Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
Rn. 22
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Einen zwingenden gesetzlichen Schutz der Gesellschaft, ihrer Aktionäre und Gläubiger vor der Begründung eines Abhängigkeitsverhältnisses kennt das deutsche Aktienrecht nicht. Nicht die Konzernbildung ist rechtswidrig, die gesetzlichen Schutzmechanismen greifen erst, nachdem die Abhängigkeitslage entstanden ist, indem sie die Nachteilszufügung im Abhängigkeitsverhältnis sanktionieren. Für einen Präventivschutz kommt damit in erster Linie die Gestaltung der Satzung in Betracht. Die nach dem AktG ohnehin gegenüber dem GmbH-Recht (vgl. dazu Raiser/Veil (2015), § 60, Rn. 15ff.) seit jeher engeren Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. zu den Schwierigkeiten KK-AktG (2004), Anhang zu § 318, Rn. 19ff.; Raiser/Veil (2015), § 60, Rn. 25ff.; Krause, AG 2002, S. 133 (137ff.)) sind indes seit Inkrafttreten des KonTraG noch weiter eingeschränkt worden. Neben der Vinkulierung von Aktien gemäß den §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG ist insbesondere an die Einführung eines Höchststimmrechts (vgl. § 134 Abs. 1 Satz 2 AktG) zu denken, das aber nur bei nicht börsennotierten Gesellschaften möglich ist und dessen nachträgliche Vereinbarung außerdem Bedenken begegnet (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.1977, II ZR 136/76, BGHZ 70, S. 117 (121); Zöllner/Noack, AG 1991, S. 117; Baums, AG 1990, S. 221). Unzulässig ist es, die Einführung eines Höchststimmrechts in das Ermessen von Vorstand und AR zu stellen (vgl. LG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.01.1990, 3/1 O 109/89, AG 1990, S. 169; Hüffer-AktG (2022), § 134, Rn. 7). Die als Vorkehrung früher ebenfalls denkbare Einführung von Mehrstimmrechtsaktien lässt § 12 Abs. 2 AktG nach der Streichung des Satzes 2 im Zuge des KonTraG nicht mehr zu (vgl. zu Kap.-Erhöhungen bei der Zielgesellschaft als Abwehrmittel: Habersack, in: FS Marsch-Barner (2018), S. 203ff.).
Rn. 23
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Ausgangspunkt für die Entwicklung gesetzlicher Schutzmechanismen ist die dem Aktienkonzernrecht zugrunde liegende Entscheidung für die Zulässigkeit der Begründung von Abhängigkeits- und Konzernverhältnissen. Zielrichtung einer Konzernbildungskontrolle kann es daher nur sein, Minderheitsgesellschafter davor zu schützen, gegen ihren Willen den Gefahren von Abhängigkeitslagen ausgesetzt zu werden (vgl. Raiser/Veil (2015), § 60, Rn. 13). Methodologisch unbedenkliche Ansatzpunkte für einen Präventivschutz bilden die Inhaltskontrolle von HV-Beschlüssen und aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht abzuleitenden Pflichten zur Rücksichtnahme bei der Anteilsübertragung (vgl. HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 25).
Rn. 24
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Zum Instrument der Inhaltskontrolle hat die Rspr. insbesondere im Falle eines Bezugsrechtsausschlusses bei Kap.-Erhöhung gegriffen (vgl. BGH, Urteil vom 13.03.1978, II ZR 142/76, BGHZ 71, S. 40; BGH, Urteil vom 19.04.1982, II ZR 55/81, BGHZ 83, S. 319; BGH, Urteil vom 09.11.1992, II ZR 230/91, BGHZ 120, S. 141; BGH, Urteil vom 07.03.1994, II ZR 52/93, BGHZ 125, S. 239; BGH, Urteil vom 23.06.1997, II ZR 132/93, ZIP 1997, S. 1499). In der Tat können sich als Folge solcher Beschränkungen die Gefahren erhöhen, in Abhängigkeitsverhältnisse zu gelangen. Umgekehrt kann aber der Bezugsrechtsausschluss auch dazu dienen, die wirtschaftliche Selbständigkeit des UN zu erhalten und Fremdeinfluss abzuwehren (vgl. BGH, Urteil vom 06.10.1960, II ZR 150/58, BGHZ 33, S. 175; BGH, Urteil vom 19.04.1982, II ZR 55/81, BGHZ 83, S. 319 (323); LG Heidelberg, Urteil vom 16.03.1988, O 6/88 KfH II, ZIP 1988, S. 1257; näher hierzu Mülbert, in: FS Schwark (2009), S. 553 (559ff.)).
Rn. 25
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Wenig erörtert ist die Frage, ob aus der allg. gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht vinkulierungsunabhängige Rücksichtspflichten abgeleitet werden können, die einer freien Anteilsveräußerung entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.1992, II ZR 178/90, NJW 1992, S. 3167 (3171); BGH, Urteil vom 16.02.1976, II ZR 61/74, JZ 1976, S. 561; generell ablehnend Assmann, in: FS GmbHG (1992), S. 657 (661); vorsichtiger KK-AktG (2004), Anhang zu § 318, Rn. 7; für die Möglichkeit entsprechender Rücksichtnahmepflichten plädieren Ziemons/Jäger, AG 1996, S. 358 (360ff.); Schwark, ZGR 1976, S. 271 (302); Raiser/Veil (2015), § 60, Rn. 27). Für eine börsennotierte AG, KGaA bzw. SE wird man entsprechende Schutzpflichten verneinen müssen. Hier greifen die kap.-marktrechtlichen Regelungen der §§ 33ff. WpHG und die besonderen Pflichtangebote an außenstehende Aktionäre nach den §§ 35ff. WpÜG (vgl. auch Cahn/Decher, DK 2015, S. 469 (476): ein "übernahmerechtlich erlaubter Anteilserwerb kann nicht gesellschaftsrechtlich pflichtwidrig sein"). In stärker personalistisch strukturierten AG (KGaA bzw. SE), namentlich in Familien-AG, ist an eine vorsichtige Übertragung der Grundsätze zu denken, die für die GmbH entwickelt wurden. Unter engen Voraussetzungen ist hier sogar eine aus der Treuepflicht abgeleitete Verpflichtung zu erwägen, Aktien nicht an den Mitbewerber zu veräußern (vgl. dazu Wiedemann (19...