Wenn im Einzelfall das Einbringen von Material in sensible Bereiche unausweichlich erscheint, besteht die Möglichkeit, sich von der zuständigen Aufsichtsbehörde (i. d. R. die örtliche Bauaufsicht, die in Brandschutzfragen häufig von der zuständigen Feuerwehr vertreten wird) beraten zu lassen. Dabei sind – wie häufig in Brandschutzfragen – die Ermessensspielräume hoch: Was von der einen Aufsichtsbehörde als unbedenkliche Einschränkung oder Brandlast eingestuft wird, erscheint andernorts als völlig unmöglich. Generell wird es immer schwieriger, in solchen Fäl...