Prof. Dr. Rainer von Kiparski †
1.1 Definition
Manipulation (lat. manipulus: handvoll) bedeutet eigentlich in der deutschen Sprache "kunstgerechter Handgriff". Im Zusammenhang mit Schutzeinrichtungen versteht man darunter allerdings im negativen Sinn das "Umgehen von Schutzeinrichtungen auf einfache Weise".
Schutzeinrichtungen sind technische Lösungen der mittelbaren Sicherheitstechnik, mit denen eine mögliche Gefährdung von Personen beim Umgang mit Arbeitsmitteln sicher verhindert werden soll. Bei Schutzeinrichtungen werden trennende, nicht trennende, abweisende und Schutzeinrichtungen mit Annäherungsfunktion unterschieden.
Trennende Schutzeinrichtungen (z. B. Gehäuse, Schild, Abdeckung, Schirm, Tür, Verkleidung) stellen eine körperliche Sperre dar. Sie schützt als Teil einer Maschine den Bediener gegen Gefahren, die von der Maschine ausgehen.
Trennende Schutzeinrichtungen gibt es in folgenden Ausführungen:
- feststehende trennende Schutzeinrichtung,
- bewegliche trennende Schutzeinrichtung,
- einstellbare trennende Schutzeinrichtung,
- verriegelte trennende Schutzeinrichtung,
- verriegelte trennende Schutzeinrichtung mit Zuhaltung,
- trennende Schutzeinrichtung mit Startfunktion.
Nicht trennende Schutzeinrichtungen gibt es in folgenden Ausführungen:
- Verriegelungseinrichtungen,
- Zustimmungseinrichtung,
- Steuereinrichtung mit selbsttätiger Rückstellung,
- Zweihandschaltung,
- sensitive Schutzeinrichtung (SPE) für den Nachweis von Personen oder Körperteilen,
- aktive optoelektronische Schutzeinrichtung (AOPD) mit Abtastfunktion,
- durch Formschluss wirkende Schutzeinrichtung (z. B. Keil, Spindel, Strebe, Anschlag),
- Begrenzungseinrichtung (z. B. gegen räumliche Grenze, Druckgrenze, Lastmomentgrenze),
- Schrittschaltung.
Abweisende Schutzeinrichtungen sind körperliche Hindernisse (z. B. ein Geländer). Sie beschränken den Zugang zu einem Gefährdungsbereich, verhindern ihn aber nicht völlig.
Schutzeinrichtungen mit Annäherungsfunktion (z. B. Lichtschranken) sollen verhindern, dass Personen Zugang zu einem Gefährdungsbereich haben, bevor die Gefährdung beseitigt worden ist (z. B. Stillsetzen gefahrbringender Bewegungen).
1.2 Hintergrund
Viele Unfälle an Produktionsmaschinen mit Personenschäden sind auf gezielte Manipulationen an den Schutzeinrichtungen zurückzuführen. Eine gut durchdachte Maschinenkonstruktion, die den Bediener vor den von der Maschine ausgehenden Gefahren zuverlässig schützt, aber auch eine einfache und ergonomische Bedienung der Maschine zulässt, bietet wenig Anreiz zur Manipulation von Schutz- und Sicherheitseinrichtungen. Bei schlecht durchdachten Maschinenkonstruktionen versucht meist der Bediener (oft in gut gemeinter Absicht) einen Konstruktionsmangel oder auch Funktionsstörungen der Maschinen (z. B. verklemmte Werkstücke entfernen) auf einfache und pragmatische Weise zu beseitigen.
Ältere Untersuchungen der Berufsgenossenschaften zeigen, dass es bei ca. 30 % der Schutzeinrichtungen ständig oder gelegentlich zu Manipulationen kommt.
Ziel der Manipulationen sind insbesondere Schutzeinrichtungen, die an der Prozessbeobachtung, am Einrichten oder an der Störungsbeseitigung hindern. Es handelt sich also in der Hauptsache um trennende, bewegliche Schutzeinrichtungen mit Verriegelung. Werden Schutzeinrichtungen von Beschäftigten manipuliert, deutet das fast immer auf schwere Mängel bei der Konstruktion oder der Bedienbarkeit der Maschine hin. Dies muss von den Verantwortlichen sehr ernst genommen und darf auf keinen Fall geduldet werden! Besonders kritisch wird es, wenn die Umgehung von Schutzmaßnahmen in die tägliche Routine Einzug gehalten hat und diese Praktiken von erfahrenen Mitarbeitern beim Anlernen auch noch an Betriebsneulinge weitergegeben werden.
1.3 Unfallgeschehen
Maschinenunfälle aufgrund von Manipulation oder Umgehung von Schutzeinrichtungen kommen sehr häufig vor. Beispielsweise schätzen die Berufsgenossenschaften, dass etwa 25 % aller Arbeitsunfälle beim Bedienen der Maschine auf Manipulation zurückgehen.
Als Gründe für die Manipulation von Schutzeinrichtungen haben 43 % der Befragten Produktivitätssteigerung angegeben, also den Wunsch nach "Optimierung" des Arbeitsprozesses.
1.4 Verantwortung von Arbeitgeber und Führungskräften
Zunächst ist jeder Hersteller nach dem Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) grundsätzlich verpflichtet, nur sichere Maschinen auf den Markt zu bringen. Bestimmungen bezüglich "Bau und Ausrüstung" enthalten das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), die EG-Maschinenrichtlinie (Richtlinie 2006/42/EG) und eine große Fülle europäischer Einzelnormen.
Bei Konstruktions-, Fabrikations- oder auch Instruktionsfehlern besteht eine zivilrechtliche Produktverantwortung des Herstellers nach § 823 BGB. Der Maßstab für die Fehlerbewertung ist der Stand der Technik. Zu einer sicheren Maschine gehört auch, dass dauerhaft eine sichere Bedienung und Nutzung der Maschine in allen zur Verfügung stehenden Betriebsarten und Lebensphasen möglich ist, ohne dass Schutz- und Sicherheitseinrichtungen dies über Gebühr behindern. Unzureichend durchdachte Siche...