1 Teil A Vorbemerkung
Der steuerrechtliche Begriff der "Haftung" bedeutet, dass jemand für fremde Schulden einzustehen hat. Diese Abhängigkeit der Haftungsschuld von der Erstschuld (i.; d.; R. Steuerschuld) bezeichnet man als Akzessorietät der Haftung. Folglich kann der Haftungsanspruch nur entstehen, wenn die Erstschuld entstanden ist. Ist die Erstschuld erloschen, hat dies grundsätzlich auch entsprechende Auswirkungen auf die Haftungsschuld. Der Erlass eines Steuerbescheids ist keine Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Haftenden. Aus dem Grundsatz der Akzessorietät ergibt sich aber, dass der Haftungsbescheid rechtswidrig ist, wenn er einen höheren Betrag festsetzt als die entstandene Steuerschuld.
Entsprechend dem Aufbau des Besteuerungsverfahrens unterscheidet man auch im Haftungsrecht zwischen Anspruch, Festsetzung und Erhebung.
Nach § 191 Abs. 1 AO kann als Haftungsschuldner herangezogen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Das Gesetz benutzt insoweit den Begriff "Steuer", um die Erstschuld zu bezeichnen, jedoch darf der Begriff "Steuer" nicht eng i.; S.; d. § 3 Abs. 1 AO ausgelegt werden, da er auch die steuerlichen Nebenleistungen i.; S.; d. § 3 Abs. 4 AO mit umfasst sowie eine Haftung für Haftungsschulden vorkommen kann.
Die GmbH haftet als Arbeitgeber für die Lohnsteuer (§ 42d EStG), der Geschäftsführer der GmbH haftet als gesetzlicher Vertreter der GmbH für diese Haftungsschuld (§ 69 AO). Hier kommt es also zu einer "doppelstöckigen Haftung".
Infolge der "Akzessorietät" der Haftung vom Bestehen einer Erstschuld, muss ein Haftungsbescheid unterbleiben, wenn
- der Steueranspruch gegen den Steuerschuldner nicht mehr geltend gemacht werden kann, weil Festsetzungsverjährung eingetreten ist (§ 191 Abs. 5 Nr. 1 AO),
- die Steuerschuld vom Steuerschuldner nicht mehr gefordert werden kann, weil Zahlungsverjährung eingetreten ist (§ 191 Abs. 5 Nr. 2 1. Alt. AO),
- die Steuerschuld dem Steuerschuldner erlassen worden ist (§ 191 Abs. 5 Nr. 2 2. Alt. AO),
- die Steuerschuld durch Erfüllung, wie Zahlung oder Aufrechnung, erloschen ist (§ 44 Abs. 2 AO).
Die Regelungen in § 191 Abs. 5 Nr. 1 und 2 AO gelten nicht, wenn der Haftungsschuldner (als Täter!) Steuerhinterziehung oder Hehlerei begangen hat (§ 191 Abs. 5 Satz 2 AO; Durchbrechung der Akzessorietät).
Haftungs- und Steuerschuldner stehen nebeneinander als "unechte Gesamtschuldner". Dies führt zu folgenden Besonderheiten:
Echte Gesamtschuld, z.; B. Zusammenveranlagung von Ehegatten zur ESt |
Unechte Gesamtschuld, z.; B. Haftungsschuldner und Steuerschuldner |
§ 155 Abs. 3 AO ist anwendbar. |
§ 155 Abs. 3 AO ist nicht anwendbar. |
§ 219 Satz 1 AO gilt nicht. |
§ 219 Satz 1 AO gilt. |
Haftungsansprüche sind Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO). Nach Lage des zu beurteilenden Sachverhaltes können mehrere Haftungstatbestände eingreifen. Diese können vom Finanzamt nebeneinander geltend gemacht werden. Im Hinblick auf das dabei zu beachtende Haftungsverfahren ist zu unterscheiden zwischen gesetzlichen und vertraglichen Haftungstatbeständen. Da die Haftungsbestimmungen sehr unterschiedlich sind im Hinblick auf Voraussetzungen, Art und Umfang der Haftung, sind sie in der Klausur ebenso wie in der Praxis regelmäßig kumulativ zu prüfen. Haftungsvorschriften finden sich sowohl in der AO als auch in Einzelsteuergesetzen. Darüber hinaus begründen u.; U. auch zivilrechtliche Haftungsvorschriften eine öffentlich-rechtliche Haftung, da § 191 Abs. 1 AO als Voraussetzung für die Inhaftungnahme nur einen Haftung nach "Gesetz" verlangt. Beruht die Haftung hingegen auf einer zivilrechtlichen Haftung kraft Vertrages (z.; B. Bürgschaft, § 765 BGB), ist die Haftung gem. § 192 AO nach dem bürgerlichen Recht, d.; h. durch Klage vor einem Zivilgericht geltend zu machen.
2 Teil B Haftung der "Vertreter" nach § 69 AO
"Vertreter" haften nach § 69 AO wie folgt:
Tatbestand |
Rechtsfolge |
- Haftender Personenkreis: "Vertreter" u.; a.
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Haftung des Vertreters |
- Pflichtverletzung
- Haftungsschaden
- Verschulden
- Kausalität
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Umfang der Haftung: Die Haftung ist persönlich und unbeschränkt, d.; h., es kann vom Finanzamt in das Privatvermögen des Haftenden vollstreckt werden. |
1 Haftender Personenkreis
Der nach § 69 AO haftende Personenkreis bestimmt sich gem. §§ 34 und 35 AO. Als gesetzliche Vertreter juristischer Personen sind Vorstände einer Aktiengesellschaft (§ 78 AktG), einer Genossenschaft (§ 24 GenG), Geschäftsführer einer GmbH (§ 35 GmbHG), Liquidatoren (§§ 88 GenG, 68 GmbHG, 269 AktG, 26 Abs. 2, 48 Abs. 2 BGB) sowie die Geschäftsführer nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen und die Gesellschafter einer GbR, die durch Gesellschaftsvertrag zur Geschäftsführung berufen sind (§ 714 BGB) mögliche Haftungsschuldner.
Bei Personengesellschaften sind deren gesetzliche Vertreter (Geschäftsführer) mögliche Haftungsschuldner. Dies sind die oHG-Gesellschafter und Partner einer PartG bzw. PartGmbB sowie Komplementäre der KG, die jeweils nicht von der Geschäftsführung ausgeschlossen worden sind (§§ 125, 170 HGB, § 7 Abs. 3 PartGG); dagegen bei der GbR alle Gesellschafter gemeinsam bzw...