Psychische Belastung durch Kameraüberwachung

Grundsätzlich hat der Arbeitgeber kein Recht zu irgendeiner Form der Überwachung. Denn ein Arbeitnehmer erbringt seine Leistung nach Treu und Glauben. Die Einführung von Videoüberwachungssystemen ohne vorherige Information der Beschäftigten würde gegen das Persönlichkeitsrecht und das informationelle Recht der Selbstbestimmung verstoßen. Anders verhält es sich in halb-öffentlichen Räumen eines Unternehmens, z. B. den Schalterräumen und Kundendiensträumen einer Bank, wo Videokameras während der gesamten Arbeitszeit gestattet sind.
Psychische Belastung durch Videoüberwachung
Neben den rechtlichen Bedenken gegenüber Videoüberwachungssystemen spielen auch andere Faktoren zunehmend eine Rolle. Zum Beispiel die psychische Belastung für Beschäftigte, die oft oder sogar ganztägig von Kameras bei der Arbeit aufgenommen werden. Die Relevanz dieser Problematik wird schon dadurch deutlich, dass ein Arbeitgeber ohne Zustimmung seiner Beschäftigten keine Überwachung durch Kameraattrappen simulieren darf. Denn selbst in diesen Fällen wird ein zu hoher Überwachungsdruck auf die Beschäftigten aufgebaut, die sich nie sicher sein können, ob sie nun tatsächlich gefilmt und überwacht werden oder nicht.
Gerichte sehen Zusammenhang
Ein Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main (Urteil vom 8. November 2013- Az. 22 Ca 9428/12) ist ein weiteres Indiz dafür, dass im Rechtswesen zunehmend ein Zusammenhang zwischen Belastung und Videoüberwachung angenommen wird.
Das Gericht stellte nämlich fest, dass die dauerhafte Überwachung eines Arbeitnehmers in einem öffentlich nicht zugänglichen Raum mittels Videokamera (und Aufzeichnung auf einer Festplatte) einen schwerwiegenden und grundsätzlich nicht erlaubten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt. Darüber hinaus habe der Einsatz der Videokameras zur Überwachung des Arbeitnehmers bei diesem eine psychische Belastung in Form eines latenten Überwachungs- und Anpassungsdrucks bewirkt.
Der klagende Techniker wurde in einem Raum beschäftigt, der Kunden unzugänglich war. Während der gesamten täglichen Arbeitszeit fand dort eine Videoüberwachung statt.
BAuA-Studie: Nur kleine Effekte
Die recht eindeutige rechtliche Einordnung verwundert, weil es in der Arbeitswissenschaft lange Zeit keine eindeutigen Nachweise über psychisch nachteilige Effekte einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz gegeben hat. In einer 2018 veröffentlichten Literaturstudie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wurden 85 bis dahin publizierte Studien zur Auswirkung auf Leistung, Stress, Belastung und Beanspruchung, Motivation, Zufriedenheit, Vertrauen sowie positive und negative Verhaltensweisen bei Beschäftigten analysiert.
Es zeigten sich überwiegend nur kleine nachteilige Effekte auf Stresserleben, Beanspruchung, wahrgenommene Kontrolle, Zufriedenheit, Leistungsbereitschaft und Affekt. Allerdings konzentrierten sich die Studien alle nur auf klassische Videoüberwachungssysteme, während neue Arbeitsassistenzsysteme mit kontextsensitiv bedingter Überwachung nicht berücksichtigt wurden.
Bei Letzteren handelt es sich um digitale Systeme, die alle visuellen Informationen (von der Mimik bis zur Körperhaltung) zu überwachten bzw. durch Kameras bzw. Videosensoren aufgenommenen Personen analysieren und bewerten können. Bei ihrer Anwendung, so die BAuA-Forscher, könnte es durchaus zu gravierenderen psychischen Folgen für die beobachteten Beschäftigten kommen.
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Neue Studie: Gesichtserkennung eingeschränkt
Aber auch schon die konventionelle Videoüberwachung scheint nach neuesten Erkenntnissen psychisch problematischer für den Menschen zu sein als bislang angenommen. In einer Ende 2024 veröffentlichten psychiatrischen Studie, die in der Fachzeitschrift „Neuroscience of Consciousness“ veröffentlicht wurde, untersuchten Forscher der University of Technology Sydney (UTS) mit 54 Teilnehmern die Auswirkungen der Kameraüberwachung auf eine wesentliche Funktion der menschlichen Sinneswahrnehmung: die Fähigkeit, den Blick und das Gesicht einer anderen Person zu erkennen.
Dabei zeigte sich, dass Menschen, die wissen, dass sie überwacht werden, nicht nur automatisch ihr Verhalten in der Öffentlichkeit ändern, sondern dass dieses Bewusstsein sogar die Informationsverarbeitung in ihren Gehirnen verändert. Dadurch würde z. B. die Fähigkeit, ein Gesicht bewusst zu erkennen, deutlich beeinträchtigt. Diese Fähigkeit war (und ist) evolutionär aber besonders wichtig für das Überleben, um potenzielle Bedrohungen in der Umgebung, wie Raubtiere oder feindliche Menschen, wahrzunehmen und zu erkennen. Dies sei nur ein Beispiel für die negativen Auswirkungen auf die Gehirnfunktionen sowie kognitiven Fähigkeiten und damit indirekt auch für die psychische Gesundheit, schlossen die australischen Wissenschaftler.
Stressreduzierende Überwachung
Dass neue digitale Formen der Videoüberwachung neben negativen Effekten auch Vorteile für die psychische Gesundheit haben könnten, zeigt die Anwendung der kontextsensitiven Assistenzsysteme in der medizinischen Praxis. Das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung arbeitet an einem System namens KonsensOP, das darauf abzielt, das ärztliche OP-Team während der Operation zu begleiten, mit Kameras aufzunehmen und immer dann zur Seite zu stehen, wenn Unterstützung angebracht ist. Das System reagiert dabei automatisch auf die jeweiligen Aufgaben der Teammitglieder.
Auslöser für das Eingreifen von KonsensOP ist unter anderem das Erkennen von Stresssituationen im Operationssaal. Das OP-Team wird dazu durch Video- und Vitalsensoren vollständig erfasst. Das Assistenzsystem trägt so alle Informationen zu aktueller Position, Körperhaltung, Gestik und Blickrichtung aller Operateure und beteiligten Personen zusammen und analysiert diese. Treten Komplikationen auf, bietet das Assistenzsystem jedem einzelnen Team-Mitglied einen alternativen Arbeitsablauf an und unterfüttert diesen mit den passenden Visualisierungen und Daten.
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