Tz. 27

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Die Verschwiegenheitspflicht besteht grds. nicht innerhalb des Vorstands und nicht im Verhältnis zum AR. Den AR-Mitgliedern gegenüber ist der Vorstand zur unbedingten Offenheit verpflichtet, was sich aus der Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem AR nach § 90 AktG und ergänzenden Bestimmungen ergibt (vgl. OLG München, Urteil vom 14.03.2012, 7 U 681/11, BeckRS 2012, 13 795). Anderes gilt nur dann, wenn ausnahmsweise die konkrete Gefahr besteht, dass das Berichtsverlangen des AR rechtsmissbräuchlich ist, etwa weil zu befürchten ist, dass einzelne AR-Mitglieder die Informationen zum Nachteil der Gesellschaft verwenden werden. Die Zuständigkeit zur Zurückhaltung der Information liegt nach zutreffender Ansicht beim AR (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 90, Rn. 53f.; KK-AktG (2010), § 90, Rn. 15). Weitere gesetzliche Auskunftspflichten bestehen etwa nach den §§ 90, 92, 99 und 111 BetrVG gegenüber dem Betriebsrat, nach den §§ 106 Abs. 2 und 108 Abs. 5 BetrVG gegenüber dem Wirtschaftsausschuss, nach § 110 BetrVG gegenüber den AN, nach § 320 Abs. 2 gegenüber dem AP und nach den §§ 131 und 176 Abs. 1 AktG gegenüber den Aktionären, wobei der Vorstand jeweils die Grenzen der Auskunftspflicht zu beachten haben wird (vgl. AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 299). Zu beachten sind ferner die kap.-marktrechtlichen Vorschriften wie Art. 17 (Ad-hoc-Publizität) und Art. 19 der MMVO (Eigengeschäfte von Führungskräften) oder § 107 WpHG (Prüfung der RL durch die BaFin). Auch gehört die zutreffende Information der Öffentlichkeit über die Lage einer börsennotierten Gesellschaft zu den Pflichten des Vorstands und stellt keinen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht dar (vgl. LG München I, Urteil vom 17.05.2001, 5 HKO 1227/01, AG 2002, S. 104f.) Im Vertragskonzern sind die Vorstandsmitglieder des beherrschten UN berechtigt, dem herrschenden UN Auskünfte zu erteilen. Gleiches gilt nach h. M. auch im faktischen Konzern – jedenfalls sofern die Weitergabe der Informationen im Interesse der Gesellschaft liegt, nicht aber bei bloßer Mehrheitsbeteiligung (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 93, Rn. 142f.; Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 65; § 311 AktG, Rn. 36aff.; Hölters-AktG (2022), § 93, Rn. 128ff.).

 

Tz. 28

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Die Schweigepflicht dient dem Schutz der Gesellschaft und muss daher zurücktreten, wenn das UN-Interesse die Offenbarung verlangt. So kann es erforderlich sein, geheime oder vertrauliche Informationen intern an AN oder extern an RA, WP, StB etc. weiterzugeben. Aus besonderen Gründen kann auch eine Mitteilung an andere Personen notwendig werden, etwa im Zusammenhang mit Sanierungsverhandlungen, bei Einschaltung eines M&A-Dienstleisters (vgl. Rozijn, NZG 2001, S. 494ff.), bei einer entsprechenden und heute üblichen Geheimhaltungsvereinbarung i. R.e. dem UN-Kauf vorgeschalteten Due Diligence (vgl. hierzu Stoffels, ZHR 2001, S. 362 (371ff.); Hölters-AktG (2022), § 93, Rn. 124; Meincke, WM 1998, S. 749ff.; Treeck, in: FS Fikentscher (1998), S. 434ff.; Mertens, AG 1997, S. 541; Schroeder, DB 1997, S. 2161; Ziemons, AG 1999, S. 492ff.; enger Lutter, ZIP 1997, S. 613 (617ff.)) oder bei der Weitergabe von Informationen an einen Investor nach Abschluss eines UN-Kaufs (vgl. Traugott, BB 2001, S. 2277 (2279f.)). Bei börsennotierten UN ist das Verbot der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen zu beachten (vgl. Art. 10, 14 lit. c) der MMVO). Eine Grenze der Verschwiegenheitspflicht ergibt sich auch aus der Zumutbarkeit. So kann die Offenbarung von internen Informationen zur eigenen Rechtsverfolgung oder zur Anfechtung oder Geltendmachung der Nichtigkeit von Organbeschlüssen geboten sein (vgl. AktG-GroßKomm. (1971), § 93, Rn. 11; MünchKomm. AktG (1973), § 93, Rn. 22). Nach § 93 Abs. 1 Satz 4 AktG bestand die Verschwiegenheitspflicht weiterhin bislang nicht gegenüber einer nach § 342b (a. F.) staatlich anerkannten, privatrechtlichen Prüfstelle (DPR) i. R.e. von dieser durchgeführten Prüfung von Verstößen gegen RL-Vorschriften. Sofern das UN bei der Prüfung durch die DPR mitwirkte, waren die Vorstandsmitglieder gemäß § 342b Abs. 4 Satz 1 (a. F.) zur vollständigen und richtigen Auskunftserteilung verpflichtet. Da allerdings durch das FISG mit Wirkung zum 01.01.2022 die Prüfung durch eine privatrechtliche Prüfstelle bzw. die DPR gemäß § 342b abgeschafft wurde, ist mit diesem Datum folgerichtig auch die Regelung des § 93 Abs. 1 Satz 4 AktG entfallen.

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