1.1 Definition
Der Arbeitgeber ist nach § 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Grundlage ist das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht in § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG eine Beteiligung des Betriebsrats als Vertreter der Belegschaft bei Arbeitsschutzmaßnahmen vor. Dies gilt bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften.
1.2 Hintergrund
Im Volksmund heißt ein Sprichwort "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier". Dies gilt im übertragenen Sinne auch für Mitarbeiter in Betrieben. Veränderungen werden i. d. R. erst einmal kritisch beäugt. auch bei Arbeitsschutzmaßnahmen. Somit hängt der Erfolg von mehreren Rahmenbedingungen ab, u. a.:
- Beteiligung der Mitarbeiter bei der Gefährdungsbeurteilung,
- Beteiligung der Mitarbeiter bei der Auswahl der Arbeitsschutzmaßnahmen,
- Beteiligung der Arbeitnehmervertretung,
- Beteiligung der Vorgesetzten,
- Kommunikation der Arbeitsschutzmaßnahme,
- Qualität der Arbeitsschutzmaßnahme,
- Berücksichtigung der Bedürfnisse der Mitarbeiter,
- Konsequente Umsetzung der Arbeitsschutzmaßnahme durch alle Ebenen,
- Wirksamkeitskontrolle der Arbeitsschutzmaßnahme und ggf. Einleiten von Korrekturmaßnahmen.
1.3 Unfallgeschehen
Experten schätzen, dass ca. 80 % aller Beinaheunfälle und Unfälle primär auf verhaltensbedingte Faktoren zurückzuführen sind. Ursachen sind mangelhaftes Wissen, Können und Wollen von Mitarbeitern. Technische Mängel sind seit vielen Jahren eher rückläufig oder bleiben zahlenmäßig auf einem ähnlichen Niveau. Die meisten Arbeitsschutzmaßnahmen beziehen sich daher auf das Verhalten der Mitarbeiter.
Doch woran scheitern viele dieser Maßnahmen? Sie finden häufig keine Akzeptanz in der Belegschaft. Wenn jemand nicht weiß, warum etwas Bestimmtes gemacht werden muss oder er sogar entgegengesetzter Meinung ist, wird er die Maßnahme boykottieren.
Eine frühzeitige Beteiligung der betroffenen Mitarbeiter bei der Lösungsfindung ist daher sehr wichtig. Die Beteiligung führt dazu, dass das Know-how der Mitarbeiter genutzt wird. Die Akzeptanz der dann eingeleiteten Arbeitsschutzmaßnahmen ist dann schon fast selbstverständlich. Wenn jemand beteiligt ist, steht er eher dahinter als wenn es "über seinen Kopf" entschieden wurde. Im Idealfall treten die beteiligten Mitarbeiter später als Multiplikator für die Umsetzung der Arbeitsschutzmaßnahme auf und überzeugen die Kollegen.
1.4 Folgen von Verstößen
Kommen Sie als Arbeitgeber oder Führungskraft Ihren Pflichten im Arbeitsschutz nicht nach, kann das finanzielle und strafrechtliche Folgen haben:
- Verstöße gegen die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes können mit Geldbußen bis zu 25.000 EUR (ArbSchG) oder – in schweren Fällen (z. B. Vorsatz) – mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr (§ 26 ArbSchG) geahndet werden.
- Die Haftung des Arbeitgebers für die Folgekosten von Arbeitsunfällen (Behandlungskosten, Unfallrenten) ist generell beschränkt (§ 104 ff. SGB VII). Dennoch kann der Arbeitgeber von den Sozialversicherungsträgern (Berufsgenossenschaften) auch für die Übernahme der Folgekosten herangezogen werden, wenn der Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde (§ 110 f. SGB VII).
1.5 Kosten und Nutzen
Die Kosten für eine Beteiligung der Mitarbeiter bei der Einführung von Arbeitsschutzmaßnahmen lassen sich nicht konkret beziffern. Der Nutzen dieses Vorgehens liegt aber auf der Hand:
- Nutzen des Know-hows der Mitarbeiter,
- Schaffung von Akzeptanz,
- Mitwirken bei der Ideenfindung,
- Erhöhung der Qualität der Arbeitsschutzmaßnahmen,
- Unterstützung der Vorgesetzten,
- Hilfe bei der Umsetzung,
- Multiplikator gegenüber Kollegen,
- Reduzierung von Korrekturbedarf nach Umsetzung,
- Steigerung des "WIR-Gefühls",
- Erfüllung rechtlicher Anforderungen.
1.6 Praxisfall
1.6.1 Beispiel 1
"Handlauf benutzen"
In einem Unternehmen werden "über Nacht" an allen Treppen Gebotsschilder "Handlauf benutzen" angebracht. Es gab weder im Vorfeld noch in den ersten Tagen eine Information dazu. Im Gegenteil: Mitarbeiter werden abgemahnt, weil Sie Gebotsschilder missachtet haben.
Sturzunfälle an Treppen haben i. d. R. schwere Verletzungen zur Folge. In dem Unternehmen gab es auch mehrere Sturzunfälle auf Treppen. Aber so ist die Akzeptanz der Maßnahme durch die Rahmenbedingungen bereits sehr negativ beeinflusst. Was hätte besser gemacht werden können? Ein Kommunikationsplan und eine Beteiligung der Mitarbeiter hätte für deutlich höhere Akzeptanz sorgen können. Hätte man die Mitarbeiter im Vorfeld darüber aufgeklärt, dass man zukünftig Unfälle an Treppen vermeiden möchte, und dass "Handlauf benutzen" eine der besten Maßnahmen ist, hätten die Mitarbeiter die Maßnahme verstanden. Auch Beispiele und Statistiken hätten bei der Kommunikation helfen können.
1.6.2 Beispiel 2
Schutzgitter
Aufgrund eines Unfalls an einer Maschine beschließt der Vorgesetzte, die Schutzmaßnahme...