Da die Steuerentrichtungspflicht des Geschäftsführers sich darauf richtet, dass die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet werden (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO), findet sie ihre faktische Grenze in den verfügbaren Mitteln der vertretenen Gesellschaft. Der Fiskus kann nicht verlangen, besser als die anderen Gläubiger gestellt zu werden. Reichen deshalb bei Zahlungsschwierigkeiten im Zeitpunkt der Fälligkeit die verfügbaren Mittel nicht zur Tilgung aller Verbindlichkeiten einschließlich der Personalkosten aus, gilt der Grundsatz der anteiligen Befriedigung: Wenn der Geschäftsführer die Steuerschulden prozentual in derselben Höhe bezahlt wie die Verbindlichkeiten der anderen Gläubiger, hat er seinen Pflichten entsprochen. Der Grundsatz der anteiligen Befriedigung – auch Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger genannt – gilt für die USt, KSt, GewSt, die pauschalierte LSt und die steuerlichen Nebenleistungen (ständige BFH-Rechtsprechung).
Für die Frage, ob der Geschäftsführer den Grundsatz der anteiligen Befriedigung verletzt hat, ist nicht auf die jeweilige Fälligkeit der einzelnen Steuerschuld, sondern auf den sog. Haftungszeitraum abzustellen. Maßgebend ist demnach der Zeitraum der Krise, d.; h. die Zeit vom Einsetzen der ersten Steuersäumigkeit bis zu dem Zeitpunkt, in dem die GmbH zahlungsunfähig geworden ist (z.; B. Tag des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens). Die Berechnung ist überschlägig vorzunehmen. Ungleichmäßigkeiten in der Zahlungsfähigkeit der GmbH während des Haftungszeitraumes können durch pauschale Abschläge von der überschlägig ermittelten durchschnittlichen Tilgungsquote ausgeglichen werden.
a) |
Geschäftsführer A der ABC-OHG hat die USt I/2019 bis V/2019 in zutreffender Höhe angemeldet. Da sich die Gesellschaft in Liquiditätsschwierigkeiten befindet, hat er jeweils nur die Hälfte der angemeldeten USt bezahlt. Die übrigen Gläubiger der GmbH, insbesondere die Lieferanten und die Banken, wurden in dieser Zeit voll befriedigt. A macht geltend, kein Geld zur Bezahlung der restlichen USt zur Verfügung gehabt zu haben. |
LÖSUNG A hat die Steuerentrichtungspflicht (§§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO, 18 Abs. 1 Satz 3 UStG) verletzt, da er die Steuerschulden schlechter behandelt hat als die anderen Verbindlichkeiten. Er ist verpflichtet, die USt in gleichem Umfang zu tilgen wie die Verbindlichkeiten anderer Gläubiger.
b) |
Aus den vom Geschäftsführer A der A-GmbH abgegebenen USt-Voranmeldungen ergaben sich folgende Umsatzsteuervorauszahlungen bzw. Vorsteuerüberschüsse: |
USt I/2019 |
+; 20 000 EUR |
USt II/2019 |
./.15 000 EUR |
USt III/2019 |
+; 30 000 EUR |
USt IV/2019 |
./.10 000 EUR |
Da sich die A-GmbH in Liquiditätsschwierigkeiten befand, hat A die USt nicht bezahlt. Die anderen Gläubiger wurden in diesem Zeitraum ungefähr zur Hälfte befriedigt. Das Finanzamt verrechnete die Steuerschulden mit den Vorsteuerüberschüssen.
LÖSUNG A hat zwar die Steuern nicht in zutreffender Höhe entrichtet (§ 18 Abs. 1 Satz 3 UStG), jedoch den Grundsatz der anteiligen Tilgung der USt nicht verletzt. Die in den Vorauszahlungszeiträumen I/2019 und III/2019 verbliebene Steuerschuld wurde zum Teil mit Vorsteuerüberschüssen anderer Vorauszahlungszeiträume (II/2019 und IV/2019) verrechnet. Dadurch fanden Tilgungen statt, die als Zahlungen auf die USt-Schuld anzusehen sind.
Da Abzugssteuern als treuhänderische Fremdgelder vorrangig vor sonstigen Verbindlichkeiten an das Finanzamt abzuführen sind, gilt der Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht für die LSt (§§ 38, 41a, 42d EStG). Danach darf der Arbeitgeber unabhängig vom Umfang der Befriedigung der übrigen Gläubiger das Finanzamt hinsichtlich der LSt nicht schlechter behandeln als die Arbeitnehmer hinsichtlich der ausgezahlten Nettolöhne. Reichen die zur Verfügung stehenden Mittel der "Arbeitgeber"-Gesellschaft nicht zur Zahlung der vollen Löhne einschließlich der LSt aus, darf der Geschäftsführer die Löhne nach § 38 Abs. 4 EStG nur gekürzt auszahlen und er muss aus den dann übrig bleibenden Mitteln die entsprechende LSt an das Finanzamt abführen. Bei der LSt besteht somit die Pflicht einer gleichmäßigen Befriedigung von Finanzamt und Arbeitnehmern. Diese Verpflichtung gilt auch für den eigenen Arbeitslohn des Geschäftsführers.
Geschäftsführer A der A-GmbH hat von den Löhnen für April 2019 (60 000 EUR) am 10. 05. 2019 die LSt in zutreffender Höhe von 15 000 EUR angemeldet. Nach Auszahlung der Löhne standen ihm keine Mittel mehr zur Bezahlung der LSt zur Verfügung. Auch andere Gläubiger wurden nicht mehr befriedigt.
LÖSUNG A hat die Steuerentrichtungspflicht (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) verletzt. Reichen die zur Verfügung stehenden Mittel der GmbH nicht zur Zahlung der vollen Löhne einschließlich der LSt aus, darf der Geschäftsführer die Löhne nur gekürzt als Vorschuss oder Teilbetrag auszahlen, und er muss aus den dann übrig bleibenden Mitteln die entsprechende LSt an das Finanzamt abführen. A ist dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, folglich ...