Prof. Dr. Rainer von Kiparski †
1.1 Definition
Leitern sind eines der am häufigsten benutzten Arbeitsmittel. Sie werden verwendet, um höher gelegene Arbeitsplätze zu erreichen oder um von ihnen aus Arbeiten geringen Umfangs auszuführen.
Bei Leitern handelt es sich um ortsveränderliche Aufstiege mit Stufen oder Sprossen, die mit Wangen oder Holmen verbunden sind.
Stehleitern sind zweischenklige freistehende Leitern, während Anlegeleitern zu ihrer Benutzung angelegt werden müssen.
1.2 Hintergrund
In der Praxis (z. B. auf Baustellen), ist häufig zu beobachten, dass Stehleitern nicht bestimmungsgemäß eingesetzt werden. Ein Schwerpunkt ist das sicherheitswidrige Benutzen von Stehleitern als Anlegeleitern. Meist geschieht dies durch die Beschäftigten in guter Absicht, um Zeit zu sparen, da keine geeigneten Anlegeleitern zur Verfügung stehen.
Die Folge können jedoch schwerste Absturzunfälle sein, die mit schweren und tödlich Verletzungen verbunden sein können.
Stehleitern müssen mit einer Betriebsanleitung versehen sein. Hersteller bzw. Importeure von Leitern sind verpflichtet, Leitern mit einer dauerhaft angebrachten Betriebsanleitung auszustatten. Aus der Betriebsanleitung müssen die wichtigsten Verhaltensregeln für die Leiterbenutzung hervorgehen, z. B. für
- die bestimmungsgemäße Benutzung der Stehleiter aber auch
- das Verbot vernünftigerweise vorhersehbarer missbräuchlicher Nutzung.
Diese Betriebsanweisung ist durch den Benutzer der Leiter unbedingt zu beachten!
Die Verwendung einer normalen Stehleiter als Anlegeleiter ist insbesondere aufgrund der Gefahr des Wegrutschens der Leiterfüße, des Leiterkopfes und der Beschädigung der Gelenke unzulässig!
Aufgrund der Formgebung der Leiterfüße können Stehleitern, die zusammengeklappt als Anlegeleitern benutzt werden, nicht die erforderliche Rutschhemmung aufweisen. Beim Betreten der untersten Stufe/Sprosse kommt es auch zur Überlastung der Gelenke. Dabei kann die Leiter nach hinten abkippen.
Nur wenn die Stehleiter ausdrücklich vom Hersteller auch für die Verwendung als Anlegeleiter ausgewiesen ist (z. B. bei Ausstattung mit besonderen Füßen), darf die Stehleiter auch in dieser Betriebsart eingesetzt werden. Das muss jedoch deutlich aus der Betriebsanweisung des Herstellers hervorgehen.
1.3 Unfall- und Berufskrankheitsgeschehen
Das Unfallgeschehen weist mit jährlich rund 21.743 Leiterunfällen und nicht selten schweren Verletzungen, z. T. mit bleibenden Körperschäden, auf eine hohe Gefährdung beim Umgang mit Leitern hin. Eine Vielzahl der Unfälle ereignet sich bei Arbeiten an baulichen Anlagen. Stehleitern sind mit einem hohen Anteil an allen Leiterunfällen beteiligt.
Neben technischen Ursachen, die heute nur noch einen sehr geringen Anteil am Unfallgeschehen ausmachen, ist insbesondere das Verhalten der Leiterbenutzer unfallursächlich.
So ereignete sich jeder 5. Unfall durch das übermäßige seitliche Hinauslehnen auf der Stehleiter. Weitere Unfallursachen liegen in dem ruckartigen Bewegen auf der Leiter, dem überhasteten Auf- oder Absteigen sowie dem nicht bestimmungsgemäßen Verwenden der Leiter (z. B. Nutzung von Stehleitern als Anlegeleitern).
1.4 Verantwortung von Arbeitgeber und Führungskräften
Die Verantwortung für den Arbeitsschutz trägt immer der Arbeitgeber. Sie wird aber im Rahmen einer Pflichtenübertragung in vielen Unternehmen zumindest teilweise an die Führungskräfte delegiert.
Diese Verantwortung beinhaltet die Pflicht, den Beschäftigten geeignete Arbeitsmittel (z. B. Leitern) zur Verfügung zu stellen.
Dabei sind die Vorschriften der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und insbesondere Anhang 1 Abschnitt 3.3 BetrSichV "Besondere Vorschriften für die Verwendung von Arbeitsmitteln bei zeitweiligen Arbeiten auf hoch gelegenen Arbeitsplätzen" zu beachten. Leitern müssen für die jeweils auszuführende Arbeit geeignet sein, d. h. sie müssen standsicher und gegen Wegrutschen gesichert sein.
1.5 Folgen von Verstößen
Kommt ein Arbeitgeber oder eine Führungskraft ihren Pflichten im Arbeitsschutz nicht nach, kann das finanzielle und strafrechtliche Folgen haben:
- Verstöße gegen die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes können mit Geldbußen bis zu 25.000 EUR oder – in schweren Fällen (z. B. Vorsatz) – mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden.
- Die Haftung des Arbeitgebers für die Folgekosten von Arbeitsunfällen (Behandlungskosten, Unfallrenten) ist generell beschränkt. Dennoch kann der Arbeitgeber von den Sozialversicherungsträgern (Berufsgenossenschaften) auch für die Übernahme der Folgekosten herangezogen werden (Regress), wenn der Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde.
Dies gilt in besonderem Maße auch für Absturzunfälle beim Arbeiten auf Leitern.
1.6 Kosten und Nutzen der Schutzmaßnahme
Die Kosten für eine geeignete Steh- oder Anlegeleiter bewegen sich je nach Ausführung zwischen 150 und 400 EUR.
Diesen Kosten steht folgender finanzieller Nutzen entgegen: Nach neueren Schätzungen kostet der Ausfall eines Mitarbeiters das Unternehmen im Durchschnitt ca. 400 EUR...