Sinn dieser Vorschrift ist es, eine Durchgriffshaftung zu schaffen, um eine Zwangsvollstreckung in nicht dem Unternehmer gehörende Gegenstände zu ermöglichen!
Tatbestand |
Rechtsfolge |
- Haftender Personenkreis: Eigentümer (↔ Unternehmer)
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Haftung des Eigentümers |
- Überlassen von Gegenständen
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Umfang der Haftung: |
- Der Gegenstand "dient" einem Unternehmen
- Der Eigentümer ist an dem Unternehmen wesentlich beteiligt (§ 74 Abs. 2 AO)
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- Nur unternehmensbedingte Steuern
- Besonderer Haftungszeitraum
- Die Haftung ist gegenständlich beschränkt, d.; h., es kann vom Finanzamt nur in die jeweiligen Gegenstände vollstreckt werden.
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Die Begrifflichkeiten sind wie folgt zu definieren:
- Zum haftenden Personenkreis rechnen die Eigentümer von Gegenständen, die einem Unternehmen dienen, wenn diese Eigentümer am Unternehmen wesentlich beteiligt sind, ohne aber selbst der Unternehmer (Steuerschuldner) zu sein. Hauptfälle in der Praxis sind Fälle der Betriebsaufspaltung, des Sonderbetriebsvermögen sowie Sicherungsübereignungen an Kreditgeber.
- Überlassen von Gegenständen: Der allgemeine Sprachgebrauch versteht zwar unter "Gegenständen" nur körperliche Sachen. Nach BFH vom 23. 05. 2012 BStBl II 2012, 763 erfasst § 74 AO aber auch immaterielle Wirtschaftsgüter, in die vollstreckt werden kann (AEAO zu § 74 Nr. 1), das sind z.; B. grundstücksgleiche Rechte wie ein Erbbaurecht (§ 11 Abs. 1 ErbbauRG), das gem. § 864 Abs. 1 ZPO der Immobiliarvollstreckung unterliegt.
- Der Eigentümer des Gegenstands muss ein anderer sein als der Unternehmer! Für die Eigentumsfrage ist das Zivilrecht maßgebend, § 39 Abs. 2 AO ist nicht anwendbar. Da die Vorschrift die Zwangsvollstreckung ermöglichen soll, reicht Sicherungseigentum aus. Ein Anwartschaftsrecht genügt ebenfalls, wenn der beherrschende Gesellschafter später das Eigentum erlangt (streitig). Das Eigentum muss im Zeitpunkt der Inhaftungnahme und Vollstreckung noch bestehen.
- Der Gegenstand muss "dem Unternehmen dienen"!
Der Eigentümer ist an dem Unternehmen "wesentlich beteiligt": Eine wesentliche Beteiligung liegt vor, wenn (§ 74 Abs. 2 Satz 1 AO) eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung von mehr als 25; % am Grund- oder Stammkapital oder Vermögen des Unternehmens besteht. Ist das Unternehmen eine Personengesellschaft, soll nach ganz h.; M. in der Literatur die Gewinnbeteiligung maßgeblich sein. In seiner Entscheidung vom 22. 11. 2011 (VII R 63/10, BStBl II 2012, 223) hat der BFH bei einer KG hingegen erstmals auf die Beteiligung am Grund- (!) oder Stammkapital abgestellt. Nach § 74 Abs. 2 Satz 2 AO genügt es auch, wenn tatsächlich ein beherrschender Einfluss auf das Unternehmen ausgeübt wird und der Eigentümer die Nichtentrichtung fälliger Steuern mit verursacht. Mit der für die Betriebsaufspaltung entwickelten Personengruppentheorie lässt sich eine wesentliche Beteiligung an einem Unternehmen i.; S.; v. § 74 Abs. 2 AO Satz 1 AO durch Zusammenrechnung der von mehreren Familienmitgliedern gehaltenen Anteile nicht begründen (BFH vom 01. 12. 2015, VII R 34/14, BStBl II 2016, 37).
Einer wesentlichen Beteiligung steht es gleich, wenn jemand ohne entsprechende Vermögensbeteiligung auf das Unternehmen einen beherrschenden Einfluss tatsächlich und in einer Weise ausübt, die dazu beiträgt, dass fällige Betriebssteuern nicht entrichtet werden; es genügt nicht, wenn eine Person nur die Möglichkeit hat, beherrschenden Einfluss auszuüben. Ein beherrschender Einfluss i.; S.; d. § 74 Abs. 2 Satz 2 AO kann auch vorliegen, wenn mehrere Familienmitglieder Anteile am Betriebsunternehmen halten und sie als Eigentümer der Gegenstände (Besitzunternehmen) gemeinsam in der Lage sind, ihren Willen im Betriebsunternehmen durchzusetzen. Es ist jedoch ein aktiver und für die Nichtentrichtung fälliger Betriebssteuern kausaler Beitrag erforderlich, ein bloßes Unterlassen bestimmter Handlungen reicht nicht aus. Daher kann allein die Weigerung, weitere Kreditmittel zu gewähren – auch wenn dies zur Abwendung einer Insolvenz geboten wäre –, eine Haftung nach § 74 AO nicht begründen (BFH vom 01. 12. 2015, VII R 34/14, BStBl II 2016, 375).
Zum Haftungsumfang: Der Eigentümer haftet nur für unternehmensbedingte Steuern, die in einem bestimmten Haftungszeitraum entstanden sind.
Unternehmensbedingte Steuern sind Steuern, die tatbestandlich ein Unternehmen zwingend voraussetzen und die bei Nichtunternehmern nicht anfallen können. Hierunter fallen somit nur die USt und die GewSt sowie die Rückzahlung der Investitionszulage (vgl. AEAO zu § 74 Nr. 2), nicht aber LSt, ESt, KSt, KfzSt u.; a.
Haftungszeitraum bedeutet, dass die unternehmensbedingten Steuern entstanden (fällig) sein müssen während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung und während der Zeit, in welcher der Gegenstand dem Unternehmen diente (einschränkende Auslegung des § 74 AO) sowie während des Bestehens von (zumindest wirtschaftlichem) Eigentum des Haftungsschuldners (streitig). Verlangt wird somit eine dreifache zeitliche Kongruenz!
Abb. 5.C.1
Die Haftung ist persönlich, aber gegenständ...